Gegen Schädlinge gibt’s keine Patentrezepte
Auf der Mauer, auf der Lauer sitzt 'ne kleine Wanze …! Dieses alte Kinderlied ist für 300 verschiedene Pflanzenarten in unserer Region aktueller denn je. Seit 2017 krabbelt am Bodensee die eingeschleppte Marmorierte Baumwanze auf Apfelbäumen und in Gemüsebeeten herum und saugt an Blättern und Früchten. Was für uns bisher noch harmlos klingt, ist in anderen Regionen bereits ein ernst zu nehmendes Problem geworden. Da dieses neuartige Insekt hierzulande kaum natürliche Feinde hat, vermehrt es sich massenhaft und führt dadurch zu erheblichen Ernteschäden. An Gartenpflanzen mindert sie den Zierwert, wenn Blätter, ausgelöst durch den Stich der Wanze, im Laufe des Sommers wie zerrupft aussehen.
Unsere Nachbarn in Südtirol sind bereits so arg davon gebeutelt, dass sie neue Wege zur Lösung des Problems beschreiten. Ab diesem Sommer setzen sie gezielt für Versuchszwecke die Samurai-Wespe frei. Diese stammt ebenfalls aus Asien und hält dort als natürlicher Gegenspieler diese Baumwanze erfolgreich in Schach. Das klingt vielversprechend. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob diese Wespe sich dauerhaft etablieren kann und langfristig zur biologischen Regulierung des Schädlings beiträgt. Für unsere Gärten besteht momentan nur die Möglichkeit, die Wanzen mühsam abzusammeln oder Pflanzen mit Netzen davor zu schützen.
Unsere Landesregierung hat ja mittlerweile einen begrüßenswerten Gesetzentwurf vorgestellt, welcher chemische Mittel in Privatgärten verbieten soll. Daher werden wir wohl künftig auf Alternativen zur Schädlingsregulierung dringend angewiesen sein. Deren Erforschung gelingt jedoch nicht von heute auf morgen, und einfache Patentrezepte können nicht so schnell aus der Schublade gezogen werden. So gesehen haben wir noch einen längeren Weg vor uns.
Tina Balke ist Pflanzenärztin. An sie wenden sich Garten- und Zimmerpflanzenbesitzer ebenso wie Profigärtner, die Probleme mit erkrankten oder schädlingsbefallenen Pflanzen haben und wissen wollen, wie sie diese loswerden. Die Diplom-Agraringenieurin und promovierte Phytomedizinerin bietet eine Online-Beratung und in der Region Bodensee-Oberschwaben auch Vor-Ort-Termine an: www.die-pflanzenaerztin.de
Gespenstische Szenen sollen sich im Winter des Jahres 373 vor Christus in der griechischen Metropole Helike am Golf von Korinth abgespielt haben. „Alle Mäuse und Marder und Schlangen und Tausendfüßler und Käfer und alle anderen Tiere dieser Art verließen geschlossen die Stadt“, berichtet der mehr als 500 Jahre später geborene römische Autor Aelian. Niemand habe sich einen Reim darauf machen können – bis fünf Tage später ein gewaltiges Erdbeben und eine riesige Flutwelle Helike zerstörte. Es gab kaum Überlebende, die Katastrophe hatte die mächtige Stadt und ihren berühmten Poseidon-Tempel geradezu ausgelöscht.
Hätten sich die Opfer also besser ein Beispiel an den fliehenden Mäusen und Käfern nehmen sollen? Seit der Antike gibt es immer wieder Berichte über Tiere, die kurz vor einem Erdbeben, einem Vulkanausbruch oder einem Tsunami plötzlich verrücktspielten. Können sie im Vorfeld solcher Katastrophen also etwas wahrnehmen, das dem Menschen und seinen Messgeräten bis heute entgangen ist? Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell hält das durchaus für möglich. Und die jüngsten Erkenntnisse, die er und sein Team auf einem italienischen Bauernhof gewonnen haben, bestärken ihn in dieser Einschätzung.
Der Verhaltensforscher verfolgt damit einen jahrtausendealten Menschheitstraum: Ein funktionierendes Frühwarnsystem für Erdbeben könnte helfen, gefährdete Regionen rechtzeitig zu evakuieren und damit viele Menschenleben zu retten. Sämtliche Versuche, eine technische Methode dafür zu entwickeln, sind bisher allerdings im Sande verlaufen. Und auch die Tierwelt hat sich nicht als sonderlich zuverlässiger Verbündeter erwiesen. Denn rund um die Welt hat es jede Menge schwere Beben gegeben, ohne dass eine Art vorher explizit darauf hingewiesen hätte.
„Das Problem ist, dass es bisher nur einzelne Anekdoten über Tiere gibt, die sich vor Erdbeben komisch verhalten haben“, sagt Martin Wikelski. „Niemand hat systematisch und über einen längeren Zeitraum beobachtet, was sich da überhaupt abspielt.“Genau das wollen er und sein Team ändern – und die neue Studie ist ein erster Schritt dazu.
Schauplatz der Geschichte ist das Dorf Capriglia in den italienischen Abruzzen. Als Martin Wikelski und seine Kollegin Uschi Müller im Oktober 2016 zum ersten Mal dorthin kamen, wurde ganz Mittelitalien gerade von einer monatelangen Serie von Erdbeben erschüttert. Seit die Stöße am 26. August 2016 begonnen hatten, waren in der Region einige Hundert Menschen ums Leben gekommen und zahlreiche Gebäude zerstört worden. Auch in Capriglia war man gerade dabei, die jüngsten Schäden zu beseitigen.
„Wir kamen mit der Familie Angeli ins Gespräch, die dort einen traditionellen Bauernhof bewirtschaftet“, erinnert sich Martin Wikelski.
Es gibt einige Anekdoten über Tiere, die sich vor Naturkatastrophen auffällig verhalten haben sollen. Wie aussagekräftig diese Geschichten jeweils sind, ist allerdings oft umstritten. Berühmt geworden ist der Fall des Bebens von Haicheng in China. Dort hatten Menschen im Februar 1975 beobachtet, wie Ratten und Schlangen ihre unterirdischen Winterquartiere verließen. Die Behörden ordneten daraufhin eine Evakuierung an – einen Tag, bevor ein
Obwohl die Familie keine leichte Zeit durchmachte, klang das Anliegen der deutschen Forscher in ihren Ohren keineswegs absurd. Tiere sollten Erdbeben vorhersagen können? Das passte doch gut zu den Erfahrungen, die man selbst schon gemacht hatte. In Erdbebenzeiten hatte schließlich schon der Opa den Kühen gezuckerten Wein angeboten, um sie etwas zu beruhigen.
Die Landwirte konnten sogar sagen, welche ihrer Tiere sich besonders gut als Warner eignen könnten. Schließlich ist auch unter Artgenossen keineswegs jeder gleich sensibel.
Beben der Magnitude 7,2 die Millionenstadt zerstörte.
In jüngerer Zeit haben auch Elefanten und andere Wildtiere auf Sri Lanka Schlagzeilen gemacht. Vor dem Tsunami, der Weihnachten 2004 über Südostasien hereinbrach, sollen viele von ihnen landeinwärts in höheres Gelände geflohen sein. Aus dem Yala-Nationalpark, dem größten Schutzgebiet Sri Lankas, wurden zwar etwa 200 menschliche Opfer, aber kaum ein totes Tier gemeldet. (vie)
Vom 26. Oktober bis zum 18. November 2016 und vom 17. Januar bis zum 16. April 2017 trugen also nicht nur sechs der etwa 20 Kühe, sondern auch fünf Schafe und zwei Hunde auf dem Ökobauernhof ein Halsband mit einem daumengroßen Messgerät. „Diese Logger zeichnen sehr genau auf, wie sich das Tier in allen drei Dimensionen bewegt“, erklärt Martin Wikelski. „Daraus kann man dann Rückschlüsse auf die Aktivität und den Energieverbrauch ziehen.“
Als die Forscher diese Daten später analysierten und mit dem Auftreten der zahllosen kleineren und größeren Erdbeben verglichen, stießen sie auf interessante Zusammenhänge. „Wir sehen im Vorfeld der Beben tatsächlich bestimmte Verhaltensmuster“, sagt Martin Wikelski. Als besonders sensibel haben sich die Hunde erwiesen, die immer wieder hektisch herumliefen. Die Kühe dagegen verhielten sich zunächst sogar ruhiger als sonst. Dann aber ließen sie sich von der Nervosität der Hunde anstecken und bewegten sich ebenfalls mehr. „Es ist also aufschlussreich, ein ganzes Kollektiv von Tieren zu beobachten, weil die Mitglieder sich gegenseitig beeinflussen“, folgert der Forscher.
Wann die Nervosität einsetzt, ist dabei je nach Beben unterschiedlich.
Mal brach die Hektik schon zwanzig Stunden vorher aus, mal war es nur eine Stunde. „Entscheidend ist offenbar die Entfernung des Erdbebenherdes“, sagt Martin Wikelski. Je weiter der weg liegt, umso später bemerken die Tiere die Gefahr. Die verräterischen Anzeichen eines drohenden Bebens brauchen also wohl eine gewisse Zeit, bis sie sich über größere Entfernungen ausgebreitet und den Hof erreicht haben.
Was das für Indizien sein könnten, weiß allerdings noch niemand. Infrage käme zum Beispiel eine elektrostatische Aufladung der Luft, es gibt aber auch noch andere Theorien. Durch die Vorgänge im Untergrund muss sich jedenfalls auch an der Oberfläche irgendetwas verändern, das Tiere wahrnehmen können. „Sie spüren wohl, dass etwas komisch ist“, meint Martin Wikelski. „Und auf diese neue Situation reagieren sie mit einer klassischen Stressantwort.“Kann die Nervosität von Vierbeinern demnächst also zur Rettung für Menschen werden? Heiko Woith vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam ist da skeptisch. Dabei gehört er nicht zu jener Fraktion von Geowissenschaftlern, die eine Erdbebenvorhersage generell für unmöglich halten. Die bisherige Datenlage sei allerdings für eine Vorhersage deutlich zu dünn. „Es ist zwar gut, dass in dieser Studie Zeitreihen gemessen wurden“, kommentiert Heiko Woith. „Aber die sind einfach zu kurz, um daraus viel schließen zu können.“
Das sieht Martin Wikelski durchaus ähnlich. „Unsere Ergebnisse kann man noch nicht für eine Vorhersage nutzen“, betont der Forscher. „Wir brauchen auf jeden Fall mehr Daten.“So tragen die Kühe, Hunde und Schafe aus Capriglia auch weiterhin ihre Logger, die ihre Messwerte nun direkt aus dem Kuhstall auf die Computer der Forscher senden. Doch auch das wird nach Überzeugung der Wissenschaftler nicht genügen.
Denn da sich die Unruheherde der Welt in ihren geologischen Verhältnissen unterscheiden, haben auch die jeweiligen Erdbeben ihre Eigenheiten. Sollten italienische Farmtiere also tatsächlich vor solchen Ereignissen warnen können, muss das keineswegs auch für ihre Kollegen in anderen Regionen gelten. Deshalb sucht das Team aus Radolfzell nun nach weiteren Landwirten in bebenträchtigen Regionen wie Indonesien oder Kamtschatka, die ihre Tiere mit Loggern ausrüsten lassen wollen.