Chiron trifft die Wirtschaftskrise mit voller Wucht
Der Tuttlinger Spezialist für CNC-Fräszentren gibt einen Produktionsstandort auf und steht vor einem deutlichen Stellenabbau
- Der Tuttlinger Werkzeugmaschinenhersteller Chiron muss mit drastischen Einschnitten auf den Nachfrageeinbruch in seinen Kernmärkten reagieren. Wie das Unternehmen am Dienstag mitteilte, haben Geschäftsführung, Verwaltungsrat und Eigentümer eine umfangreiche Neuausrichtung eingeleitet, um die Zukunft der Unternehmensgruppe zu sichern.
Die Maßnahmen haben es in sich: Am Standort Schlierbach – zwischen Göppingen und Kirchheim unter Teck gelegen –, wo bisher knapp 380 Mitarbeiter Fräszentren der Marke Stama herstellen, gibt Chiron die Produktion auf und verlagert Fertigung und Montage nach Tuttlingen und Neuhausen ob Eck, wo das Unternehmen erst im vergangenen Herbst eine hochmoderne Fabrik zur Produktion von Hightechfräsen eröffnet hat. Künftig sollen in Schlierbach nur noch der Service und Vertrieb von Stama-Produkten verbleiben.
Darüber hinaus trennt sich das Unternehmen von seiner Tochter Scherer Feinbau mit Sitz im bayerischen Alzenau in der Nähe von
Aschaffenburg. Der Kauf soll noch im Sommer 2020 abgewickelt werden. Der 2012 gekaufte Spezialist für Vertikaldrehmaschinen beschäftigt rund 160 Mitarbeiter und beliefert vor allem die Automobilindustrie – eine Branche, die seit geraumer Zeit in einer Strukturkrise steckt und die ganz wesentlich für die jetzt notwendige Restrukturierung bei Chiron verantwortlich ist.
Zusammen mit dem Einbruch in der Luftfahrt – ein weiterer Kernmarkt des Tuttlinger Frästechnikspezialisten – sieht sich Chiron nämlich mit einem dramatischen Geschäftseinbruch konfrontiert. Bereits 2019 verzeichnete die Unternehmensgruppe einen Umsatzrückgang von elf Prozent auf 443 Millionen Euro. Im laufenden Jahr hat sich die Situation noch einmal deutlich verschärft.
Das Unternehmen rechnet – ähnlich wie der Branchenverband VDMA – mit einem Erlöseinbruch von 35 Prozent gegenüber 2019 und stellt sich auf weiterhin rückläufige und stark schwankende Märkte ein.
„Angesichts dieser Perspektiven ist eine Neuausrichtung der Gruppe unerlässlich“, erklärte Geschäftsführerin Vanessa Hellwing die Restrukturierung. Man müsse jetzt handeln, um die Zukunft zu sichern und die Gruppe gestärkt aus der Krise zu führen. Hellwing lenkt seit dem überraschenden Abgang von Markus Flick im Dezember 2019 zusammen mit Guido Spachtholz die Geschicke des Unternehmens.
Was das alles für die rund 2100 Chiron-Mitarbeiter bedeutet, konnte Firmensprecher Rainer Schopp auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“noch nicht beziffern. Die Belegschaft sei über das Restrukturierungsprogramm erst am Montag informiert worden. In dieser Woche würden Gespräche mit dem Betriebsrat beginnen. In der Mitteilung vom Dienstag hieß es seitens des Unternehmens aber bereits, dass man mit einem „deutlich reduzierten Beschäftigungsniveau“rechne.
Davon dürfte vor allem der Standort Schlierbach betroffen sein. Für
Tuttlingen und Neuhausen ob Eck, wo knapp 1100 Mitarbeiter beschäftigt sind, hoffe man, „die Belegschaft halten zu können“, sagte Schopp. Ziel sei es, die Unternehmensgruppe, die zu 100 Prozent der Düsseldorfer Industriellenfamilie Hoberg und Driesch gehört, kurzfristig handlungsfähig zu halten und möglichst viele Arbeitsplätze zu sichern.
Wegen der mauen Branchenkonjunktur – Experten gehen davon aus, dass dauerhaft rund 20 Prozent weniger Werkzeugmaschinen benötigt werden als im Rekordjahr 2018 – hatte Chiron bereits Anfang 2019 ein Restrukturierungsprogramm aufgelegt, das auch personelle Anpassungen beinhaltete. So hat sich das Unternehmen von fast allen Leiharbeitern getrennt und frei werdende Stellen nicht wieder besetzt. Darüber hinaus wurden Überstunden reduziert und Flexzeitkonten abgebaut.
Zumindest für die Chiron-Mitarbeiter in Tuttlingen und Neuhausen ob Eck sind betriebsbedingte Kündigungen wegen des bis Ende 2022 laufenden Haustarifvertrages ausgeschlossen. Diese Klausel hatte die IG Metall der Geschäftsführung abgerungen, die für den Fabrikneubau in Neuhausen ob Eck einen Beitrag der Beschäftigten eingefordert hatte.