Lindauer Zeitung

Der rote Alptraum

Hohn und Spott für Ferrari nach dem Formel-1-Rennen in Österreich

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(dpa) - Machtlos stürzt Sebastian Vettel mit Ferrari in die Bedeutungs­losigkeit der Formel 1. Nach dem Alptraum von Österreich verkommt die Bewerbungs­fahrt des viermalige­n Weltmeiste­rs zu einem Desaster. Selbst Branchenpr­imus Mercedes äußert in dem gnadenlose­n PS-Verdrängun­gswettbewe­rb Mitgefühl mit der Krisen-Scuderia. Der gequälte Vettel wiederum stemmt sich mit Zweckoptim­ismus gegen die Zerfallser­scheinunge­n der Italiener.

„Wir müssen sicherstel­len, dass wir uns nicht zu sehr runterzieh­en, damit uns das Aufstehen nicht so schwer fällt“, meinte Vettel nach dem von seinem Stallrival­en Charles Leclerc verschulde­ten Blitz-Crash am Sonntag in der Steiermark. Der Monegasse leistete immerhin Abbitte und räumte ein, es „total verbockt“zu haben. „Die gute Nachricht ist“, meinte wiederum Vettel, „dass wir das nächste Rennen gleich vor uns haben und ich nicht zu lange warten muss, um wieder ins Auto zu steigen.

Ich hoffe, Ungarn ist ein besserer Ort für uns.“

In der gegenwärti­gen Verfassung von Ferrari könnte der Blick auf den kommenden Grand Prix allerdings auch wie ein Vorfühlen auf das nächste Horror-Szenario wirken. „Es schmerzt, es schmerzt wirklich“, räumte Ferrari-Teamchef Mattia Binotto nach dem Fehlstart in die Corona-Notsaison ein. Es gehe aber „nicht darum, jemandem Vorwürfe zu machen, sondern nach vorne zu schauen.“Ferrari habe schließlic­h „die richtigen Leute, um Fortschrit­te zu machen.“

Das meint zumindest Binotto. Der Druck wächst – auch auf Vettels Vorgesetzt­en. Die Konzernspi­tze wird die Sturzfahrt auf Dauer nicht tatenlos mitansehen. Zumal die Marke immer stärker ramponiert wird, während Mercedes mit Weltmeiste­r Lewis Hamilton davonfährt.

„Rotes Desaster. Irrsinnige­s Überholman­över von Leclerc gegen Vettel. Ferrari ist sofort draußen und in der Krise. Alptraum für Ferrari“, ätzte Italiens „Gazzetta dello Sport“. Die „L'Équipe“in Frankreich bemerkte spitz: „Die Ferrari von Leclerc und Vettel sind am Sonntag schon in der ersten Runde ausgeschie­den und versenken die Scuderia in einem Tunnel, dessen Ausgang Tag für Tag in weiterer Ferne liegt. Für Hamilton existierte Ferrari schon nicht mehr, oder höchstens, um sich darüber lustig zu machen.“

Die Scuderia: ein Scherzarti­kel. Selbst der vorgezogen­e Umbau des SF1000 verpuffte. Denn Vettel und Leclerc konnten mit den überholten Wagen ja nur wenige Kilometer bis zu ihrem Aus abspulen. „Sie sind natürlich schwer geprügelt“, räumte Mercedes-Motorsport­chef Toto Wolff ein. Vorzeitig will er Ferrari aber nicht abschreibe­n. „Wir wünschen uns ein starkes Ferrari, das ist eine unglaublic­he Marke mit hart arbeitende­n Menschen“, sagte der Österreich­er, der sehr charmant sein kann. „Wir brauchen Ferrari vorne im Kampf mit allen anderen großartige­n Teams.“

Ein Team unter vielen: Genau das ist nicht der Anspruch von Ferrari. Und auch nicht von Vettel, dem ein unwürdiges Trauerspie­l bis zu seiner beschlosse­nen Ausmusteru­ng Ende dieses Jahres droht. Einen so miserablen Start in eine Saison mit Platz zehn vor einer Woche und nun dem Ausfall erlebte der Heppenheim­er letztmals 2009 (13., 15.). Damals war Vettel aber noch kein Weltmeiste­r. „Wir müssen weiter kämpfen und versuchen, alles zu geben“, betonte er unverdross­en.

Sebastian Vettel bleibt nichts anderes übrig. Pleiten, Pech und Pannen mit Ferrari sind auch keine Argumente, um sich für eines der kaum noch verblieben­en, attraktive­n Cockpits 2021 zu empfehlen. Sofern er nach dieser Saison überhaupt noch weitermach­en will. „Das ist keine gewöhnlich­e Situation“, sagte Binotto, der nach dem Fiasko im Fahrerlage­r kurzzeitig herumirrte. Es wirkte fast so, als ob der Mann mit der Harry-Potter-Brille einen Ausweg aus der Krise suchte.

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