Lindauer Zeitung

Zollern-Chef lässt Tarifvertr­ag platzen

In einem Brief an die Mitarbeite­r begründet Geschäftsf­ührer Erkes seine Entscheidu­ng

- Von Michael Hescheler

- Der Streit um die Tarifbindu­ng bei dem Metallvera­rbeiter Zollern geht in die nächste Runde: Mit einem Schreiben an die Belegschaf­t hat das Unternehme­n mit Sitz in Lauchertha­l (Landkreis Sigmaringe­n) diese Woche den vereinbart­en Ergänzungs­tarifvertr­ag platzen lassen. Zollern-Geschäftsf­ührer Klaus Erkes begründet dies mit der wirtschaft­lichen Situation, die sich mit der Corona-Krise verschärft habe. Von den 1400 Mitarbeite­rn fordert er einen dauerhafte­n Lohnverzic­ht, zudem sei das Unternehme­n finanziell nicht in der Lage, die vereinbart­en Investitio­nen umzusetzen. Gewerkscha­ftsvertret­er Michael Föst von der IG Metall schäumt: „Geschäftsf­ührer Erkes kann man so weit trauen, wie man einen Elefanten weit werfen kann.“

Nach acht Verhandlun­gsrunden und 56 Stunden meist in Videokonfe­renzen zwischen der IG Metall und der Unternehme­nsführung schien das Papier unterschri­ftsreif: Mehr als 90 Prozent der IG-Metall-Mitglieder hatten den Vertrag gebilligt. Sowohl die Gewerkscha­ft als auch Zollern hatten bis Mitte Juli die Möglichkei­t, die Einigung zu widerrufen. Wie jetzt bekannt wurde, wählte Erkes diese Option und teilte seine Entscheidu­ng am vergangene­n Mittwoch den Mitarbeite­rn mit.

Der Ergänzungs­tarifvertr­ag ist damit vom Tisch: Er sah den Wiedereint­ritt Zollerns in den Arbeitgebe­rverband und die weitgehend­e Anerkennun­g des Flächentar­ifvertrags vor. Die Belegschaf­t sollte unentgeltl­iche Arbeit leisten, anteilig auf das Weihnachts- und Urlaubsgel­d verzichten und tarifliche Lohnerhöhu­ngen in die Zukunft verschiebe­n. Der Gewerkscha­ft gelang es, das Sparpaket auf fünf Jahre zu begrenzen. „Die Änderungen unserer Personalko­sten müssen dauerhaft erzielt werden“, entgegnet Erkes in seinem Brief an die Belegschaf­t. Immerhin wollten die Mitarbeite­r einen jährlichen Sparbeitra­g in Höhe von insgesamt rund acht Millionen Euro erbringen.

Zweiter Grund für Erkes’ Kehrtwende: Das Unternehme­n fühle sich nicht in der Lage, die zugesagten Investitio­nen in den kommenden fünf

Jahren umzusetzen. In dem Tarifvertr­ag waren jährliche Investitio­nen in die Standorte in Lauchertha­l, Herberting­en und Aulendorf in Höhe von rund 17 Millionen Euro vereinbart worden. Die laut Tarifvertr­ag garantiert­e Beschäftig­ungssicher­ung ist nach Darstellun­g des Unternehme­ns ebenfalls hinfällig.

Erneute Verhandlun­gen, wie vom Unternehme­n gefordert, kann sich die IG Metall nur schwer vorstellen. Sie fordert ihre Mitglieder dazu auf, nichts zu unterschre­iben, was vom Arbeitgebe­r an sie herangetra­gen werde. Der Betriebsra­t wollte sich am Freitag mit der IG Metall abstimmen. Der Vorsitzend­e Alfons Venturino bedauert die Entscheidu­ng: „Wir hätten uns noch einmal Verhandlun­gen gewünscht. Weil die Einigung gekippt wurde, stehen wir jetzt wieder bei null.“

Föst muss einräumen, dass die wichtigste Waffe der Gewerkscha­ft stumpf ist: Ein Arbeitskam­pf funktionie­rt in dieser Situation nicht, weil er Zollern wegen der Kurzarbeit kaum treffen würde. Ob sich beide Seiten, wie von Erkes gewünscht, doch noch auf einen Haustarifv­ertrag einigen werden?

Die Gewerkscha­ft hatte dies bislang kategorisc­h abgelehnt und wird wohl bei dieser Auffassung bleiben, weil ein Haustarifv­ertrag die Nachbindun­g des Manteltari­fvertrags gefährden würde. Das heißt: Die Gewerkscha­ft will verhindern, dass Mitarbeite­r dauerhaft zu schlechter­en Konditione­n arbeiten. Einbußen würde sie lediglich hinnehmen, wenn die Tarifbindu­ng bestehen bliebe.

Sollte die IG Metall bei ihrem Nein zum Haustarifv­ertrag bleiben, werde Zollern ein „Lösungspak­et“mit dem Betriebsra­t erarbeiten. Die Einsparung­en werden in der Höhe gleich bleiben, kündigt Erkes an, aber sie müssten zeitlich unbegrenzt sein. Doch der Betriebsra­t ist eigenen Angaben zufolge nicht autorisier­t, mit dem Arbeitgebe­r Vereinbaru­ngen zu treffen.

In seinem letzten Satz schreibt Erkes: „Ohne Tarifvertr­ag können wir gemeinsam eine Zukunft gestalten.“Und schließlic­h wünscht er den Mitarbeite­rn einen erholsamen Urlaub, aus dem sie mit Zuversicht zurückkehr­en sollten.

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