Ballermann bereitet Spahn Kopfzerbrechen
Feiermeile darf laut Minister kein „zweites Ischgl“werden – Corona-Folgen sind laut Studie sehr ungleich verteilt
- Kurz vor der Hochphase der Sommerferien hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Bürger zur Wachsamkeit in der Corona-Pandemie aufgerufen. „Die Gefahr einer zweiten Welle ist real“, sagte der CDU-Politiker in Berlin. Trotz geringer Neuinfiziertenzahlen in Deutschland solle man die „Aha“-Regeln – Alltagsmaske, Hygiene, Abstand – weiter beherzigen. Dann lasse sich eine zweite Welle verhindern.
Warum warnt Spahn jetzt?
Das hat vier Gründe: Erstens starten in dieser Woche drei weitere Bundesländer in die Sommerferien, damit sind zwölf von sechzehn Ländern im Urlaubsmodus. Zweitens zeichnen sich in mehreren Ländern zweite Wellen ab. Neben den USA sind dies unter anderem auch bisher gut durch die Krise gekommene Staaten wie Israel, Südafrika oder Japan. Drittens steigen die Fallzahlen weltweit weiter und erreichen laut Johns-Hopkins-Universität die 13-Millionen-Marke (knapp 570 000 Tote), was auch die Risiken im Auslandsurlaub steigen lässt. Und viertens haben Berichte über Partys auf Mallorca, bei denen Hunderte Gäste die Aha-Regeln missachtet haben sollen, den Minister aufgeschreckt.
Was sagt Spahn zu den Feiern?
„Ich bin jetzt wirklich kein Spielverderber oder Spaßverderber oder Feierverächter, aber es ist halt grad nicht die Zeit dafür“, erklärte der Minister. Insbesondere bei Mallorca, wo die Touristen eng beieinander sitzend in Flugzeugen an- und abreisen, sei die Virengefahr groß. „Wir müssen sehr aufpassen, dass der Ballermann nicht ein zweites Ischgl wird“, sagte Spahn mit Blick auf die Corona-Verbreitung aus dem österreichischen Skiort. Auch für private Ersatzfeiern für die abgesagte Münchner Wiesn zeigte er wenig Verständnis. Manche Menschen seien in einem „Jetzt-erst-recht-Modus“, was Feiern anginge, so Spahn.
Wie ist die Lage in Deutschland?
Laut Robert-Koch-Institut (RKI) ist das Virus derzeit in Deutschland weitgehend unter Kontrolle. Am Montag meldete das RKI 159 neue Erkrankungen (aus technischen Gründen ohne Baden-Württemberg). Damit steigt die Gesamtzahl auf 198 963, davon sind 9064 gestorben und rund 5000 Personen aktuell infiziert.
Was macht Europa?
Am Donnerstag treffen sich die EUGesundheitsminister unter deutschem Ratspräsidentschaftsvorsitz. Dabei will Spahn klären, wie Europa bei der medizinischen Versorgung unabhängiger werden kann. Es solle sich nicht in China entscheiden, ob Berlin genug Schutzmasken und Medikamente habe. Auch will Spahn das RKI und die vom Austritt der USA geschwächte Weltgesundheitsorganisation WHO stärken.
Wie läuft die Corona-App?
Das Programm wurde mittlerweile mehr als 15,5 Millionen Mal heruntergeladen. Derzeit werde an der Beseitigung von Fehlermeldungen gearbeitet, zudem soll in diesen Tagen eine türkische Sprachvariante hinzukommen. Für Spahn ist die App angesichts von bisher etwa 500 Infektionsmeldungen ein Erfolg.
Ist die Dunkelziffer der Infizierten nicht viel höher?
Das RKI geht davon aus, dass die meisten Deutschen noch keinen Kontakt mit dem neuartigen CovidErreger hatten. Anlass ist eine Untersuchung von Blutspenden, bei der in nur etwa einer von 100 Proben Antikörper gefunden wurden. Allerdings ist die Studie nicht repräsentativ, da Kranke und homosexuelle Männer kein Blut spenden dürfen.
Macht die Corona-Pandemie den Deutschen Sorgen?
Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag des Gesundheitsministeriums zufolge beschäftigen sich etwa drei Viertel der Bürger oft mit Corona. Bei den Jüngeren ist es etwa die Hälfte, bei den über 80-Jährigen bis zu 90 Prozent. Die Mehrheit der 30 000 Befragten hält eine zweite Welle für möglich oder sicher und ist mit den Einschränkungen einverstanden.
Wie groß ist die Angst vor sozialen Folgen?
Forsa zufolge glaubt nur etwa jeder zehnte Befragte, dass er in Schwierigkeiten gerät, nur jeder fünfte verzeichnete Einkommensverluste. Allerdings sind einzelne Gruppen besonders hart getroffen. Große materielle Verluste und Sorgen haben demnach vor allem Kurzarbeiter, Freiberufler, kleine Selbstständige sowie Landwirte. Die größten Verlierer sind laut Umfrage die alleinerziehenden Frauen, die zu 85 Prozent Einschränkungen hinnehmen mussten, 40 Prozent mussten ihre Arbeit einstellen.
Hat Corona auch was Gutes?
Immerhin 40 Prozent der von Forsa befragten Westdeutschen konnten der Pandemie etwas Gutes wie Entschleunigung abgewinnen. Im Osten waren es nur 28 Prozent.