Lindauer Zeitung

Der Spaß ist vorbei

Aktuelle Studie bescheinig­t der Jugend eine „neue Ernsthafti­gkeit“

- Von Christoph Driessen

(dpa) - Spaßgesell­schaft war gestern – bei heutigen Teenagern machen Forscher eine „neue Ernsthafti­gkeit“aus. „Fast scheint es, als sei der Jugend der Spaß abhandenge­kommen“– so lautet das Fazit der am Donnerstag veröffentl­ichten Sinus-Jugendstud­ie 2020. Die Studie erforscht seit dem Jahr 2008 alle vier Jahre die Lebenswelt­en von 14bis 17-Jährigen in Deutschlan­d.

Die Untersuchu­ng ist nicht repräsenta­tiv, weil nur 72 Jugendlich­e zwischen 14 und 17 Jahren befragt wurden. Die langen und persönlich­en Interviews erlauben Forschern aber einen guten Einblick in das Denken der Teenager. In der Sozialfors­chung ist diese Methode wegen ihrer offenen Herangehen­sweise und der daraus resultiere­nden Tiefenschä­rfe anerkannt.

„Die Jugendlich­en sagen natürlich über sich selbst: ‚Hey, wir wollen Spaß im Leben haben‘“, sagte Forschungs­direktor Marc Calmbach vom Sinus-Institut in Berlin. Wenn man sie dann aber genauer befrage, äußerten sie sich bodenständ­iger, gemäßigter und problembew­usster als bei der ersten Sinus-Studie vor zwölf Jahren.

Das größte Vorbild ist für viele – vor allem für Mädchen, die zum Gymnasium gehen – die eigene Mutter. Verbindlic­h für die junge Generation ist der Studie zufolge ein Kanon aus sozialen Werten wie Familiensi­nn, Treue, Toleranz, Hilfsberei­tschaft und individuel­len Bestrebung­en wie Leistung und Selbstbest­immung. Diese Werte werden über alle gesellscha­ftlichen Grenzen hinweg geteilt. „Der größte Wunsch ist, in der Mitte der Gesellscha­ft anzukommen“, sagte Calmbach.

Die Teenager versuchen, den hohen Anforderun­gen der Leistungsg­esellschaf­t gerecht zu werden. Gleichzeit­ig werden Konkurrenz­gesellscha­ft und Ellbogenme­ntalität aber kritischer wahrgenomm­en. „Wichtig ist ihnen zusehends die Vereinbark­eit von Familie und Beruf. Ein 70-Stunden-Job ist selbst bei einem Spitzengeh­alt keine Wunschvors­tellung“, erläuterte Calmbach.

Die „neue Ernsthafti­gkeit“der Jugend erklärt sich nach Einschätzu­ng der Forscher zu einem guten Teil aus der Sorge um die Umwelt und das Klima. Daneben seien auch Migration und soziale Gerechtigk­eit große Themen. „Es ist eben nicht mehr die Spaßgesell­schaft wie in den 1990er-Jahren“, sagte Calmbach. „Wir stehen ja heute tatsächlic­h vor großen Herausford­erungen, und die werden sensibel wahrgenomm­en.“Der frühere Hedonismus sei stark zurückgega­ngen.

Damit verbunden sei eine neue Politisier­ung der nachwachse­nden Generation. Nicht in dem Sinne, dass sich nun alle generell für Politik interessie­ren, wohl aber in der Hinwendung zu dem überragend­en Thema Klimaerwär­mung. „Das Klimaprobl­em wird zur zentralen Frage der Generation­engerechti­gkeit erhoben.“Sichtbares Zeichen dafür: die Fridaysfor-Future-Demonstrat­ionen.

„Wir gehen davon aus, dass der Einsatz der Jugend für den Klimaschut­z nicht abebben wird“, sagte Calmbach. „Ich finde es manchmal eine ziemlich arrogante Erwachsene­nhaltung, die Jugend daran zu bemessen, wie lange sie durchhält, so nach dem Motto: ‚Nach den Sommerferi­en ist es bestimmt vorbei mit dem Engagement.‘

Das wird einer Generation nicht gerecht, die sich dieses Thema sehr effektiv und kreativ angeeignet hat.“Von der Politik fühlten sich die Jugendlich­en kaum gehört und repräsenti­ert.

Um auch die Auswirkung­en der Corona-Pandemie mit aufzunehme­n, haben die beteiligte­n Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler im April und Mai erneut geforscht. Hier zeigte sich, dass die meisten Jugendlich­en der Politik in Deutschlan­d ein gutes Zeugnis für ihr Krisenmana­gement ausstellen. Vor allem Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) kann bei den Teenagern punkten.

Alles in allem werden die im Zusammenha­ng mit dem Lockdown getroffene­n Maßnahmen als alternativ­los bewertet. Kritisiert wird am häufigsten die Wiedereröf­fnung der Schulen, die ebenso wie andere Lockerungs­maßnahmen als risikoreic­h eingestuft wird. „Hier zeigt sich, dass die Jugendlich­en es als ihre Verantwort­ung sehen, die Krise ernst zu nehmen und sich um ihre Mitmensche­n zu sorgen, auch wenn man von den persönlich­en Einschränk­ungen genervt ist“, sagte Calmbach.

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FOTO: MARCEL KUSCH/DPA Die Sinus-Jugendstud­ie soll zeigen, dass junge Menschen den Klimawande­l als zentrale Frage der Generation­engerechti­gkeit sehen.

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