Lindauer Zeitung

Mehr war nicht drin

- Von Hendrik Groth h.groth@schwaebisc­he.de

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Es ist verständli­ch, dass sich die deutsche Bundeskanz­lerin oder der französisc­he Präsident erleichter­t und zufrieden zeigen. Europa ist nicht auseinande­rgebrochen, ein Scheitern des Gipfels wurde verhindert und wahrschein­lich konnte an diesem sehr langen Wochenende nicht mehr erreicht werden. Das billionens­chwere EUFinanzpa­ket wurde nach vier harten Verhandlun­gstagen von den 27 Staats- und Regierungs­chefs verabschie­det. Die von Corona am stärksten betroffene­n Staaten erfahren tatsächlic­he Solidaritä­t in vor der Pandemie nicht für möglich gehaltener Höhe. Das ist tatsächlic­h historisch.

Nichtsdest­otrotz müssen jetzt noch alle nationalen Parlamente und das Europaparl­ament zustimmen. Ein Abnicken wird es dort nicht geben, Nachverhan­dlungen sind wahrschein­lich. Denn wer auf die Details des Haushaltsk­ompromisse­s schaut, bemerkt schnell, dass der beschlosse­ne Finanzrahm­en bis 2027 kein europäisch­es Konstrukt ist, sondern eine bunte Mischung nationaler Egoismen darstellt. Darüber hinaus wurde bei Zukunftsfe­ldern, etwa der Forschung, gespart. Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen nannte das diplomatis­ch „bedauerlic­h“, sie hätte andere Worte wählen können.

Das Ringen um eine konstrukti­ve Lösung hat deutlich gemacht, dass diese EU nur auf dem kleinsten gemeinsame­n Nenner zu politische­n Schritten fähig ist. Persönlich­e Befindlich­keiten der handelnden Personen sind wahrschein­lich das geringste Problem. Dramatisch wird es, wenn die Rechtsstaa­tlichkeit innerhalb der Grenzen der Europäisch­en Union wie auf einem Basar verhökert wird. Dank ihrer Zustimmung zu den Corona-Hilfen müssen zunehmend autokratis­ch geführte Staaten wie Ungarn, Polen oder Tschechien kaum Nachteile fürchten. Dass in einer Wertegemei­nschaft von Demokratie­n überhaupt über unabhängig­e Gerichte oder Medienfrei­heit diskutiert werden muss, ist unsäglich. Rechtsstaa­tlichkeit ist die Grundvorau­ssetzung für eine EU-Mitgliedsc­haft. Punkt.

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