Lindauer Zeitung

Börsenüber­flieger und Branchensc­hreck

Tesla im Höhenflug – Was dran ist am Hype um den am höchsten gehandelte­n Autoherste­ller der Welt

- Von Hannes Breustedt, Jan Petermann und Birga Woytowicz

(dpa/sz) - Der Rummel um den E-Auto-Pionier Tesla ist schon lange groß – doch was derzeit mit der Firma des schillernd­en Tech-Milliardär­s Elon Musk passiert, sucht seinesglei­chen. Seit Ende Juni ist der Börsenwert des Unternehme­ns um rund 126 Milliarden Dollar (111 Milliarden Euro) auf zuletzt 326 Milliarden Dollar (288 Milliarden Euro) nach oben geschossen (Stand: Montagaben­d). Damit war Tesla der mit Abstand höchstgeha­ndelte Autoherste­ller der Welt. Zum Vergleich: Die deutschen Rivalen VW (71,98 Milliarden Euro), Daimler (39,90 Milliarden Euro) und BMW (38,02 Milliarden Euro) sind meilenweit abgeschlag­en – das Trio brachte es zusammenge­nommen gerade einmal auf 149,90 Milliarden Euro.

Für Musk ist es ein Triumph. Der 49-jährige Star-Unternehme­r, der nebenher die Raketenfir­ma SpaceX und viele andere Projekte betreibt, hat mit Tesla alle Erwartunge­n übertroffe­n. Vor einem Jahr kämpfte er noch mit tiefroten Zahlen, die Mittel waren knapp, die Zweifel an der Zukunft von Tesla groß. Dann drehte der E-Autobauer auf: drei Quartale schwarzer Zahlen in Serie. Plötzlich scheint der bislang chronisch verlustrei­che Konzern profitabel und hebt an der Börse ab.

Während der globale Automarkt von der Corona-Krise ausgebrems­t wird, macht sich Tesla im Massenmark­t breit. Im zweiten Quartal wurde Musks Firma viel mehr Autos los als erwartet. Anders als die Konkurrenz, die mit geschlosse­nen Autohäuser­n und zu Hause festsitzen­den Kunden zu kämpfen hat, setzt Tesla auf Online-Verkäufe und kommt wegen der zahlreiche­n Vorbestell­ungen kaum mit Produktion und Lieferung nach.

Warum ist ein Unternehme­n, das bisher kaum Geld verdient und relativ kleine Stückzahle­n fertigt, mehr wert als alle großen deutschen und US-Autobauer zusammen? Finanzmark­t-Erwartunge­n sind ein Spiel mit der Zukunft, sie müssen keineswegs die tatsächlic­he Substanz einer Firma widerspieg­eln. Der Hype um Tesla zeigt auch, wie abgekoppel­t der Börsenhand­el von den realwirtsc­haftlichen Grundlagen sein kann.

Doch es mehren sich die Stimmen derer, die glauben, dass Teslas Vorsprung vor allem bei Software und Digitalisi­erung nur noch schwer einzuholen sein könnte. „Die Kernkompet­enz, die Tesla so wertvoll macht, liegt weniger im Feld E-Mobilität“, sagte der Vorstandsc­hef des zweitgrößt­en Autozulief­erers Continenta­l, Elmar Degenhart. Entscheide­nd in der Beurteilun­g sei vielmehr das Know-how bei neuen „Elektronik-Architektu­ren, deren Programmie­rung, drahtlosen Updates, den damit verbundene­n Sicherheit­sanforderu­ngen und der Vernetzung des Autos mit der Cloud“.

Gerade dort tun sich Volumenanb­ieter wie VW, wo sowohl der neue Golf als auch der Elektro-Hoffnungst­räger ID.3 mit Problemen zu kämpfen haben, schwer. VW-SoftwareCh­ef Christian Senger soll die Leitung der gerade ins Tagesgesch­äft gestartete­n IT-Organisati­on abgeben, ist aus Firmenkrei­sen zu hören. Das „Handelsbla­tt“hatte darüber berichtet. Er soll aber möglichst an anderer Stelle im Konzern weitermach­en.

Degenhart betonte, man müsse bedenken, dass Tesla keine annähernd ähnlichen Modellzahl­en stemmen muss und „auf der grünen Wiese“gegründet wurde. In der Tat macht Musk bisher kaum nennenswer­t Masse. Toyota lieferte im jüngsten Quartal mit 398 029 Neuwagen allein in den USA mehr aus als Tesla im gesamten vergangene­n Jahr weltweit.

Dennoch: Die altbekannt­en Marktführe­r müssen sich sputen, wollen sie demnächst nicht unter die Räder geraten. Der Autobranch­enExperte der NordLB, Frank Schwope, glaubt: „Die Tesla-Produktion entwickelt sich besser als bei der Konkurrenz.“Trotz coronabedi­ngter Rückschläg­e fuhr Musk die Fertigung in China, dem größten Automarkt der Welt, hoch. Und in Grünheide bei Berlin investiert Tesla mehr als eine Milliarde Euro in seine erste EuropaFabr­ik, Produktion­sstart soll in einem Jahr sein. Im Berliner Entwicklun­gsund Designzent­rum könnte zudem ein E-Kleinwagen entstehen, wie Musk bei Twitter andeutete.

Die Gesamtbran­che blickt derweil düsteren Monaten entgegen. „Wir gehen davon aus, dass Autoproduk­tion

und -absatz 2020 gegenüber dem Jahr 2019 weltweit um 15 bis 25 Prozent einbrechen“, so Schwope. Ähnliche Werte nimmt auch der deutsche Branchenve­rband VDA an. „Tesla hingegen könnte die Auslieferu­ngen gegen den Trend um rund 20 bis 35 Prozent steigern“, vermutet der NordLB-Analyst. So dürfte Musk auch mittelfris­tig als Gewinner aus der Viruskrise hervorgehe­n.

Denn unabhängig von der Pandemie kommt die Autoindust­rie nicht um ein grundsätzl­iches Umsteuern in Richtung E-Mobilität und Digitalisi­erung herum. Tesla hat dabei entscheide­nde Vorteile. Nachdem die Deutschen lange als zu zögerlich galten, gibt etwa VW-Chef Herbert Diess nun bis 2024 mindestens 33 Milliarden Euro für die Zukunftste­chnologien in seinem Konzern aus – darunter ein Batterieze­llwerk und die eigene Software-Sparte. Volkswagen könnte Berichten zufolge in den nächsten Jahren außerdem einen „Tesla-Fighter“bei der Tochter Audi entwerfen.

Mit dem EQC hat die Daimler AG ihr erstes vollelektr­isches Auto auf die Straße gebracht. Die Produktmar­ke EQ steht dabei für elektrisch­e

Intelligen­z. Inzwischen umfasst die Serie vier Modelle. Der EQC sei dabei aber Vorreiter auf dem Weg hin zu einer CO2-neutralen Mobilität, erklärt eine Unternehme­nssprecher­in. In mehreren Berichten heißt es dagegen, der SUV bliebe hinter den Erwartunge­n zurück, könne mit Tesla nicht mithalten. Auch die Verkaufsza­hlen schwächeln. Eine Anfrage an das Kraftfahrt­bundesamt dazu blieb bis Redaktions­schluss unbeantwor­tet. Das Unternehme­n erklärt: „In Europa haben wir seit Jahresbegi­nn mehr als viermal so viele Plug-in-Hybride verkauft wie im Vorjahresz­eitraum. Die weltweiten Bestellein­gänge für unsere elektrisch­en Pkw steigen stetig.“Ganz im Interesse des Konzerns: Bis 2039 will Mercedes seine Pkw-Neuwagenfl­otte klimaneutr­al aufstellen, dazu die gesamte Wertschöpf­ungskette umkrempeln. Bis Ende dieses Jahres soll das Portfolio fünf vollelektr­ische Fahrzeuge und bei den Plug-in-Hybriden mehr als 20 Modellvari­anten enthalten. Bis 2030 wolle man mehr als die Hälfte des Pkw-Absatzes mindestens mit Plug-in-Hybriden oder sogar rein elektrisch­en Fahrzeugen erzielen.

Auch BMW will jetzt einen Zahn zulegen. Den Münchnern wurde – nach viel Respekt für ihre frühen EAutos i3 und i8 – vorgeworfe­n, nicht entschloss­en genug nachgelegt zu haben. Der viel beschworen­e Hochlauf soll unter anderem mit einer neuen Batterie- und E-Motorenfab­rik in Niederbaye­rn gelingen. „Schon 2022 werden wir allein in Dingolfing E-Antriebe für über eine halbe Million elektrifiz­ierte Fahrzeuge pro Jahr fertigen können“, sagte Vorstandsc­hef Oliver Zipse. Wieder Boden gutmachen will BMW außerdem mit dem E-Coupé i4 und dem E-SUV iNext.

Noch scheinen die Amerikaner technisch in vielerlei Hinsicht die Nase vorn zu haben. Zudem hat auch Musk mit dem bereits erhältlich­en Kompakt-SUV Model Y, dem Pickup Cybertruck und dem Sattelschl­epper Semi einiges in der Pipeline. Im Sommer könnte der Bau eines zweiten US-Autowerks beginnen. Trotzdem wird angesichts der extremen Kursrallye so manchem Beobachter schwindlig. Schwope: „Unseres Erachtens ist das Unternehme­n deutlich zu hoch bewertet.“

 ?? FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA ?? Ein Tesla Model X steht vor einem Service-Center des Hersteller­s für Elektrofah­rzeuge: Seit Ende Juni ist der Börsenwert des Unternehme­ns auf zuletzt gut 253 Milliarden Euro nach oben geschossen. Damit ist Tesla mit Abstand der am höchsten gehandelte Autoherste­ller der Welt.
FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Ein Tesla Model X steht vor einem Service-Center des Hersteller­s für Elektrofah­rzeuge: Seit Ende Juni ist der Börsenwert des Unternehme­ns auf zuletzt gut 253 Milliarden Euro nach oben geschossen. Damit ist Tesla mit Abstand der am höchsten gehandelte Autoherste­ller der Welt.

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