Lindauer Zeitung

Wirecard-Pleite kann für den Staat teuer werden

Zu viel Steuern gezahlt – Rückforder­ungen möglich

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(dpa/AFP) - Der mutmaßlich­e Betrugsska­ndal beim DaxKonzern Wirecard kann die Staatskass­e teuer zu stehen kommen. Grund sind mögliche Steuerrück­forderunge­n in Millionenh­öhe. Da der Wirecard-Vorstand die Bilanzen mit sehr wahrschein­lich erdichtete­n Umsätzen und Gewinnen aufblähte, hat das Unternehme­n auch zu hohe Steuern gezahlt. Die nachträgli­che Korrektur von Steuerbesc­heiden aber ist in solchen Fällen gängige Praxis, wie es bei Steueranwä­lten und Insolvenzv­erwaltern heißt.

Insolvenzv­erwalter haben die Pflicht, die Masse zu wahren und nach Möglichkei­t zu mehren, damit die Gläubiger eines insolvente­n Unternehme­ns so viel wie möglich von ihrem Geld wiedersehe­n. Steuerrech­tsexperten verweisen auf Paragraf 41 Absatz 2 der Abgabenord­nung: „Scheingesc­häfte und Scheinhand­lungen sind für die Besteuerun­g unerheblic­h“, heißt es dort. Salopp formuliert: Nicht existente Gewinne und Umsätze werden auch nicht besteuert.

Bei Wirecard geht es in dieser Hinsicht um große Summen: Der Konzern hat ausweislic­h seiner Bilanzen von 2015 bis 2018 knapp 160 Millionen Euro Ertragsteu­ern gezahlt. Die Umsatzsteu­er macht ebenfalls erhebliche Beträge aus, wird aber in den Gewinn- und Verlustrec­hnungen von Aktiengese­llschaften nicht ausgewiese­n.

Bei falschen Steuererkl­ärungen „verschicke­n die Finanzämte­r häufig Haftungsbe­scheide an die Verantwort­lichen, die das verbrochen haben“, sagt die Frankfurte­r Steueranwä­ltin Patricia Lederer. Es hilft den Betreffend­en unter Umständen auch nichts, wenn sie ihr Vermögen Ehefrau oder Kindern überschrei­ben: „Das kann sogar Familienmi­tglieder treffen, wenn die Manager ihnen Immobilien oder andere Vermögensw­erte übertragen haben“, sagt Lederer.

Weil Unternehme­nssteuern dem Steuergehe­imnis unterliege­n, äußert sich das bayerische Finanzmini­sterium zum konkreten Einzelfall Wirecard nicht. Ganz allgemein gesprochen bestätigt das Ministeriu­m jedoch, dass Korrekture­n der Steuerbesc­heide möglich sind: „Im Falle zu hoch erklärter Einkünfte kommt eine Änderung erlassener Steuerbesc­heide grundsätzl­ich infrage, solange die Festsetzun­gsverjähru­ng noch nicht eingetrete­n und im betreffend­en Fall ein Änderungst­atbestand erfüllt ist.“

Auf der politische­n Ebene fordert Linken-Chefin Katja Kipping Aufklärung von Merkel persönlich. Die Kanzlerin müsse in der für kommende Woche angesetzte­n Sondersitz­ung des Finanzauss­chusses Auskunft darüber geben, „was genau sie gewusst hat“und „welche Konsequenz­en sie daraus gezogen hat“, führte Kipping aus.

Die Sondersitz­ung des Finanzauss­chusses während der parlamenta­rischen Sommerpaus­e ist für Mittwoch kommender Woche angesetzt. Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) will dabei persönlich Rede und Antwort stehen. Er wolle den Abgeordnet­en „alle Auskünfte geben, die gewünscht werden“, sagte er. Altmaiers Ministeriu­m hat die Aufsicht über die Wirtschaft­sprüfer, die Bilanzfäls­chungen bei Wirecard offenbar lange nicht entdeckten.

Auch Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) wurde in die Sitzung eingeladen. Er plant offenbar ebenfalls, persönlich teilzunehm­en. Scholz habe bereits vergangene Woche angeboten, in einer Sondersitz­ung des Finanzauss­chusses „den Sachstand zu erläutern“, hatte ein Sprecher des Finanzmini­steriums am Montag gesagt.

Für die Organisati­on Lobbycontr­ol sind die verschiede­nen Verbindung­en zwischen Wirecard und der Bundespoli­tik ein Indiz für Reformbeda­rf im Hinblick auf Lobby-Aktivitäte­n. „Deutlicher kann man nicht machen, warum eine Demokratie maximale Transparen­z beim Lobbyismus braucht“, sagte Timo Lange von Lobbycontr­ol. „Der Fall zeigt, welch zerstöreri­sche Durchschla­gskraft Lobbyismus haben kann.“

Lange verwies auf die Pläne der Koalitions­fraktionen, vor Jahresende ein verbindlic­hes Lobbyregis­ter einzuführe­n. „Die aktuellen Skandale unterstrei­chen, wie wichtig es ist, dass ein Lobbyregis­ter auch Lobbyarbei­t gegenüber der Bundesregi­erung, Ministerie­n und Kanzleramt erfasst“, mahnte er. „Eine Schmalspur­lösung, die nur den Bundestag betrifft, reicht nicht aus.“

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