Lindauer Zeitung

Eine breite Front gegen 37 Milliarden Euro

Die Frage, ob Italien Finanzhilf­en aus Brüssel annehmen soll, bringt Regierungs­koalition in Rom in Gefahr

- Von Thomas Migge

- Italien wird, wenn alles gut geht, bei den kommenden EU-Gipfeln mehr als 100 Milliarden Euro Finanzhilf­en aus Brüssel erhalten. Wichtiges Geld für ein schwer angeschlag­enes Land, das durch die Corona-Pandemie noch tiefer in die Krise gerutscht ist. Doch nicht alle Milliarden aus Brüssel sind in Rom willkommen. Die Frage um das „Si“oder „No“in Sachen EU-Gelder spaltet die Regierung so tief, dass schon von einer Regierungs­krise die Rede ist.

Eine erste Tranche dieser Gelder aus Brüssel umfasst rund 37 Milliarden Euro aus dem Europäisch­en Stabilität­sfonds, in Italien MES genannt. Dieser Stabilität­sfonds hatte 2011 dem hoch verschulde­ten Griechenla­nd acht Milliarden Euro Hilfen gewährt – gegen harte Auflagen. So wurden etwa 30 000 Staatsange­stellten die Gehälter um 40 Prozent gekürzt und wichtige staatliche Wirtschaft­szweige mussten privatisie­rt werden.

Aus diesem Grund sind in Italien viele Parteien gegen die Gelder aus dem Europäisch­en Stabilität­sfonds – allen voran die rechtsnati­onale Partei Lega von Matteo Salvini und die ebenfalls rechtsnati­onale Partei Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni. Sie sehen in der Annahme dieser Gelder, so tut es Salvini in den Medien kund, „die Auslieferu­ng Italiens an EUKommissa­re, die uns Italiener an ihre finanzpoli­tische Leine legen wollen“.

Silvio Berlusconi­s Forza Italia, zusammen mit den Fratelli und der Lega die dritte Partei des italienisc­hen Mitte-rechts-Bündnisses, teilt diese Meinung nicht. „Das sind extrem wichtige Gelder für unser Land, die wir nicht ausschlage­n können.“

Gegen die 37 Milliarden Euro aus dem MES spricht sich auch die Regierungs­partei 5-Sterne-Bewegung M5S aus. Und zwar so militant, dass der Koalitions­partner der M5S, die Sozialdemo­kraten PD, eine Gefahr für das Fortbesteh­en der Regierung heraufbesc­hwört. Die Fronten in Sachen Europäisch­er

Stabilität­sfonds sind so tief gespalten, dass ein Kompromiss nicht abzusehen ist.

Dabei wird Brüssel nicht müde, den Gegnern der Hilfen zu erklären, dass im Fall der geplanten Überweisun­g nach Rom keine harten Auflagen wie im Fall Griechenla­nds gestellt werden. Anders als Lega und M5S behaupten, gibt es nur eine einzige Auflage zu erfüllen: Die Gelder müssen in die Modernisie­rung des staatliche­n Gesundheit­ssektors investiert werden.

Regierungs­chef Giuseppe Conte muss sich, so schreibt es das Gesetz vor, in Sachen EU-Gelder der Abstimmung im Senat und im Abgeordnet­enhaus stellen. Ohne die Stimmen seines Koalitions­partners M5S könnte er dort keine Mehrheit erhalten. Es sei denn, Forza Italia ersetzt zu einem Teil die fehlenden Stimmen der M5S. das zeigt, wie unsicher die Zukunft der italienisc­hen Regierung ist.

Geht es nach der Opposition, müsste es im September Neuwahlen geben. Noch eint die Vorstellun­g einer rechtsnati­onalen Regierung unter Matteo Salvini die streitende­n Parteien. Aber die M5S steht unter dem Zugzwang – nicht nur wegen ihrer militanten Basis, sondern auch wegen jener militanten Politiker in ihren Reihen, denen die Regierungs­koalition mit den Sozialdemo­kraten noch immer ein Dorn im Auge ist.

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FOTO: DPA Muss um Mehrheiten für die EU-Finanzhilf­en kämpfen: Italiens Regierungs­chef Giuseppe Conte.

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