Lindauer Zeitung

Ballermann bereitet Spahn Kopfzerbre­chen

Feiermeile darf laut Minister kein „zweites Ischgl“werden – Corona-Folgen sind laut Studie sehr ungleich verteilt

- Von Klaus Wieschemey­er

- Kurz vor der Hochphase der Sommerferi­en hat Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn die Bürger zur Wachsamkei­t in der Corona-Pandemie aufgerufen. „Die Gefahr einer zweiten Welle ist real“, sagte der CDU-Politiker in Berlin. Trotz geringer Neuinfizie­rtenzahlen in Deutschlan­d solle man die „Aha“-Regeln – Alltagsmas­ke, Hygiene, Abstand – weiter beherzigen. Dann lasse sich eine zweite Welle verhindern.

Warum warnt Spahn jetzt?

Das hat vier Gründe: Erstens starten in dieser Woche drei weitere Bundesländ­er in die Sommerferi­en, damit sind zwölf von sechzehn Ländern im Urlaubsmod­us. Zweitens zeichnen sich in mehreren Ländern zweite Wellen ab. Neben den USA sind dies unter anderem auch bisher gut durch die Krise gekommene Staaten wie Israel, Südafrika oder Japan. Drittens steigen die Fallzahlen weltweit weiter und erreichen laut Johns-Hopkins-Universitä­t die 13-Millionen-Marke (knapp 570 000 Tote), was auch die Risiken im Auslandsur­laub steigen lässt. Und viertens haben Berichte über Partys auf Mallorca, bei denen Hunderte Gäste die Aha-Regeln missachtet haben sollen, den Minister aufgeschre­ckt.

Was sagt Spahn zu den Feiern?

„Ich bin jetzt wirklich kein Spielverde­rber oder Spaßverder­ber oder Feierveräc­hter, aber es ist halt grad nicht die Zeit dafür“, erklärte der Minister. Insbesonde­re bei Mallorca, wo die Touristen eng beieinande­r sitzend in Flugzeugen an- und abreisen, sei die Virengefah­r groß. „Wir müssen sehr aufpassen, dass der Ballermann nicht ein zweites Ischgl wird“, sagte Spahn mit Blick auf die Corona-Verbreitun­g aus dem österreich­ischen Skiort. Auch für private Ersatzfeie­rn für die abgesagte Münchner Wiesn zeigte er wenig Verständni­s. Manche Menschen seien in einem „Jetzt-erst-recht-Modus“, was Feiern anginge, so Spahn.

Wie ist die Lage in Deutschlan­d?

Laut Robert-Koch-Institut (RKI) ist das Virus derzeit in Deutschlan­d weitgehend unter Kontrolle. Am Montag meldete das RKI 159 neue Erkrankung­en (aus technische­n Gründen ohne Baden-Württember­g). Damit steigt die Gesamtzahl auf 198 963, davon sind 9064 gestorben und rund 5000 Personen aktuell infiziert.

Was macht Europa?

Am Donnerstag treffen sich die EUGesundhe­itsministe­r unter deutschem Ratspräsid­entschafts­vorsitz. Dabei will Spahn klären, wie Europa bei der medizinisc­hen Versorgung unabhängig­er werden kann. Es solle sich nicht in China entscheide­n, ob Berlin genug Schutzmask­en und Medikament­e habe. Auch will Spahn das RKI und die vom Austritt der USA geschwächt­e Weltgesund­heitsorgan­isation WHO stärken.

Wie läuft die Corona-App?

Das Programm wurde mittlerwei­le mehr als 15,5 Millionen Mal herunterge­laden. Derzeit werde an der Beseitigun­g von Fehlermeld­ungen gearbeitet, zudem soll in diesen Tagen eine türkische Sprachvari­ante hinzukomme­n. Für Spahn ist die App angesichts von bisher etwa 500 Infektions­meldungen ein Erfolg.

Ist die Dunkelziff­er der Infizierte­n nicht viel höher?

Das RKI geht davon aus, dass die meisten Deutschen noch keinen Kontakt mit dem neuartigen CovidErreg­er hatten. Anlass ist eine Untersuchu­ng von Blutspende­n, bei der in nur etwa einer von 100 Proben Antikörper gefunden wurden. Allerdings ist die Studie nicht repräsenta­tiv, da Kranke und homosexuel­le Männer kein Blut spenden dürfen.

Macht die Corona-Pandemie den Deutschen Sorgen?

Einer Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa im Auftrag des Gesundheit­sministeri­ums zufolge beschäftig­en sich etwa drei Viertel der Bürger oft mit Corona. Bei den Jüngeren ist es etwa die Hälfte, bei den über 80-Jährigen bis zu 90 Prozent. Die Mehrheit der 30 000 Befragten hält eine zweite Welle für möglich oder sicher und ist mit den Einschränk­ungen einverstan­den.

Wie groß ist die Angst vor sozialen Folgen?

Forsa zufolge glaubt nur etwa jeder zehnte Befragte, dass er in Schwierigk­eiten gerät, nur jeder fünfte verzeichne­te Einkommens­verluste. Allerdings sind einzelne Gruppen besonders hart getroffen. Große materielle Verluste und Sorgen haben demnach vor allem Kurzarbeit­er, Freiberufl­er, kleine Selbststän­dige sowie Landwirte. Die größten Verlierer sind laut Umfrage die alleinerzi­ehenden Frauen, die zu 85 Prozent Einschränk­ungen hinnehmen mussten, 40 Prozent mussten ihre Arbeit einstellen.

Hat Corona auch was Gutes?

Immerhin 40 Prozent der von Forsa befragten Westdeutsc­hen konnten der Pandemie etwas Gutes wie Entschleun­igung abgewinnen. Im Osten waren es nur 28 Prozent.

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FOTO: FLORIAN GAERTNER/IMAGO IMAGES Deutschlan­d steht bei der Corona-Bekämpfung momentan relativ gut da, weltweit sprechen die Zahlen eine andere Sprache. Gesundheit­sminister Spahn appeliert deshalb, in der Urlaubszei­t wachsam zu bleiben.

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