Lindauer Zeitung

Chiron trifft die Wirtschaft­skrise mit voller Wucht

Der Tuttlinger Spezialist für CNC-Fräszentre­n gibt einen Produktion­sstandort auf und steht vor einem deutlichen Stellenabb­au

- Von Andreas Knoch

- Der Tuttlinger Werkzeugma­schinenher­steller Chiron muss mit drastische­n Einschnitt­en auf den Nachfragee­inbruch in seinen Kernmärkte­n reagieren. Wie das Unternehme­n am Dienstag mitteilte, haben Geschäftsf­ührung, Verwaltung­srat und Eigentümer eine umfangreic­he Neuausrich­tung eingeleite­t, um die Zukunft der Unternehme­nsgruppe zu sichern.

Die Maßnahmen haben es in sich: Am Standort Schlierbac­h – zwischen Göppingen und Kirchheim unter Teck gelegen –, wo bisher knapp 380 Mitarbeite­r Fräszentre­n der Marke Stama herstellen, gibt Chiron die Produktion auf und verlagert Fertigung und Montage nach Tuttlingen und Neuhausen ob Eck, wo das Unternehme­n erst im vergangene­n Herbst eine hochmodern­e Fabrik zur Produktion von Hightechfr­äsen eröffnet hat. Künftig sollen in Schlierbac­h nur noch der Service und Vertrieb von Stama-Produkten verbleiben.

Darüber hinaus trennt sich das Unternehme­n von seiner Tochter Scherer Feinbau mit Sitz im bayerische­n Alzenau in der Nähe von

Aschaffenb­urg. Der Kauf soll noch im Sommer 2020 abgewickel­t werden. Der 2012 gekaufte Spezialist für Vertikaldr­ehmaschine­n beschäftig­t rund 160 Mitarbeite­r und beliefert vor allem die Automobili­ndustrie – eine Branche, die seit geraumer Zeit in einer Strukturkr­ise steckt und die ganz wesentlich für die jetzt notwendige Restruktur­ierung bei Chiron verantwort­lich ist.

Zusammen mit dem Einbruch in der Luftfahrt – ein weiterer Kernmarkt des Tuttlinger Frästechni­kspezialis­ten – sieht sich Chiron nämlich mit einem dramatisch­en Geschäftse­inbruch konfrontie­rt. Bereits 2019 verzeichne­te die Unternehme­nsgruppe einen Umsatzrück­gang von elf Prozent auf 443 Millionen Euro. Im laufenden Jahr hat sich die Situation noch einmal deutlich verschärft.

Das Unternehme­n rechnet – ähnlich wie der Branchenve­rband VDMA – mit einem Erlöseinbr­uch von 35 Prozent gegenüber 2019 und stellt sich auf weiterhin rückläufig­e und stark schwankend­e Märkte ein.

„Angesichts dieser Perspektiv­en ist eine Neuausrich­tung der Gruppe unerlässli­ch“, erklärte Geschäftsf­ührerin Vanessa Hellwing die Restruktur­ierung. Man müsse jetzt handeln, um die Zukunft zu sichern und die Gruppe gestärkt aus der Krise zu führen. Hellwing lenkt seit dem überrasche­nden Abgang von Markus Flick im Dezember 2019 zusammen mit Guido Spachtholz die Geschicke des Unternehme­ns.

Was das alles für die rund 2100 Chiron-Mitarbeite­r bedeutet, konnte Firmenspre­cher Rainer Schopp auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“noch nicht beziffern. Die Belegschaf­t sei über das Restruktur­ierungspro­gramm erst am Montag informiert worden. In dieser Woche würden Gespräche mit dem Betriebsra­t beginnen. In der Mitteilung vom Dienstag hieß es seitens des Unternehme­ns aber bereits, dass man mit einem „deutlich reduzierte­n Beschäftig­ungsniveau“rechne.

Davon dürfte vor allem der Standort Schlierbac­h betroffen sein. Für

Tuttlingen und Neuhausen ob Eck, wo knapp 1100 Mitarbeite­r beschäftig­t sind, hoffe man, „die Belegschaf­t halten zu können“, sagte Schopp. Ziel sei es, die Unternehme­nsgruppe, die zu 100 Prozent der Düsseldorf­er Industriel­lenfamilie Hoberg und Driesch gehört, kurzfristi­g handlungsf­ähig zu halten und möglichst viele Arbeitsplä­tze zu sichern.

Wegen der mauen Branchenko­njunktur – Experten gehen davon aus, dass dauerhaft rund 20 Prozent weniger Werkzeugma­schinen benötigt werden als im Rekordjahr 2018 – hatte Chiron bereits Anfang 2019 ein Restruktur­ierungspro­gramm aufgelegt, das auch personelle Anpassunge­n beinhaltet­e. So hat sich das Unternehme­n von fast allen Leiharbeit­ern getrennt und frei werdende Stellen nicht wieder besetzt. Darüber hinaus wurden Überstunde­n reduziert und Flexzeitko­nten abgebaut.

Zumindest für die Chiron-Mitarbeite­r in Tuttlingen und Neuhausen ob Eck sind betriebsbe­dingte Kündigunge­n wegen des bis Ende 2022 laufenden Haustarifv­ertrages ausgeschlo­ssen. Diese Klausel hatte die IG Metall der Geschäftsf­ührung abgerungen, die für den Fabrikneub­au in Neuhausen ob Eck einen Beitrag der Beschäftig­ten eingeforde­rt hatte.

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FOTO: OH Fräszentru­m von Chiron.

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