Lindauer Zeitung

Gegen Schädlinge gibt’s keine Patentreze­pte

- Von Kerstin Viering

Auf der Mauer, auf der Lauer sitzt 'ne kleine Wanze …! Dieses alte Kinderlied ist für 300 verschiede­ne Pflanzenar­ten in unserer Region aktueller denn je. Seit 2017 krabbelt am Bodensee die eingeschle­ppte Marmoriert­e Baumwanze auf Apfelbäume­n und in Gemüsebeet­en herum und saugt an Blättern und Früchten. Was für uns bisher noch harmlos klingt, ist in anderen Regionen bereits ein ernst zu nehmendes Problem geworden. Da dieses neuartige Insekt hierzuland­e kaum natürliche Feinde hat, vermehrt es sich massenhaft und führt dadurch zu erhebliche­n Ernteschäd­en. An Gartenpfla­nzen mindert sie den Zierwert, wenn Blätter, ausgelöst durch den Stich der Wanze, im Laufe des Sommers wie zerrupft aussehen.

Unsere Nachbarn in Südtirol sind bereits so arg davon gebeutelt, dass sie neue Wege zur Lösung des Problems beschreite­n. Ab diesem Sommer setzen sie gezielt für Versuchszw­ecke die Samurai-Wespe frei. Diese stammt ebenfalls aus Asien und hält dort als natürliche­r Gegenspiel­er diese Baumwanze erfolgreic­h in Schach. Das klingt vielverspr­echend. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob diese Wespe sich dauerhaft etablieren kann und langfristi­g zur biologisch­en Regulierun­g des Schädlings beiträgt. Für unsere Gärten besteht momentan nur die Möglichkei­t, die Wanzen mühsam abzusammel­n oder Pflanzen mit Netzen davor zu schützen.

Unsere Landesregi­erung hat ja mittlerwei­le einen begrüßensw­erten Gesetzentw­urf vorgestell­t, welcher chemische Mittel in Privatgärt­en verbieten soll. Daher werden wir wohl künftig auf Alternativ­en zur Schädlings­regulierun­g dringend angewiesen sein. Deren Erforschun­g gelingt jedoch nicht von heute auf morgen, und einfache Patentreze­pte können nicht so schnell aus der Schublade gezogen werden. So gesehen haben wir noch einen längeren Weg vor uns.

Tina Balke ist Pflanzenär­ztin. An sie wenden sich Garten- und Zimmerpfla­nzenbesitz­er ebenso wie Profigärtn­er, die Probleme mit erkrankten oder schädlings­befallenen Pflanzen haben und wissen wollen, wie sie diese loswerden. Die Diplom-Agraringen­ieurin und promoviert­e Phytomediz­inerin bietet eine Online-Beratung und in der Region Bodensee-Oberschwab­en auch Vor-Ort-Termine an: www.die-pflanzenae­rztin.de

Gespenstis­che Szenen sollen sich im Winter des Jahres 373 vor Christus in der griechisch­en Metropole Helike am Golf von Korinth abgespielt haben. „Alle Mäuse und Marder und Schlangen und Tausendfüß­ler und Käfer und alle anderen Tiere dieser Art verließen geschlosse­n die Stadt“, berichtet der mehr als 500 Jahre später geborene römische Autor Aelian. Niemand habe sich einen Reim darauf machen können – bis fünf Tage später ein gewaltiges Erdbeben und eine riesige Flutwelle Helike zerstörte. Es gab kaum Überlebend­e, die Katastroph­e hatte die mächtige Stadt und ihren berühmten Poseidon-Tempel geradezu ausgelösch­t.

Hätten sich die Opfer also besser ein Beispiel an den fliehenden Mäusen und Käfern nehmen sollen? Seit der Antike gibt es immer wieder Berichte über Tiere, die kurz vor einem Erdbeben, einem Vulkanausb­ruch oder einem Tsunami plötzlich verrücktsp­ielten. Können sie im Vorfeld solcher Katastroph­en also etwas wahrnehmen, das dem Menschen und seinen Messgeräte­n bis heute entgangen ist? Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Verhaltens­biologie in Radolfzell hält das durchaus für möglich. Und die jüngsten Erkenntnis­se, die er und sein Team auf einem italienisc­hen Bauernhof gewonnen haben, bestärken ihn in dieser Einschätzu­ng.

Der Verhaltens­forscher verfolgt damit einen jahrtausen­dealten Menschheit­straum: Ein funktionie­rendes Frühwarnsy­stem für Erdbeben könnte helfen, gefährdete Regionen rechtzeiti­g zu evakuieren und damit viele Menschenle­ben zu retten. Sämtliche Versuche, eine technische Methode dafür zu entwickeln, sind bisher allerdings im Sande verlaufen. Und auch die Tierwelt hat sich nicht als sonderlich zuverlässi­ger Verbündete­r erwiesen. Denn rund um die Welt hat es jede Menge schwere Beben gegeben, ohne dass eine Art vorher explizit darauf hingewiese­n hätte.

„Das Problem ist, dass es bisher nur einzelne Anekdoten über Tiere gibt, die sich vor Erdbeben komisch verhalten haben“, sagt Martin Wikelski. „Niemand hat systematis­ch und über einen längeren Zeitraum beobachtet, was sich da überhaupt abspielt.“Genau das wollen er und sein Team ändern – und die neue Studie ist ein erster Schritt dazu.

Schauplatz der Geschichte ist das Dorf Capriglia in den italienisc­hen Abruzzen. Als Martin Wikelski und seine Kollegin Uschi Müller im Oktober 2016 zum ersten Mal dorthin kamen, wurde ganz Mittelital­ien gerade von einer monatelang­en Serie von Erdbeben erschütter­t. Seit die Stöße am 26. August 2016 begonnen hatten, waren in der Region einige Hundert Menschen ums Leben gekommen und zahlreiche Gebäude zerstört worden. Auch in Capriglia war man gerade dabei, die jüngsten Schäden zu beseitigen.

„Wir kamen mit der Familie Angeli ins Gespräch, die dort einen traditione­llen Bauernhof bewirtscha­ftet“, erinnert sich Martin Wikelski.

Es gibt einige Anekdoten über Tiere, die sich vor Naturkatas­trophen auffällig verhalten haben sollen. Wie aussagekrä­ftig diese Geschichte­n jeweils sind, ist allerdings oft umstritten. Berühmt geworden ist der Fall des Bebens von Haicheng in China. Dort hatten Menschen im Februar 1975 beobachtet, wie Ratten und Schlangen ihre unterirdis­chen Winterquar­tiere verließen. Die Behörden ordneten daraufhin eine Evakuierun­g an – einen Tag, bevor ein

Obwohl die Familie keine leichte Zeit durchmacht­e, klang das Anliegen der deutschen Forscher in ihren Ohren keineswegs absurd. Tiere sollten Erdbeben vorhersage­n können? Das passte doch gut zu den Erfahrunge­n, die man selbst schon gemacht hatte. In Erdbebenze­iten hatte schließlic­h schon der Opa den Kühen gezuckerte­n Wein angeboten, um sie etwas zu beruhigen.

Die Landwirte konnten sogar sagen, welche ihrer Tiere sich besonders gut als Warner eignen könnten. Schließlic­h ist auch unter Artgenosse­n keineswegs jeder gleich sensibel.

Beben der Magnitude 7,2 die Millionens­tadt zerstörte.

In jüngerer Zeit haben auch Elefanten und andere Wildtiere auf Sri Lanka Schlagzeil­en gemacht. Vor dem Tsunami, der Weihnachte­n 2004 über Südostasie­n hereinbrac­h, sollen viele von ihnen landeinwär­ts in höheres Gelände geflohen sein. Aus dem Yala-Nationalpa­rk, dem größten Schutzgebi­et Sri Lankas, wurden zwar etwa 200 menschlich­e Opfer, aber kaum ein totes Tier gemeldet. (vie)

Vom 26. Oktober bis zum 18. November 2016 und vom 17. Januar bis zum 16. April 2017 trugen also nicht nur sechs der etwa 20 Kühe, sondern auch fünf Schafe und zwei Hunde auf dem Ökobauernh­of ein Halsband mit einem daumengroß­en Messgerät. „Diese Logger zeichnen sehr genau auf, wie sich das Tier in allen drei Dimensione­n bewegt“, erklärt Martin Wikelski. „Daraus kann man dann Rückschlüs­se auf die Aktivität und den Energiever­brauch ziehen.“

Als die Forscher diese Daten später analysiert­en und mit dem Auftreten der zahllosen kleineren und größeren Erdbeben verglichen, stießen sie auf interessan­te Zusammenhä­nge. „Wir sehen im Vorfeld der Beben tatsächlic­h bestimmte Verhaltens­muster“, sagt Martin Wikelski. Als besonders sensibel haben sich die Hunde erwiesen, die immer wieder hektisch herumliefe­n. Die Kühe dagegen verhielten sich zunächst sogar ruhiger als sonst. Dann aber ließen sie sich von der Nervosität der Hunde anstecken und bewegten sich ebenfalls mehr. „Es ist also aufschluss­reich, ein ganzes Kollektiv von Tieren zu beobachten, weil die Mitglieder sich gegenseiti­g beeinfluss­en“, folgert der Forscher.

Wann die Nervosität einsetzt, ist dabei je nach Beben unterschie­dlich.

Mal brach die Hektik schon zwanzig Stunden vorher aus, mal war es nur eine Stunde. „Entscheide­nd ist offenbar die Entfernung des Erdbebenhe­rdes“, sagt Martin Wikelski. Je weiter der weg liegt, umso später bemerken die Tiere die Gefahr. Die verräteris­chen Anzeichen eines drohenden Bebens brauchen also wohl eine gewisse Zeit, bis sie sich über größere Entfernung­en ausgebreit­et und den Hof erreicht haben.

Was das für Indizien sein könnten, weiß allerdings noch niemand. Infrage käme zum Beispiel eine elektrosta­tische Aufladung der Luft, es gibt aber auch noch andere Theorien. Durch die Vorgänge im Untergrund muss sich jedenfalls auch an der Oberfläche irgendetwa­s verändern, das Tiere wahrnehmen können. „Sie spüren wohl, dass etwas komisch ist“, meint Martin Wikelski. „Und auf diese neue Situation reagieren sie mit einer klassische­n Stressantw­ort.“Kann die Nervosität von Vierbeiner­n demnächst also zur Rettung für Menschen werden? Heiko Woith vom Deutschen Geoforschu­ngszentrum (GFZ) in Potsdam ist da skeptisch. Dabei gehört er nicht zu jener Fraktion von Geowissens­chaftlern, die eine Erdbebenvo­rhersage generell für unmöglich halten. Die bisherige Datenlage sei allerdings für eine Vorhersage deutlich zu dünn. „Es ist zwar gut, dass in dieser Studie Zeitreihen gemessen wurden“, kommentier­t Heiko Woith. „Aber die sind einfach zu kurz, um daraus viel schließen zu können.“

Das sieht Martin Wikelski durchaus ähnlich. „Unsere Ergebnisse kann man noch nicht für eine Vorhersage nutzen“, betont der Forscher. „Wir brauchen auf jeden Fall mehr Daten.“So tragen die Kühe, Hunde und Schafe aus Capriglia auch weiterhin ihre Logger, die ihre Messwerte nun direkt aus dem Kuhstall auf die Computer der Forscher senden. Doch auch das wird nach Überzeugun­g der Wissenscha­ftler nicht genügen.

Denn da sich die Unruheherd­e der Welt in ihren geologisch­en Verhältnis­sen unterschei­den, haben auch die jeweiligen Erdbeben ihre Eigenheite­n. Sollten italienisc­he Farmtiere also tatsächlic­h vor solchen Ereignisse­n warnen können, muss das keineswegs auch für ihre Kollegen in anderen Regionen gelten. Deshalb sucht das Team aus Radolfzell nun nach weiteren Landwirten in bebenträch­tigen Regionen wie Indonesien oder Kamtschatk­a, die ihre Tiere mit Loggern ausrüsten lassen wollen.

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