In Ungnade
Der Chabarowsker Gouverneur Sergei Furgal sitzt als Mordverdächtiger in U-Haft. Der frühere Duma-Abgeordnete der Liberaldemokratischen Partei (LDPR), seit 2018 Gouverneur von Chabarowsk, wird des Mordes angeklagt. Aber die Bevölkerung will das nicht glauben. Der Kreml sieht sich plötzlich einer Straßenopposition gegenüber, wenn auch einer in 6100 Kilometer Entfernung.
Nach dem Erfolg für Wladimir Putin bei der Verfassungsabstimmung am 1. Juli schien Furgals Verhaftung ähnlich wie die Spionageanklage gegen den Moskauer Journalisten Iwan Safronow zu den Maßnahmen zu gehören, mit denen die Staatsmacht ihre Macht ausbauen wollte. Gegen Furgal wurde schon 2019 ermittelt, ein früherer Geschäftspartner bestätigte laut der Nachrichtenagentur Interfax seine Schuld. Nach Medienberichten waren sich die Ermittler schon vor 15 Jahren ziemlich sicher, dass Furgal, der mit Alteisen handelte, zwei Morde und einen Mordanschlag an geschäftlichen Konkurrenten auf dem Gewissen hat. „Alle wussten es, aber sie drückten beide Augen zu, bis er Gouverneur wurde“, schreibt das Portal Rosbalt.
Als Gouverneur sammelte Furgal Punkte bei der Bevölkerung: Er drückte das eigene Gehalt um 60 Prozent, stutzte seinen Beamtenapparat und bot eine von seinem Vorgänger angeschaffte Luxusjacht zum Verkauf an. Aus Kreml-nahen Kreisen heißt es, Furgal habe Moskau nach dem ersten Wahlkampf 2018 versprochen, einen Rückzieher zugunsten des Amtsinhabers zu machen, dieses Versprechen aber gebrochen. „Er hat es in fast zwei Jahren im Amt versäumt, sich mit den Sicherheitsorganen und der Präsidialverwaltung auf Spielregeln zu einigen“, sagt der Petersburger Politologe Dmitri Trawin der „Schwäbischen Zeitung“. „Hätte er es getan, säße er jetzt noch hinter seinem Schreibtisch.“Viele Beobachter glauben, das Fass sei übergelaufen, als Chabarowsk bei Putins Verfassungsabstimmung eines der schlechtesten Ergebnisse einfuhr: 44 Prozent Beteiligung und 63 Prozent Ja-Stimmen. Stefan Scholl