Ein Millionär muss her
Kapitalismussatire und ein Fall von häuslicher Gewalt: „Die sieben Todsünden“und „Motherland“in Freiburg
- Brecht wäre nicht Brecht gewesen, hätte er in der letzten Zusammenarbeit mit Kurt Weill nicht ein dialektisch verschlungenes Schwesternpaar erfunden, ausgestattet mit „einer Vergangenheit und einer Zukunft, einem Herz und einem Sparkassenbuch“. Die Schwestern sollen Geld für den Familienclan ranschaffen, damit man sich ein schönes Haus an den Ufern des Mississippi leisten kann. Anna 1 ist die Tänzerin des Familienunternehmens und die Ware, die verkauft sein will, Anna 2 die Managerin, die für den Geldfluss sorgt.
Der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó, der als Autorenfilmer in Cannes genau so zu Hause ist wie auf den großen Bühnen des deutschsprachigen Sprechtheaters, hat am Freiburger Theater „Die sieben Todsünden“inszeniert und das „Ballett mit Gesang“aus der Endzeit der Weimarer Republik raffiniert mit der Uraufführung eines neuen Textes der ungarischen Autorin Kata Wéber verschnitten.
Häusliche Gewalt kann auch so aussehen: Eine Mutter will unbedingt, dass ihre noch nicht mal zehnjährige Tochter als Model Geld verdient und sich auf dem Weg hin zum Laufsteg einen Millionär angelt. Also indoktriniert sie die Schutzbefohlene derart, dass auch das Kind an die Logik des schnellen Gelderwerbs unter Ausbeutung des eigenen Körpers glaubt. Da sind aber auch die Schmerzen, die man sich zufügen muss, damit das mit der Karriere funktioniert: Das Waxing, die BotoxSpritzen und die Frage, ob man die Nase richten lassen sollte, damit das Gesicht nicht so „ethnisch rüberkommt“wie das des Vaters. „Motherland“nennt Kata Wéber ihre so kurze wie erbarmungslose Catwalk-Etüde, die Kornél Mundruczó in Freiburg in Kombination mit Brecht/Weills „Die sieben Todsünden“zur Uraufführung gebracht hat. Hört sich erklärungsbedürftig an, ist aber eine zündende Idee, schließlich kombiniert Mundruczó die zeitlich weit auseinander liegenden Texte so, dass „Motherland“die Folge einer Netflix-Staffel
sein könnte, die am Ende der Weimarer Republik startete. Wébers Text ist der Brandbeschleuniger inmitten eines Klassikers, der ins Herz der Künstlerinnenseele zielt und 1933 von Georges Balanchine am Pariser Théâtre des ChampsÉlysées uraufgeführt wurde.
Was damals „ein Ballett“mit Musik“war, ist in Freiburg eine Kapitalismussatire, die eigentlich mit Brecht/Weills Tour durch die Kabaretts, Varietétheater und Filmstudios von Memphis bis Los Angeles beginnen würde, hätte Mundruczó nicht gewollt, dass zuerst Wébers Text sowie Nora Buzalka und Sinja Neumann an der Reihe sind. Buzalka, die eigentlich am Wiener Burgtheater arbeitet, ist in der Uraufführung von Motherland eine gefährliche Mutterkrähe, die zehnjährige Sinja Neumann ein Tochterküken, das seine Stimme gezielt in schrille Höhen treiben und als Stoppschild gegen den mütterlichen Optimierungswahn einsetzen kann.
Mundruczó inszeniert das so, dass man den Eindruck hat, da stehen sich zwei gleichermaßen kampfstarke Amazonen gegenüber. Sie machen ein Haus unsicher, das anscheinend realitätsgetreu von den Ufern des Mississippi nach Freiburg transportiert wurde (Bühne: Màrton Ágh, Kornél Mundruczó) und mit seiner Plüschästhetik signalisiert, dass das mit dem Millionär so schnell wie möglich funktionieren sollte. Das Wohnzimmer wirkt schäbig, die Küche wie billig zusammengekauft und das Bad im ersten Obergeschoss ist schon ziemlich abgenutzt. Das mit dem Millionär kann man als ironischen Kommentar zur Entstehungsgeschichte der „Sieben Todsünden“verstehen. Die Ballettoper war eine Auftragsarbeit des US-amerikanischen
Multimillionärs Edward James, der sein Engagement an die Bedingung knüpfte, man soll doch bitte seine Ehefrau, die Tänzerin Tilly Losch, als Anna 1 besetzen.
In Freiburg ist aus der Tänzerin die Schauspielerin geworden, die im ersten Teil des Abends ihre Tochter zurichtet. Wechselt der Doppelabend rüber zu den „Die sieben Todsünden“, ändert sich auch die musikalische Atmosphäre. Asher Goldschmidt komponierte für „Motherland“einen im Hintergrund schwingenden Soundtrack, Kurt Weills Mix aus Operetten-Zitaten, Jazz-Anspielungen und A-CappellaPartien ist ein mit Stilbrüchen jonglierendes Gesamtkunstwerk. Und Nora Buzalka spielt jetzt eine stumme Anna 1, die sich den Qualen des Künstlerinnenlebens melodramatisch hingibt. Die Frau im Hamsterrad der Selbstoptimierung nutzt das
Interieur des Mississippi-Häuschens wie einen Fitnessparcours.
An ihrer Seite agiert die Sopranistin Inga Schäfer und ist als Anna 2 ganz der Rendite verpflichtet, warnt aber auch vor den Versuchungen des Kapitalismus. Eine nette Schwester ist das, gleichzeitig Zuhälterin und Beichtmutter. Die weiß, was sie tut, die Kleinbürgerfamilie im Hintergrund dagegen nicht. Dazu agieren die Sänger Roberto Gionfriddo (Vater), Jin Seok Lee (Mutter), Junbum Lee (Bruder 1) und John Carpenter (Bruder 2) zu naiv raffgierig. Auch in diesem Fall zeigt Mundruczó, was für ein hervorragender Regisseur er ist, schließlich hat er die Freiburger Opernsänger so inszeniert, dass man sie für Schauspieler halten könnte.
Weitere Aufführungen am 23., 24., 25. und 26. Juli. theater.freiburg.de