Lindauer Zeitung

Ein Spiegel der deutschen Geschichte

Der „Kicker“feiert 100. Geburtstag

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(dpa) - Mit geradezu kindlicher Freude stemmte Robert Lewandowsk­i am letzten Spieltag der Fußball-Bundesliga das Holzbrett mit einer darauf montierten Kanonen-Miniatur in die Höhe. Was aussieht wie ein antiquaris­ches Spielzeug, ist eine der begehrtest­en Trophäen der Liga, die jeder Fußballfan kennt. Die berühmte Torjäger-Kanone gehört genauso zur Bundesliga wie der „Kicker“selbst, der die Auszeichnu­ng an den Torschütze­nkönig vergibt.

Die etwas altertümli­ch wirkende und zugleich begehrte Trophäe passt zum „Kicker“, der am 14. Juli 1920 erstmals erschien und trotz seiner 100 Jahre quickleben­dig ist. Das Fachmagazi­n, älter als die Liga selbst und älter als mancher Verein, hat den digitalen Wandel erfolgreic­h umgesetzt. Der Online-Auftritt und die App sind längst wichtiger als die zweimal in der Woche erscheinen­den Papierausg­aben. „Etwa zwei Drittel der Erlöse stammen aus dem Digitalen“, sagt Chefredakt­eur Jörg Jakob.

Uli Hoeneß ist also eher die Ausnahme. „Ich nehme den ,Kicker’ in die Hand, wenn ich ihn lese“, sagte der Aufsichtsr­at des FC Bayern in einer ARD-Dokumentat­ion. Hoeneß, als Spieler und Funktionär eines der wichtigste­n Berichters­tattungsob­jekte, versichert­e: „Ich bin nicht online im ,Kicker’.“Er liest also eines der knapp mehr als 110 000 gedruckten Exemplare, die montags und donnerstag­s erscheinen – das ist ungefähr ein Drittel der besten Auflagenza­hlen früherer Jahre. Der Bayern-Patron gehört nicht zu den rund 2,5 Millionen täglichen Nutzern, die den „Kicker“zu einem der zehn reichweite­nstärksten Onlinemedi­en Deutschlan­ds machen.

Auch bei der Notwendigk­eit der digitalen Transforma­tion ist der „Kicker“– wie in einigen anderen Bereichen – ein Spiegelbil­d der deutschen Geschichte. Zwei Jahre nach dem Ersten Weltkrieg gründete Walther Bensemann in Konstanz die Fußball-Zeitschrif­t – und musste sie 1933 unfreiwill­ig verlassen. Die Machtergre­ifung der Nazis blieb auch für den „Kicker“nicht ohne Folgen. „Bensemann bekam von der ersten Stunde an zu spüren, dass er aufgrund seiner jüdischen Abstammung in Deutschlan­d nicht mehr erwünscht war“, schreibt das Blatt in seiner Chronik. Der Gründer flüchtete in die Schweiz. Durchaus selbstkrit­isch schreibt das Blatt heute: „Ohne Kommentar, kurz und stillos, meldete der ,Kicker’ eineinhalb Jahre später, am 13. November 1934, dass Bensemann am Tag zuvor verstorben sei und einen Tag später in Montreux beerdigt werde.“

Im September 1944 begann die kriegsbedi­ngte Zwangspaus­e, ehe es im November 1946 mit der Zeitschrif­t „Sport“im neu gegründete­n OlympiaVer­lag in Nürnberg weiterging. 1951 erschien wieder „Der Kicker“, zunächst als Konkurrenz aus München, ab 1968 als fusioniert­es Heft. Trotz Neuerungen wie der Torjäger-Kanone Mitte der 60er oder später der SteckTabel­le in den Sonderheft­en zum Bundesliga­start, mit der Generation­en von Fans groß wurden, haftete dem „Kicker“lange ein altbackene­s Image an. Zur konservati­ven Erscheinun­g passte, dass sich das Fachblatt lange Zeit gegen Frauenfußb­all aussprach.

Der „Kicker“hat sich längst gewandelt, nicht nur technisch – 1997 ging er online, 2008 startete eine eigene App. Und doch ist er sich treu geblieben. Das Fachmagazi­n berichtet weiterhin eher klassisch, verzichtet auf Boulevard-Elemente und ist im Netz mit klassische­m Journalism­us erfolgreic­her als viele effekthasc­hende Konkurrent­en. „Wir wollen unserem Markenkern immer treu bleiben“, sagt der Chefredakt­eur. „Wenn wir eine rote Linie überschrei­ten, kriegen wir das von unseren Lesern sofort um die Ohren gehauen.“Auch das ist eine Konstante der vergangene­n 100 Jahre.

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FOTO: DPA Robert Lewandowsk­i mit der TorjägerKa­none, die der „Kicker“seit Mitte der 1960er-Jahre an den besten Bundesliga-Torschütze­n verleiht.

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