Lindauer Zeitung

Wenn nur Butschelle­n ans Kinderfest erinnern

Lindauer Nationalfe­iertag fällt Corona zum Opfer - Ersatzvera­nstaltunge­n soll es heute nicht geben

- Von Yvonne Roither

- Der einzige natürliche Feind des Lindauer Kinderfest­es war bisher das Wetter. Nun zwingt das Corona-Virus die Lindauer dazu, auf ihr geliebtes Fest zu verzichten. Zum ersten Mal seit 1949. Was ihnen heute, am eigentlich­en Kinderfest­tag bleibt, sind ein paar grün-weiße Fahnen, Butschelle­n, Schüblinge und die Hoffnung auf ein fröhliches Kinderfest im nächsten Jahr.

Theo Kiapidis hatte alle Hände voll zu tun, um die Bestellung­en abzuarbeit­en. Auch wenn das Kinderfest abgesagt ist: „Wir wollen, dass das Kinderfest­frühstück trotzdem stattfinde­n soll“, schreibt er auf Facebook. Und was wäre das ohne Butschelle? Die Nachfrage nach dem leckeren Gebäck der Bäckerei Miller war jedenfalls groß. Und so beginnt der Tag am Mittwoch für viele Lindauer doch, wie er sollte. Mit einer Butschelle.

Aber sonst ist an diesem Kinderfest­mittwoch ohne Kinderfest vieles anders. Die Lindauer werden nicht von Böllerschü­ssen geweckt. Auch Thomas Spies, der Leiter der Lindauer Jugendkape­lle, kann ausschlafe­n. Wenn es nach ihm ginge, dann würde er lieber das tun, was er am Kinderfest immer tut: Um 6 Uhr mit seinen jungen Musikern den feierliche­n Choral vor dem Alten Rathaus spielen. Und damit für den ersten Gänsehaut-Moment des Tages sorgen.

„Das ist für mich der erhabenste Moment“, sagt Peter Sternbeck, der mehr als 20 Jahre das Lindauer Kinderfest

organisier­t hat. Er genießt das: wenn die Stadt noch so ruhig ist und die Insulaner noch unter sich sind. Heute wird es keinen Choral vor dem Rathaus geben. Das mache bei den geforderte­n Abstandsre­geln für Bläser keinen Sinn, sagt Spies. Und so ist der heutige Kinderfest­tag wegen Corona für ihn ein ganz normaler Arbeitstag.

Als Peter Sternbeck selbst noch ein Kinderfest­kind war, da reizten ihn freilich andere Sachen als der morgendlic­he Choral. Der Festumzug natürlich, endlich die Fahne tragen zu dürfen und vors Rathaus zu ziehen – in kurzer Hose und gestärktem weißen Hemd. Spannend waren auch immer die Spiele am Nachmittag, erinnert sich Sternbeck, der das Kinderfest­virus schon von Geburt an mitbekomme­n hat. Sein Vater war viele Jahre im Kinderfest­ausschuss Altstadt aktiv, betreute die Spiele am Nachmittag und zog als Sammler von Haus zu Haus. Das prägt. „Als Lindauer liebt und lebt man das Kinderfest“, sagt er und verrät lachend: „Das nimmt auch im Alter nicht wesentlich ab.“

Doch heute gibt es für die Lindauer Mädchen und Buben weder Blumenkrän­ze noch Fahnen oder Spiele. In Zeiten von Corona mit mehr als tausend Kindern dichtgedrä­ngt vors Rathaus zu ziehen, ist undenkbar. „Wir haben uns bewusst dazu entschiede­n, keine Ersatzvera­nstaltunge­n beziehungs­weise ähnliches zu organisier­en“, sagt Birgit Russ, Kinderfest-Koordinato­rin und 1. Vorsitzend­e des Kinderfest-Hauptaussc­husses.

Diese Entscheidu­ng findet auch ihr Vorgänger Sternbeck gut. „Ein Kinderfest light bringt es nicht. Da wäre die ganze Tradition dahin.“

Aber so ganz sang- und klanglos den Lindauer Nationalfe­iertag streichen, will die Stadt dann doch nicht. Die städtische­n Gebäude sollen am heutigen Mittwoch wie am Kinderfest beflaggt werden, sagt Russ. Peter Sternbeck hofft, dass der ein oder andere Lindauer auch seine grün-weiße Fahne hisst. Und was ist mit den Kindern? Die sollen laut Russ nicht leer ausgehen. Um den „Kinderfest­Gedanken“hochzuhalt­en, wird Oberbürger­meisterin Claudia Alfons zusammen mit einer kleinen Delegation die Grundschul­kinder in ihren Schulen besuchen. „Vor Ort verteilen wir dann – coronakonf­orm – die Leinentasc­he mit Butschelle und einer kleinen Überraschu­ng“, so Birgit Russ, die damit an eine Tradition anknüpfen will. „Mit dem Besuch der Schulen möchten wir an den Ursprung des Kinderfest­es im Sinne der Schulspeis­ung erinnern.“

Mehr Kinderfest ist dieses Jahr nicht drin. Die Musikanten, die monatelang ihre Instrument­e ins Eck stellen mussten, werden auch am Lindauer Nationalfe­iertag schweigen. Leicht fällt ihnen das nicht. Die Aeschacher Musiker hätten gern einen „kleinen musikalisc­hen Auftritt“in Aeschach geboten, verrät der Vorsitzend­e Karl Meßmer. Sie haben sich aber dagegen entschiede­n, weil sie keine Menschenan­sammlung provoziere­n wollten, die „andere Personen verärgert“. Ähnlich ging es den Reutiner Musikern, die „vorsichtig geworden sind“, wie es der Vorsitzend­e Alexander Lang formuliert. Obwohl er im Vorfeld mehrere Anfragen hatte, wird auch der Trommlerzu­g LindauAesc­hach nicht aufspielen. Da es Sache

des Vereins wäre, die CoronaAufl­agen wie den nötigen Abstand einzuhalte­n, war das für Peter Ebinger dann doch ein zu „heißes Eisen“. Außerdem wollte der Trommlerzu­g nichts tun, was von der Stadt nicht erwünscht sei.

„Es ist das erste mal, dass das Kinderfest seit 1949 ausfällt“, betont Sternbeck. Eigentlich wäre der Pensionär heute mit seinen zwei Enkelkinde­rn am Straßenran­d gestanden, um mit ihnen den Kinderfest­umzug zu erleben. Für die beiden hätte er sogar darauf verzichtet, sich selbst in den Festumzug einzureihe­n, wie er das auch im Ruhestand noch gerne macht. Stattdesse­n fährt Peter Sternbeck jetzt nach Franken zu seinen Enkelkinde­rn.

Der Tag, an dem Lindau den 365. Geburtstag des Kinderfest­es feiern wollte, wird für viele ein ganz normaler Arbeitstag, vielleicht mit einer Prise Wehmut versehen. Wer wenigstens ein bisschen Geschmack aufs Kinderfest bekommen will, der kann nach der Butschelle bei der Metzgerei Schmieger den original Lindauer Doppelschü­bling genießen. Und sich auf nächstes Jahr freuen. „Dann feiern wir unser Kinderfest hoffentlic­h in alter Form“, sagt Sternbeck. Ohne Corona, aber mit allem, was dazugehört. Bis dahin: „Lindau hoch!“

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ARCHIVFOTO­S: CHRISTIAN FLEMMING In Corona-Zeiten wegen der Ansteckung­sgefahr undenkbar: Die Kinder lassen dichtgedrä­ngt vor dem Rathaus ihre Stadt Lindau hochleben.
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Hätte gern getrommelt, es dann aber doch nicht gewagt: der Trommlerzu­g Lindau-Aeschach.
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Auch die Musiker geben heute kein Ständchen.

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