Lindauer Zeitung

25 Jahre MP3 – und wer hat’s erfunden?

1995 hat der Siegeszug eines neuen Dateiforma­ts begonnen – Inzwischen ist die Technologi­e zur Audiokompr­ession längst Standard

- Von Christoph Dernbach

(dpa) - „1000 Songs in deiner Tasche.“Bei der Premiere des ersten iPods im Oktober 2001 brachte Apple-Chef Steve Jobs das revolution­äre Konzept des Musik-Dateiforma­ts MP3 auf den Punkt. Das Verfahren MP3 zur Datenreduk­tion ermöglicht­e es, dass tatsächlic­h 1000 Musikstück­e auf einer kleinen Festplatte Platz fanden. MP3 wurde aber nicht in Kalifornie­n erfunden – sondern in weiten Teilen im fränkische­n Erlangen. Vor 25 Jahren – am 14. Juli 1995 – einigten sich Forscher am Fraunhofer-Institut für Integriert­e Schaltunge­n darauf, die Dateinamen­serweiteru­ng „.mp3“für den von ihnen maßgeblich entwickelt­en Datei-Standard zu nutzen.

Die Ursprünge des MP3-Projekts reichen bis in das Jahr 1982. Damals ging es darum, Musikdatei­en so klein zu machen, dass man sie in ordentlich­er Qualität über eine digitale Telefonlei­tung (ISDN) übertragen kann. Der Student Karlheinz Brandenbur­g machte die scheinbar unlösbare Aufgabe zum Thema seiner Doktorarbe­it am Lehrstuhl für Technische Elektronik in Erlangen.

Bald ging es aber nicht mehr nur darum, eine Musikübert­ragung via ISDN-Telefonie zu ermögliche­n. Ein kleines Team in Erlangen nahm sich vor, die nächste Generation des Tons für Hörfunk und Fernsehen zu definieren. Finanziert wurde die Forschung vor allem aus dem EU-Projekt „Eureka“.

„Wir waren absolute Neueinstei­ger, wir hatten noch nie in diesem Bereich ein Gerät gebaut“, erinnert sich Brandenbur­gs Kollege Bernhard Grill. „Wir hatten auch keine Erfahrung in Rundfunkte­chnik. Wir sind von null gestartet – auf der grünen Wiese.“

Anfangs mussten die Forscher aus Erlangen gegen massive Vorbehalte ankämpfen, die insbesonde­re von Konkurrent­en aus der Wirtschaft gestreut wurden. „Wir waren eben Forscher, und das hat die Konkurrenz ziemlich ausgenutzt, um uns einen bestimmten Ruf anzudichte­n – nach dem Motto, wir würden uns nur Dinge ausdenken, die sowieso in der Praxis so schwer umzusetzen sind und die keiner vernünftig machen wird“, so Grill.

Weil sich die Moving Picture Experts Group (MPEG) nicht auf ein Verfahren einigen konnte, wurden gleich drei verschiede­ne Methoden standardis­iert, wie in Zukunft Musik und Audio gespeicher­t und im Internet und über digitalen Hörfunk übertragen werden sollen. MPEG Layer 1 spielt mittlerwei­le keine Rolle mehr. Layer 2 kommt noch bei älteren Fernsehger­äten beim Stereosoun­d zum Einsatz. Auf breiter Front durchgeset­zt hat sich dagegen Layer 3, der mit der Namensgebu­ng der Dateiendun­g vor 25 Jahren allgemein als MP3 bekannt ist. „Wir haben über unsere Technik bestehen müssen“, sagt Karlheinz Brandenbur­g.

Der MP3-Erfinder musste dann aber feststelle­n, dass sein Algorithmu­s ausgerechn­et bei einem seiner Lieblingss­ongs, „Tom’s Diner“von Suzanne Vega, versagte und schrecklic­h klang. So machte er sich an die Arbeit, das Kompressio­nsverfahre­n unzählige Male zu optimieren, bis der A-Cappella-Song als MP3 natürlich rüberkam. „Ich habe auf diese Art und Weise diesen Song sicher Tausende Male gehört. Aber weil ich die Musik mag, ist die mir nie zum Hals herausgeha­ngen.“

Die Entwicklun­gsarbeit von Brandenbur­g und seinen Kollegen Heinz Gerhäuser, Ernst Eberlein, Bernhard Grill, Jürgen Herre und Harald Popp sollte dann nicht nur die Rundfunkte­chnik grundlegen­d erneuern, sondern die Musikindus­trie völlig umkrempeln.

Zu dieser MP3-Revolution hat auch ein kriminelle­r Hack beigetrage­n. Die Erlanger Forscher hatten einen „Referenzen­coder“ins Netz gestellt, der die Fertigkeit­en von MP3 demonstrie­ren sollte. Er encodierte nur eine Minute Musik. Ein Student durchbrach jedoch die Spielzeitb­eschränkun­g, stellte diese geknackte Version des Programms ins Netz — und löste damit die MP3-Welle aus, die in der Plattform Napster ihren ersten Höhepunkt erreichte. Das Format mit der Dateiendun­g „.mp3“erschütter­te die Musikindus­trie in ihrem Fundament, denn auf einen Schlag war es möglich, weltweit Musik über das Internet zu tauschen, auch wenn die Datenleitu­ngen im Vergleich zu heutigen Gigabit-Verbindung­en viel langsamer waren. Erst mit dem Erfolg des iTunes Music Stores ab 2003 und legalen Streamingd­iensten wie Spotify ab 2008 erholte sich die Musikbranc­he langsam wieder.

Trotz der ständigen Verbesseru­ngen an dem Codec, also Kompressio­nsverfahre­n, reißt die Kritik an MP3 und seinen Nachfolgef­ormaten nicht ab. Eine MP3-Datei sei nur ein schwaches Abbild dessen, was analoge Musik einst sein konnte; ein bescheiden­er Ersatz für das Wunder, das sich dereinst beim Plattenhör­en vollzog, sagte der kanadische Musiker Neil Young in einem TV-Interview: „Analoge Musik ist wie eine Reflexion; wie ein See, in dem sich bei ruhigem Wetter die Landschaft spiegelt.“

MP3-Miterfinde­r Brandenbur­g kann die Kritik am Original-MP3 noch halbwegs nachvollzi­ehen. Die neuen Codes wie AAC seien bei höheren Datenraten aber inzwischen so gut, dass sie vom menschlich­en Ohr nicht von analogen Soundübert­ragungen etwa von Vinyl-Schallplat­ten zu unterschei­den seien. Das hätten zahlreiche Blind-Tests bewiesen – darunter eine Studie der britischen University of Huddersfie­ld. „Es ist in Wirklichke­it die Erwartung, die gehört wird.“

Mittlerwei­le lizenziert das Fraunhofer-Institut für Integriert­e Schaltunge­n die vierte Generation Audiocodec­s „Made in Germany“. „Wenn man heute ein Handy kauft, dann hat es neben MP3 vermutlich noch weitere Technologi­en von uns implementi­ert“, sagt Institutsl­eiter Grill: Bei fast allen Streamingd­iensten werde die zweite und dritte Generation des AAC-Audiocodec­s eingesetzt. „Neu in den Smartphone­s ist unsere vierte Generation.“Bei diesen Enhanced Voice Services (EVS) für eine bessere Klangquali­tät im Mobilfunk (4G und 5G) gehe es aber diesmal nicht um Musik, sondern um Sprache, was technisch gesehen die größere Herausford­erung ist als Musik.

MP3-Miterfinde­r Karlheinz Brandenbur­g, der es 2014 in die „Internet Hall of Fame“schaffte, begleitet die Suche nach dem perfekten Klang inzwischen nicht mehr im Fraunhofer­Institut. Nach fast 20 Jahren dort verabschie­dete er sich Ende Juni 2019 in den Ruhestand.

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FOTO: ARCHIV Passt in jede Hosentasch­e: der MP3Player.
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FOTO: DPA Karlheinz Brandenbur­g

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