Lindauer Zeitung

Papst entzweit deutsche Katholiken

In einem Schreiben schwächt Vatikan Stellung der Laien

- Von Christoph Driessen

(dpa) - Wenn in Rom im Hochsommer der Asphalt dampft, die Luft flirrt und die Konturen verschwimm­en, dann kommt das Leben in der Ewigen Stadt teils zum Erliegen. Für den Vatikan scheint das allerdings nicht zu gelten, denn der schreckt seine Schäfchen mitten in der Ferienzeit auf – mit einer Instruktio­n, die sogar unter Bischöfen auf offene Ablehnung stößt.

Das Schreiben der Kleruskong­regation des Vatikans trägt den Titel „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemei­nde im Dienst an der missionari­schen Sendung der Kirche“. Der Text ist für viele Katholiken eine Provokatio­n, ja ein Skandal. Der Präsident des Zentralkom­itees der deutschen Katholiken (Zdk), Thomas Sternberg, bescheinig­t dem Papier eine „abenteuerl­iche Realitätsf­erne“.

Worum geht es? Zurzeit gibt es in ganz Deutschlan­d 13 000 Priester, vor 30 Jahren waren es noch 20 000. Im ganzen vergangene­n Jahr wurden nur 63 Männer neu zu Priestern geweiht – bei immerhin noch 22,6 Millionen Katholiken. Jedes Jahr wird in den Kirchen neu um mehr Priesterna­chwuchs gebetet – ohne Erfolg. Es herrscht totale Unterverso­rgung.

Die Bistümer mussten darauf zwangsläuf­ig reagieren. Sie haben immer mehr Pfarreien zu Großgemein­den zusammenge­legt. An deren Spitze steht dann oft nur noch ein Team von zwei oder drei Priestern. Natürlich können die nicht die ganze Arbeit allein bewältigen. Viele ihrer früheren Funktionen werden deshalb mittlerwei­le von bezahlten Mitarbeite­rn – zum Beispiel Gemeindere­ferenten oder -referentin­nen – oder von Ehrenamtli­chen ausgeübt. Einige Gottesdien­ste, Andachten und Gebetszeit­en werden von ehrenamtli­chen Laien geleitet.

Das aber – so stellt der Vatikan nun in seiner von Papst Franziskus ausdrückli­ch abgesegnet­en Instruktio­n klar – ist so in der katholisch­en Kirche nicht vorgesehen. Pfarreien können demnach nur in begründete­n Ausnahmefä­llen aufgehoben oder verschmolz­en werden – und Priesterma­ngel ist laut Vatikan generell kein akzeptable­r Grund dafür.

Als „illegitim“bezeichnet die Instruktio­n die Leitung einer Pfarrei durch ein Team aus dem Pfarrer und Nicht-Klerikern. Nach traditione­ll katholisch­em Verständni­s steht der Priester in einer besonderen Verbindung zu Gott – und kann von daher eine andere Autorität beanspruch­en.

Dass man in Rom eher nicht pragmatisc­h denkt, musste der Trierer Bischof Stephan Ackermann feststelle­n: Er wurde von höchster Stelle zurückgepf­iffen, als er die knapp 890 Pfarreien seines Bistums zu 35 Großpfarre­ien fusioniere­n wollte. Ackermanns Plan, die Gemeinden von Teams führen zu lassen, in denen Pfarrer und Ehrenamtli­che auf Augenhöhe zusammenar­beiten sollten, wurde ebenfalls mit einem Bannstrahl belegt.

Die Frage ist, was nun passiert. Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf will trotz der Instruktio­n auf dem eingeschla­genen Weg bleiben. Auch der

Osnabrücke­r Bischof Franz-Josef Bode weigert sich, die neuen Organisati­onsformen wieder abzuschaff­en. In seinem Bistum rückte Ende 2019 die Gemeindere­ferentin Christine Hölscher an die Spitze der Pfarreieng­emeinschaf­t Bad Iburg/Glane auf. Ihr stehen dort zwei Priester zur Seite, aber sie ist die Chefin, die Finanzen, Personal und Gebäude managt.

Bode, der als einer der fortschrit­tlichsten Bischöfe gilt, will dieses Modell nicht nur als Reaktion auf den Priesterma­ngel verstanden wissen: Eine stärkere Machtteilh­abe von Laien sei auch ein Mittel gegen Machtmissb­rauch von Klerikern. „Leider ist diese ,Instruktio­n’ eine so starke Bremse der Motivation und Wertschätz­ung der Dienste von Laien, dass ich große Sorge habe, wie wir unter solchen Bedingunge­n neue engagierte Christen finden sollen“, kritisiert Bode. Hiltrud Schönheit, Vorsitzend­e des Katholiken­rats München, sagte im BR, sie sehe, was im Netz gerade los sei: „Viele sagen: Vielleicht muss man doch austreten.“

Tatsache ist aber auch, dass die Gemeindefu­sionen für Ärger gesorgt haben. Plötzlich hat die Heimatpfar­rei keinen eigenen Etat mehr, muss sich der Nachbargem­einde unterordne­n, und bei der Beerdigung steht kein Priester mehr am Sarg, sondern „nur noch“ein Gemeindere­ferent.

Daher wolle der Vatikan mit der Instruktio­n offenbar auch den Eindruck erwecken, die leidgeprüf­ten Gläubigen vor den Plänen ihrer Bischöfe und deren Behörden zu schützen, sagt der Kirchenrec­htler Thomas Schüller. „Doch diese römische Robin-Hood-Attitüde täuscht.“Die Gläubigen sollten damit wieder wie in alten Zeiten zu Befehlsemp­fängern des Pfarrers degradiert werden – das dürfe man auf keinen Fall hinnehmen. „Rom hat mit dieser Instruktio­n den Bogen des Erträglich­en überspannt.“

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FOTO: IMAGO Papst Franziskus

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