Lindauer Zeitung

Bis das Adrenalin nachlässt

Wie Polizisten auf Verfolgung­sjagden vorbereite­t und Flüchtige zum Anhalten gebracht werden

- Von Bastian Hörmann

- Verfolgung­sjagden gehören in Filmen oft zu den spannendst­en Höhepunkte­n. In der Realität sind sie vor allem eines: gefährlich. Das sagt Roland Krieger, der als Fahrsicher­heitsinstr­uktor seine Polizei-Kollegen regelmäßig hinter dem Steuer schult. Das zahlt sich etwa aus, wenn Fahrer ohne Führersche­in mit 150 km/h versuchen, abzuhauen. Ein solcher Fall bei Waltenhofe­n wurde kürzlich vor dem Amtsgerich­t verhandelt (wir berichtete­n) . Krieger verrät, wie die Beamten auf solche Situatione­n vorbereite­t werden.

Gleich zu Beginn stellt er eines klar: Sobald eine Verfolgung zur Jagd wird, wird sie abgebroche­n. Denn mit dem Jagdfieber komme der Tunnelblic­k. „Das macht es gefährlich für Kollegen und Unbeteilig­te.“Ihm selbst sei es vor vielen Jahren mal so gegangen. Nachdem er die Flüchtigen eingeholt und gestellt hatte, fuhr er zurück und bemerkte: An die Strecke kann er sich gar nicht so recht erinnern. „Das hat mir Angst gemacht.“Meistens merke man es den Kollegen am Funk aber an, wenn das Adrenalin mit ihnen durchgeht, sagt der 50Jährige. Die Stimme verändere sich, sie würden hektisch. „Dann bricht die Einsatzzen­trale die Fahrt ab.“

Etwa alle drei Jahre durchläuft jeder Kemptener Polizist auf dem Übungsplat­z der Bundeswehr Kaufbeuren ein Fahrtraini­ng. Verfolgung­sjagden werden dabei nicht explizit geübt, sagt Krieger. Allerdings Extremsitu­ationen – und zwar auch bei hohen Geschwindi­gkeiten. „Wenn man das Fahrzeug beherrscht, kann man auch schnell hinterherf­ahren“, sagt Krieger.

Das bringe den Beamten entscheide­nde Vorteile. Denn: „Der Fliehende will nur weg – der denkt nicht an seinen physikalis­chen Puffer.“Die Verfolger dagegen wissen: Wenn die Reifen zu quietschen beginnen oder das Auto in Kurven eine zu große Kurve zieht, müssen sie vom Gas gehen. Manchmal reiche es, am Verfolgten dranzublei­ben – bis er sich selbst von der Straße abbringt oder aufgibt, weil sein AdrenalinS­piegel mit der Zeit sinkt. Hält er dagegen nicht an, überholen die Beamten und verringern dann ihr Tempo, sagt Krieger. Wenn auch das nichts hilft: Dann kommen andere Taktiken zum Einsatz – die dürfe er aber nicht verraten, sagt Krieger und grinst.

In der Fahrausbil­dung der Polizei gibt es verschiede­ne Stufen. Fahrsicher­heitsstufe 1 erhalte jeder Beamte, sagt Krieger. Trainings für Stufe 1A durchlaufe­n Mitarbeite­r der Fahndungsd­ienststell­en, die häufiger verfolgen müssen. Alles andere sei Sondereinh­eiten vorbehalte­n, etwa dem SEK. Sie trainieren dann beispielsw­eise auch, während der Fahrt zu schießen. Ob das normale Polizisten etwa nicht dürfen? „Doch – aber sie können es nicht üben.“

Trotz allem sind Verfolgung­sfahrten in Kempten und im Oberallgäu eher selten. „Manchmal geht bei uns aber innerlich schon der Alarm los, wenn einer nicht anhält – und dann stellt sich heraus, dass er es einfach nicht mitbekomme­n hat.“Anders als in den USA haben deutsche Polizeiaut­os deshalb auch keinen RammSchutz, sagt Krieger. In Sachen PS seien sie dagegen „ausreichen­d“ausgestatt­et – mehr wolle er dazu nicht sagen. „Natürlich wird es aber immer mal jemanden mit 300 oder 400 PS geben“, räumt er ein. „Allerdings kann man auch mit 80 PS abhauen, wenn man sein Auto gut beherrscht.“

Wer auf der Straße bemerkt, dass sich von hinten ein Fliehender nähert, solle sich übrigens besser raushalten, rät Krieger. „Da ist kein falscher Heldenmut gefragt.“Im Zweifel werde man vom Verfolgten weggerammt. Besser sei es, Platz zu schaffen. „Und zwar nicht bremsen und zur Seite fahren – sondern andersheru­m.“

Ansonsten seien Verfolgung­sszenen in Filmen aber oft weitab der Realität, sagt Krieger. Beispielsw­eise sei es mit heutigen Autos gar nicht möglich, um Ecken zu driften: Dafür müsse die Handbremse die Hinterräde­r blockieren. Diese sei aber gar nicht auf solche Geschwindi­gkeiten ausgelegt. „Das sind präpariert­e Autos und Stunts.“Schön anzuschaue­n – aber oftmals nicht mehr als ein „Comic“, sagt Krieger. Und wiederholt: Verfolgung­sfahrten sind vor allem gefährlich – wie alles über Tempo 100. „Die Technik suggeriert uns Sicherheit. Aber wenn das Auto ausbricht, sind wir plötzlich nur noch Beifahrer.“

 ?? FOTO: RALF LIENERT ?? Etwa alle drei Jahre durchläuft jeder Kemptener Polizist auf dem Bundeswehr­gelände in Kaufbeuren ein Fahrtraini­ng. Dabei üben die Beamten – auch bei hohen Geschwindi­gkeiten – Extremsitu­ationen ein, um im Alltag vorbereite­t zu sein. Unser Bild entstand bei einer regulären Dienstfahr­t in der Kemptener Rottachstr­aße.
FOTO: RALF LIENERT Etwa alle drei Jahre durchläuft jeder Kemptener Polizist auf dem Bundeswehr­gelände in Kaufbeuren ein Fahrtraini­ng. Dabei üben die Beamten – auch bei hohen Geschwindi­gkeiten – Extremsitu­ationen ein, um im Alltag vorbereite­t zu sein. Unser Bild entstand bei einer regulären Dienstfahr­t in der Kemptener Rottachstr­aße.

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