Lindauer Zeitung

Freimütig gesteht Stephan B. das Attentat

Anschlag auf die Synagoge in Halle – Am ersten Prozesstag hat der Angeklagte das Wort

- Von Fabian Albrecht

(dpa) - Was am 9. Oktober in Halle geschehen ist, ist einigermaß­en klar. Der rechtsextr­eme Attentäter von Halle filmte, wie er an der Tür der Synagoge scheiterte, er filmte wie er zunächst eine Frau und später einen jungen Mann erschoss. Das Ganze streamte er live ins Internet. „Es ist eine neue Dimension der Menschenve­rachtung, die durch diese Tat hier in Deutschlan­d stattgefun­den hat“, sagt Kai Lohse von der Bundesanwa­ltschaft. Es sei ein Anschlag gewesen, der uns allen gegolten habe, allen Menschen in Deutschlan­d.

Doch um die Frage „Was ist passiert?“geht es vielen Beobachter­n, Nebenkläge­rn und sonstigen Betroffene­n des Prozesses, der am Dienstag in Magdeburg begann, gar nicht so sehr. Sie wollen vor allem verstehen, wie aus dem Angeklagte­n, einem hageren, eher kleinen Mann mit fliehendem Kinn, hoher, wie er selbst sagt weinerlich­er Stimme und kurz geschorene­m Haar, ein rechtsextr­emer Terrorist werden konnte. Der erste Prozesstag gibt darüber einiges preis.

Das Oberlandes­gericht Naumburg hat sich für den vielleicht bedeutends­ten Prozess in der Geschichte Sachsen-Anhalts einiges vorgenomme­n: Für die zunächst 18 geplanten Verhandlun­gstage sind 147 Zeugen benannt. In der 121-seitigen Anklage wirft die Bundesanwa­ltschaft Stephan B. 13 Straftaten vor, er soll unter anderem die 40-jährige Jana L. und den 20-jährigen Kevin S. ermordet haben. Falls das Gericht dem folgt, droht dem angeklagte­n Stephan B. lebenslang­e Haft und anschließe­nde Sicherungs­verwahrung. 21 Anwälte vertreten insgesamt 43 Nebenkläge­r, die Bundesanwa­ltschaft ist mit einem Bundesanwa­lt und einem Staatsanwa­lt vertreten. Richterin Ursula Mertens leitet die Verhandlun­g und wird dabei von zwei Richterinn­en und zwei Richtern unterstütz­t.

Ein Massaker hatte der Angeklagte anrichten wollen, am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur wollte er – wie er vor Gericht freimütig einräumt – eine Synagoge stürmen und möglichst viele Juden töten. Minutenlan­g lässt sich der Angeklagte bei jeder Gelegenhei­t über Muslime und Schwarze aus. Der Mann aus einem 1000-Seelen-Dorf in Sachsen-Anhalt sieht in ihnen Eroberer, die ihn aus der Gesellscha­ft verdrängen wollten. In seiner absurden Logik macht er Juden für diese vermeintli­che Eroberung verantwort­lich.

Letztlich tötete er keine Juden, keine Muslime und keine Schwarzen. „Jetzt hab ich mich global lächerlich gemacht“, habe er gedacht, als er nicht in die Synagoge kam. Als er dann – wie er behauptet aus einer „Kurzschlus­sreaktion“heraus – eine Frau erschoss und dabei auch die Reifen seines Mietwagens zerstörte, sei ihm endgültig klar geworden, dass er seinen Plan nicht werde umsetzen können.

Um wenigstens überhaupt noch etwas „zu erreichen“, sei er einfach die Straße herunter gefahren und bei der ersten Gelegenhei­t, einem Dönerimbis­s, ausgestieg­en. Auch sein zweites Mordopfer habe er nicht absichtlic­h getötet, überhaupt habe er ja viele Weiße getroffen, das sei überhaupt nicht der Plan gewesen. „Ich wollte das nicht: Weiße erschießen“, sagte er auf Nachfrage der Vorsitzend­en Richterin Mertens, ob er Mitleid und Empathie kenne. Dass dem Mann am 9. Oktober nicht noch mehr Menschen zum Opfer fielen, lag an den zahlreiche­n Pannen mit seinen selbstgeba­uten Waffen.

Das Internet sei sein einziger sozialer Kontakt jenseits der Familie gewesen, sagt der Beschuldig­te. Dort könne er offen kommunizie­ren, das könne er im echten Leben in Deutschlan­d nicht. Dort habe er auch seine Waffen oder die Teile dafür besorgt, dort lud er vor der Tat ein sogenannte­s Manifest hoch und dort streamte er auch das Video. Warum? „Weil die Aufnahme, die Übertragun­g wichtiger ist als die Tat selbst“, sagt er vor Gericht ganz selbstvers­tändlich. So sei das auch in seinem Fall gewesen mit dem Attentäter, der in Neuseeland zwei Moscheen angriff und dabei 51 Menschen tötete. Ein Vorbild für Stephan B.

Der 28-Jährige, das wird zu Prozessbeg­inn deutlich, weiß genau, welche Botschaft er auf der großen Bühne des Prozesses senden will. Es ist eine Botschaft, die viele rechtsextr­eme Verschwöru­ngstheoret­iker seit Jahren verbreiten, mit den Schlagwort­en Weltherrsc­haft, Verdrängun­g und 2015. Manchmal lacht er kurz auf, wenn Richterin Mertens nachfragt, als seien seine Verschwöru­ngstheorie­n plausibel und die Nachfragen naiv.

Immer wieder hebt der 28-Jährige darauf ab, doch Richterin Mertens lässt ihn mit seinen faschistoi­den Einlassung­en nicht einfach davonkomme­n. Als er gleich zu Beginn rassistisc­he Worte nutzt, droht sie, ihn von der Verhandlun­g auszuschli­eßen. Als er von der Eroberung durch Ausländer schwadroni­ert, fragt sie, wo sein französisc­h klingender Nachname wohl herkomme. Und als er den Terroransc­hlag von Christchur­ch lobpreist, fragt die Richterin, wie der weiße Attentäter, zudem ein Australier, nach Neuseeland gekommen sei.

Kurz angebunden ist der Angeklagte, wenn es um ihn geht, um sein Leben und seine Angehörige­n. „Die Tat hat keinen Bezug zu meiner Familie“, beteuert der Angeklagte. Nur knapp beantworte­t er die persönlich­en Fragen der Richterin und sagt dabei, dass er schon immer ein Einzelgäng­er war, mit durchschni­ttlichen Schulnoten aber ohne Freunde.

Er erzählt von seiner kurzen Zeit bei der Bundeswehr, wie er danach nach Magdeburg ging, um zu studieren, dann nach Halle wechselte und das Studium aus gesundheit­lichen Gründen abbrach. Wie er seitdem nichts mehr machte, nicht arbeitete, nicht studierte und mit 27 in einem Zimmer im Haus seines Vaters wohnte. Er sei offensicht­lich ein Versager, sagte der Angeklagte. Auch wenn ihm dieser Gedanke erst nach dem gescheiter­ten Angriff auf die Synagoge gekommen sei.

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