Eine breite Front gegen 37 Milliarden Euro
Die Frage, ob Italien Finanzhilfen aus Brüssel annehmen soll, bringt Regierungskoalition in Rom in Gefahr
- Italien wird, wenn alles gut geht, bei den kommenden EU-Gipfeln mehr als 100 Milliarden Euro Finanzhilfen aus Brüssel erhalten. Wichtiges Geld für ein schwer angeschlagenes Land, das durch die Corona-Pandemie noch tiefer in die Krise gerutscht ist. Doch nicht alle Milliarden aus Brüssel sind in Rom willkommen. Die Frage um das „Si“oder „No“in Sachen EU-Gelder spaltet die Regierung so tief, dass schon von einer Regierungskrise die Rede ist.
Eine erste Tranche dieser Gelder aus Brüssel umfasst rund 37 Milliarden Euro aus dem Europäischen Stabilitätsfonds, in Italien MES genannt. Dieser Stabilitätsfonds hatte 2011 dem hoch verschuldeten Griechenland acht Milliarden Euro Hilfen gewährt – gegen harte Auflagen. So wurden etwa 30 000 Staatsangestellten die Gehälter um 40 Prozent gekürzt und wichtige staatliche Wirtschaftszweige mussten privatisiert werden.
Aus diesem Grund sind in Italien viele Parteien gegen die Gelder aus dem Europäischen Stabilitätsfonds – allen voran die rechtsnationale Partei Lega von Matteo Salvini und die ebenfalls rechtsnationale Partei Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni. Sie sehen in der Annahme dieser Gelder, so tut es Salvini in den Medien kund, „die Auslieferung Italiens an EUKommissare, die uns Italiener an ihre finanzpolitische Leine legen wollen“.
Silvio Berlusconis Forza Italia, zusammen mit den Fratelli und der Lega die dritte Partei des italienischen Mitte-rechts-Bündnisses, teilt diese Meinung nicht. „Das sind extrem wichtige Gelder für unser Land, die wir nicht ausschlagen können.“
Gegen die 37 Milliarden Euro aus dem MES spricht sich auch die Regierungspartei 5-Sterne-Bewegung M5S aus. Und zwar so militant, dass der Koalitionspartner der M5S, die Sozialdemokraten PD, eine Gefahr für das Fortbestehen der Regierung heraufbeschwört. Die Fronten in Sachen Europäischer
Stabilitätsfonds sind so tief gespalten, dass ein Kompromiss nicht abzusehen ist.
Dabei wird Brüssel nicht müde, den Gegnern der Hilfen zu erklären, dass im Fall der geplanten Überweisung nach Rom keine harten Auflagen wie im Fall Griechenlands gestellt werden. Anders als Lega und M5S behaupten, gibt es nur eine einzige Auflage zu erfüllen: Die Gelder müssen in die Modernisierung des staatlichen Gesundheitssektors investiert werden.
Regierungschef Giuseppe Conte muss sich, so schreibt es das Gesetz vor, in Sachen EU-Gelder der Abstimmung im Senat und im Abgeordnetenhaus stellen. Ohne die Stimmen seines Koalitionspartners M5S könnte er dort keine Mehrheit erhalten. Es sei denn, Forza Italia ersetzt zu einem Teil die fehlenden Stimmen der M5S. das zeigt, wie unsicher die Zukunft der italienischen Regierung ist.
Geht es nach der Opposition, müsste es im September Neuwahlen geben. Noch eint die Vorstellung einer rechtsnationalen Regierung unter Matteo Salvini die streitenden Parteien. Aber die M5S steht unter dem Zugzwang – nicht nur wegen ihrer militanten Basis, sondern auch wegen jener militanten Politiker in ihren Reihen, denen die Regierungskoalition mit den Sozialdemokraten noch immer ein Dorn im Auge ist.