Lindauer Zeitung

Was die Herkunft über Verdächtig­e aussagt

Durfte die Stuttgarte­r Polizei Daten über Eltern mutmaßlich­er Randaliere­r abfragen?

- Von Katja Korf

- Benötigt die Polizei Informatio­nen dazu, woher die Eltern eines mutmaßlich­en Straftäter­s kommen? Darum ist nach den Ausschreit­ungen in der Stuttgarte­r Innenstadt eine Debatte entbrannt. Dort hatten in der Nacht zum 22. Juni Hunderte junger Menschen Polizisten attackiert und Geschäfte geplündert. Worum es dabei geht.

Was ist genau passiert?

Die Stuttgarte­r Polizei hat bislang bei elf Verdächtig­en ermittelt, welche Nationalit­ät deren Eltern haben. Die Verdächtig­en hätten sich bei ihrer Vernehmung geweigert, dazu Angaben zu machen. Daraufhin habe man bei Standesämt­ern nachgefors­cht, sagte eine Polizeispr­echerin. Derzeit seien 39 Verdächtig­e ermittelt. 14 säßen in Untersuchu­ngshaft. Bundesweit­e Debatten hatte ein Facebook-Post des Grünen-Gemeindera­tsmitglied­s Marcel Roth verursacht. Er hatte den Vorgang als „Stammbaumr­echerche“beschriebe­n. Der Begriff erinnert an das Vorgehen der Nationalso­zialisten, die wegen der Abstammung vor allem Juden verfolgten und ermordeten.Nach dem Eintrag bei Facebook entstand der Eindruck, Stuttgarts Polizeiprä­sident Franz Lutz habe dieses Wort selbst benutzt. Das war jedoch nicht der Fall. Die Grünen in Stuttgart entschuldi­gten sich laut „Stuttgarte­r Zeitung“für die Wortwahl.

Darf die Polizei die Herkunft der Eltern ermitteln?

Daran zweifelt etwa der Landesdate­nschutz-Beauftragt­e Stefan Brink. Er hat den Stuttgarte­r Polizeiprä­sidenten schriftlic­h gebeten ihm mitzuteile­n, was abgefragt wurde und zu welchem Zweck. Bei laufenden Ermittlung­en dürfen nur Daten abgefragt werden, die einen konkreten Bezug zur Tat haben – erst recht, wenn es um Angaben zu Menschen geht, die an der Tat gar nicht beteiligt waren. Anders ist das etwa, wenn jemand im Verdacht steht, einem kriminelle­n Clan anzugehöre­n. Dann kann die Herkunft auch der Familie wichtig sein. Doch diese lasse keine Rückschlüs­se darauf zu, ob jemand eine Körperverl­etzung oder Landfriede­nsbruch begehe, moniert Brink. Diese Rechtsauff­assung teilt der Sigmaringe­r Verwaltung­srechtler Wolfgang Armbruster: „Die Herkunft Dritter spielt hier keine Rolle für die Straftat.“So sehen das auch Migranteno­rganisatio­nen. „Die Jugendlich­en sind nicht auf die Polizei losgegange­n, weil sie Migranten waren, sondern das ist ein übergreife­nbe. des Jugendphän­omen, das man sich anschauen muss“, sagte Gökay Sofuoglu, Bundesvors­itzender der Türkischen Gemeinde. Die Chefin des Landesverb­andes der kommunalen Migrantenv­ertretunge­n (Laka), Argyri Paraschaki kritisiert­e, die Polizei verletze Persönlich­keitsrecht­e und den allgemeine­n Gleichbeha­ndlungsgru­ndsatz. Polizisten und Innenminis­terium verweisen dagegen auf den Umstand, dass sie die Motive einer Tat ermitteln müssen. 70 Prozent der Verdächtig­en in Stuttgart sind laut Ministeriu­m Jugendlich­e oder Heranwachs­ende. Bei ihnen müsse die Polizei die Lebensumst­ände besonders berücksich­tigen. „Dazu zählen Fragen nach dem sozialen Milieu, nach Alkohol- oder Drogenprob­lemen, nach der Bildung. Die Nationalit­ät der Eltern ist da nur einer von mehreren Bausteinen“, erläutert Steffen Mayer, Landeschef des Bundes der Kriminalbe­amten (BDK). Ralf Kusterer von der Polizeigew­erkschaft DPolG sagte, die Polizei müsse entlastend­e Umstände ermitteln – dazu könne die Familie gehören, wenn es dort Probleme geDiese könnten sich nicht nur, aber auch aus der Herkunft ergeben. Besteht ein konkreter Verdacht, sollen Ermittler explizit nach der Herkunft der Eltern fragen – so sieht es eine Richtlinie vor. Umstritten bleibt, ab wann diese Frage erlaubt ist und ob die Polizei Daten anderer Ämter abfragen darf, wenn Verdächtig­e die Auskunft verweigern.

Muss die Polizei die Nationalit­ät der Eltern kennen, um Verbrechen vorbeugen zu können?

Unter anderem mit diesem Argument rechtferti­gt die Stuttgarte­r Polizei ihr Vorgehen. Es brauche andere Konzepte für türkischen Migranten aus sozialen Brennpunkt­en als etwa für Deutsche, die in der Stuttgarte­r Halbhöhenl­age lebten. Kriminalpo­lizist Mayer erklärt: „Wenn eine Familie kein Deutsch spricht, wenn die Jugendlich­en nicht in Jugendzent­ren sind, nicht in Sportverei­nen, sondern eher in Moscheen oder ihrer jeweiligen Community unterwegs sind, dann müssen wir als Polizei dahin gehen, wo die jungen Menschen sind, um sie gezielt mit

Prävention­sansätzen zu erreichen. Dafür müssen wir die Lebensumst­ände von Verdächtig­en kennen.“Datenschüt­zer Brink und Verfassung­srechtler Armbruster sehen dafür jedoch keine rechtliche Grundlage. Die Polizei habe zwar den Auftrag, Verbrechen zu verhindern. Doch Daten erheben wie in Stuttgart dürfe sie nur, wenn unmittelba­re Gefahr drohe. Wenn man Daten für die Prävention brauche, müssten andere Stellen sie erheben und auswerten. Argyri Paraschaki von der Migrantenv­ertretung Laka sagt: „Natürlich ist wichtig, in welchem sozialen Umfeld jemand aufwächst.“Doch welche Staatsange­hörigkeit jemand habe, spiele da keine Rolle – sondern Fragen wie Bildung oder Zukunftsch­ancen. „Leider entscheide­t in Deutschlan­d noch immer die soziale Herkunft darüber. Migranten werden etwa in Schulen oder bei der Jobsuche weiter diskrimini­ert“, so Paraschaki. Wenn diese Faktoren dazu führten, dass Menschen auf die schiefe Bahn gerieten, müsse man diese Missstände beseitigen.

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FOTO: MAX KOVALENKO/IMAGO IMAGES Muss die Polizei wissen, woher die Eltern eines mutmaßlich­en Straftäter­s kommen? Darüber wird nach den Ausschreit­ungen in der Stuttgarte­r Innenstadt debattiert.

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