Singen bringt das Gehirn in Schwung
Wie Menschen mit Demenz durch Musik ein wenig Erleichterung verschafft werden kann, zeigt das ZDF-Chorprojekt mit Annette Frier
(KNA) - Annette Frier, Schauspielerin und Komikerin, hat im Januar 2020 für das ZDF ein Projekt mit demenzkranken Menschen begonnen, das auch die Forschung interessierte. Nun wird das Projekt im TV präsentiert.
Gemeinsam mit Chorleiter Eddi Hüneke (früher bei den „Wise Guys“) hat die Künstlerin Annette Frier in einem Kölner Seniorenheim einen Chor für Menschen mit Demenz ins Leben gerufen. Sänger Max Mutzke, bekannt geworden beim European Song Contest ESC 2004, probte mit den Sängerinnen und Sängern und schrieb ein Lied für sie. Auch die Universität Mainz begleitete das Projekt und demonstrierte per MRTScan, wie Musik die Hirnaktivität in Schwung bringt. Der erste Teil des Vierteilers „Unvergesslich – Unser Chor für Menschen mit Demenz“, läuft am 21. Juli um 21.15 Uhr im ZDF. Teil zwei bis vier werden in den Folgewochen jeweils dienstags um 22.45 Uhr ausgestrahlt.
Ist es möglich, dass ein paar unbeschwerte Stunden und gemeinsames Singen demenzkranken Menschen neuen Lebensmut bringen? Schauspielerin Frier ist davon überzeugt und wollte ausprobieren, was sie in ihrer eigenen Familie erlebt hatte. Singen war das Einzige, das ihre Oma aus ihrem Dämmerzustand herausholen konnte. „Singen macht gute Laune und lindert Schmerzen. Es ist unmöglich, ein Lied zu schmettern und gleichzeitig in Grübeleien zu versinken“, meint Frier: „Leute, probiert es bitte aus! Singt! Laut! Es hilft gegen alle Arten von Sorgen!“
Anfang des Jahres ging es los – mit etwa 20 Menschen, die mit der Diagnose Demenz leben, und ihren Angehörigen. Frier hatte einen bundesweiten Aufruf an Betroffene gestartet, sich zu melden, wenn sie Interesse an einem Chor für Demenz-Patienten hätten. Die Resonanz war überwältigend, berichtet sie auf der Fahrt zu einem Chorteilnehmer. Zwei Monate wollten sie proben und dann ein Abschlusskonzert geben.
Doch dann kam Corona dazwischen, und die Schlussaufführung musste gestrichen werden. Die meisten Drehtermine konnten noch vor den corona-bedingten Einschränkungen realisiert werden. Und der Höhepunkt fehlt auch nicht: Frier und ihre Freundin Cordula Stratmann mit Mutzke und Chorleiter Eddi Hüneke organisieren mit allen
Sängern und deren Angehörigen einen fidelen Kneipenabend. Die Stimmung zeigt, dass sich Krankheit und Lebensfreude nicht ausschließen müssen.
Frier besuchte die Teilnehmer auch zu Hause, um sich zu erkundigen, wie es ihnen geht. Bruno, 68, ein ehemaliger Jurist, und seine 65-jährige Frau Renate wohnen etwas außerhalb von Köln. Bruno hat seit vier Jahren Demenz. Er spielt zur Begrüßung Klavier, mit ein paar Aussetzern. Bruno empfand die Diagnose als absoluten Weltuntergang, erzählt er. Freude brächten ihm heute nur noch die Familie und die Musik. Dann sei es für ihn, als würden ein paar Lampen angeknipst.
Vielen der Teilnehmer geht es ähnlich. Sie tauen im Lauf des Projekts immer mehr auf. Rita zum Beispiel ist 89 und sagt, dass sie im Verlust von Erinnerungen auch eine Form von Armut sehe. Ihr Ehemann Hans, 81, begleitet sie gern zu den Proben. Man fühle sich schon wie eine große Familie, die traurig sei, wenn sie wieder auseinandergehe, erklärt er. Rolf (53), Ehemann des demenzkranken Beni (62), bringt die Gefühlslage auf den Punkt mit den Worten: „Es hat mal jemand gesagt, das Herz wird nicht dement.“
Die Wissenschaftler aus dem Bereich Altersmedizin messen Puls und Stressfaktor der betagten Sänger und checken auch Friers Gehirn im Computertomograph. Die Hauptfrage
der Begleitstudie lautet, „wie sich das Singen sowie die Teilhabe an einer Gemeinschaft auf die Lebenssituation demenziell veränderter Menschen und ihrer Angehörigen auswirkt“.
Der Vierteiler schildert eindrucksvoll und mit großer Authentizität, wie sich die Teilnehmer öffnen und ein großes Stück ihrer Lebensqualität zurückgewinnen. Dies zu beobachten, ist anrührend und überraschend zugleich. Der Zuschauer wird von Folge zu Folge neugieriger, wie sich die Geschichte weiter entwickelt.
„Unvergesslich – Unser Chor für Menschen mit Demenz“basiert auf dem BBC-Format „Our Dementia Choir“und wurde im Auftrag des ZDF für Deutschland adaptiert.
Unvergesslich – Unser Chor für Menschen mit Demenz, Vierteiler mit Annette Frier. ZDF, Teil 1: Di., 21. Juli, 21.15 – 22 Uhr