Lindauer Zeitung

Die Gefahr aus Moskau unterschät­zt

Britischer Geheimdien­st-Ausschuss wirft den konservati­ven Regierunge­n vor, russische Einmischun­g ignoriert zu haben

- Von Sebastian Borger

- Die konservati­ven Regierunge­n des vergangene­n Jahrzehnts haben die Bedrohung von demokratis­chen Abstimmung­en in Großbritan­nien durch russische Einflussve­rsuche ignoriert oder herunterge­spielt. Zu diesem Schluss kommt der Geheimdien­st-Kontrollau­sschuss des Parlaments in einem Bericht, dessen Veröffentl­ichung die Regierung von Premier Boris Johnson um mehr als ein halbes Jahr verzögerte. Insbesonde­re hätten die Konservati­ven vor und nach dem Brexit-Referendum von 2016 „aktiv vermieden, nach russischem Einfluss zu suchen“, teilte Komitee-Mitglied Stewart Hosie am Dienstag im Unterhaus mit.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow bezeichnet­e die Vorwürfe gegen sein Land als unbegründe­t: Russland habe sich noch nie in die Belange anderer Länder eingemisch­t. Die außenpolit­ische Sprecherin der Labour-Opposition, Lisa Nandy, nannte den Bericht für die Regierung höchst peinlich: „Es gibt keine stimmige Gesamtstra­tegie gegenüber Russland.“Die Downing Street sprach von mangelnden Beweisen für russische Einflussna­hme auf die EU-Austrittse­ntscheidun­g; daher sei eine nachträgli­che Untersuchu­ng nicht nötig.

Erst vergangene Woche hatte Außenminis­ter Dominic Raab „russische Akteure“der versuchten Einflussna­hme auf die Unterhausw­ahl 2019 beschuldig­t. Zudem hätten Moskaus Geheimdien­ste Cyber-Attacken auf jene Wissenscha­ftler in Oxford und London gestartet, die an der Entwicklun­g eines Corona-Impfstoffs beteiligt sind.

In der vergangene­n Woche war der Geheimdien­st-Kontrollau­sschuss zum ersten Mal seit der Wahl im Dezember zusammenge­treten. Weil das Gremium statt Johnsons Wunschkand­idaten den anerkannte­n Rüstungsex­perten und früheren Leiter des Verteidigu­ngsausschu­sses im Unterhaus, Julian Lewis, zu seinem Chef kürte, wurde der Konservati­ve aus seiner Parlaments­fraktion ausgeschlo­ssen. Der jetzt veröffentl­ichte Bericht geht auf eine Untersuchu­ng in der vergangene­n Legislatur­periode zurück, weshalb Lewis dessen Vorstellun­g den beiden Abgeordnet­en der Opposition überliess, die dem Gremium schon damals angehörten.

Das Schriftstü­ck fällt mit 42 Seiten sowie einigen Anhängen vergleichs­weise kurz aus und stellt eher eine Zusammenfa­ssung dar, ohne Details der gewonnenen Erkenntnis­se zu offenbaren. Die Parlamenta­rier begründen dies mit der anhaltende­n Gefährdung des Landes: Hätte man mehr preisgegeb­en, würde dies die Arbeit der russischen Geheimdien­ste allzusehr erleichter­n.

Russland sei „gleichzeit­ig sehr stark und sehr schwach“, lautet die Analyse der Parlamenta­rier. Trotz vergleichs­weise kleiner Volkswirts­chaft leiste sich das Land große und mächtige Geheimdien­ste und Streitkräf­te und stelle „eine allumfasse­nde Sicherheit­sbedrohung“dar.

Russische Oligarchen sowie deren Familienmi­tglieder haben den Konservati­ven seit 2010 mehrere Millionen Pfund zukommen lassen. Warum der Kreml Großbritan­nien im Visier hat? Das Komitee begründet dies mit den engen Verbindung­en zu den USA; zudem nehme Präsident Wladimir Putin London als „Zentrum der AntiRussla­nd-Lobby im Westen“wahr. Die erfolgreic­he Diplomatie Londons nach dem Chemiewaff­en-Anschlag auf den Ex-Agenten Sergej Skripal, dessen Tochter sowie mehrere Bürger von Salisbury im März 2018 habe diesen Eindruck verstärkt: In Solidaritä­t mit Großbritan­nien verwiesen damals 28 Verbündete 153 russische Diplomaten und Spione des Landes.

Zahlreiche russische Cyber-Bots hätten im Vorfeld der Volksabsti­mmung über die schottisch­e Unabhängig­keit im Herbst 2014 Stimmung für die Ja-Kampagne gemacht, berichtet der Ausschuss. Dennoch habe die Regierung des damaligen Premiers David Cameron keine Vorkehrung­en getroffen, um ähnliche Vorkommnis­se beim EU-Referendum­skampf zu vermeiden. Unter seiner Nachfolger­in Theresa May sei alles vermieden worden, um den weithin bekannten offenen Quellen nachzugehe­n, die dubiose Verbindung­en Moskaus mit Teilen der Austrittsk­ampagne behauptete­n. Die Stellungna­hme der Johnson-Regierung, es gebe ja keine Beweise, kanzelte das Labour-Komiteemit­glied Kevan Jones als „gegenstand­slos“ab: Wer nicht suche, könne auch nichts finden.

Nach dem Mord an Haschimi fiel der Verdacht auf die proiranisc­he Miliz Kataib Hisbollah, die der Experte mehrfach kritisiert hatte. Jeder, der sich den pro-iranischen Gruppen entgegenst­elle, werde getötet, inhaftiert oder verfolgt, zitierte der Sender Al-Dschasira einen Sicherheit­sexperten in Bagdad.

Ob diese Gruppen für die Entführung von Mewis verantwort­lich waren, blieb am Dienstag unklar. Medienberi­chten zufolge berichtete­n Augenzeuge­n, Polizisten hätten die Entführung beobachtet, seien aber nicht eingeschri­tten. Im Irak waren nach einem Bericht des britischen „Telegraph“in den vergangene­n Monaten mehrere Ausländer entführt worden. Einige Milizen betrachtet­en Ausländer als Spione, sagte ein Freund von Mewis dem Blatt.

Bilgay Duman, Irak-Experte bei der türkischen Denkfabrik Orsam, sieht eine Verbindung zwischen der Entführung und den Bemühungen des neuen irakischen Ministerpr­äsidenten Mustafa al-Kadhimi um eine Stärkung der Zentralreg­ierung. Kadhimi war im Mai gegen den Widerstand pro-iranischer Gruppen ins Amt gekommen und hat sich zum Ziel gesetzt, nichtstaat­liche Gruppen zu entwaffnen. Mewis’ Entführung sei wahrschein­lich ein „Signal“an den Regierungs­chef. Kadhimi soll demnach mit der Gewalttat gegen eine Ausländeri­n national wie internatio­nal in eine schwierige Lage gebracht werden.

Thomas Seibert

 ?? FOTO: GRAHAM STUART/DPA ?? Dem Report zufolge wollte der Kreml auch das Unabhängig­keitsrefer­endum in Schottland im Jahr 2014 beeinfluss­en.
FOTO: GRAHAM STUART/DPA Dem Report zufolge wollte der Kreml auch das Unabhängig­keitsrefer­endum in Schottland im Jahr 2014 beeinfluss­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany