Testlauf für die Tour
In Siebenbürgen vollzieht der Radsport einen Schritt Richtung Alltag – Aber alles ist anders
(dpa) - Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen. Absperrgitter teilten den historischen Marktplatz in der Altstadt von Hermannstadt in einen öffentlichen und einen gesperrten Bereich. Im öffentlichen Bereich saßen Hunderte Menschen an den im Freien aufgestellten Tischen der umliegenden Restaurants. Sie tranken Bier, hatten gehäufte Teller mit Fleisch, Salat und gebratenem Gemüse vor sich und schauten interessiert auf den Prolog der Sibiu Tour. Eigentlich ein unbedeutendes Rennen, wäre es nicht das erste ProfiRadrennen nach der CoronaZwangspause.
Die komplette Strecke durch die malerisch restaurierte Altstadt war abgesperrt, allerdings nicht durchgängig mit Gittern. Manchmal flatterte nur ein Absperrband im Wind. Die Menschen, die hier ihren täglichen Wegen nachgingen, in kleinen Grüppchen auch an der Strecke verweilten, hielten sich an diese Zeichen. Niemand passierte die Strecke, wenn ein Radsportler in Sicht war. Vorsicht und Rücksichtnahme regierten, und bis der Regen alle Schaulustigen unter die Dächer brachte und nur die beim Rennen eingeschriebenen Fahrer auf den Straßen unterwegs waren, herrschte sogar etwas Radsportstimmung.
„Es war ein wenig wie der erste Schultag. Lange Zeit gab es ja keine Rennen. Keiner von uns wusste, wo er steht. Ich war schon drei Stunden vor dem Start sehr nervös“, erzählte der spätere Sieger des Prologs, Nikodemus Holler (29). Holler, Halbprofi beim deutschen ContinentalRennstall Bike Aid, hatte in der Regenlotterie am Donnerstag die passende Strategie gewählt und so die Vollprofis von Bora-hansgrohe und Israel Start-Up Nation düpiert. Am Freitag schlug Bora-hansgrohe aber zu: Der österreichische Radprofi Gregor Mühlberger gewann die Bergankunft am Balea-See vor seinem Landsmann und Teamkollegen Patrick Konrad. Mühlberger steht als Helfer des deutschen Topfahrers Emanuel Buchmann auch im Tourde-France-Aufgebot.
Für Cosmin Costea, Streckenmanager und zugleich Covid-19-Organisator – eine ganz neue Jobbeschreibung in diesen Zeiten – handelt es sich nicht um das erste Rennen nach Corona, sondern um das „erste Rennen mit Corona“. Costea macht einen besonnenen Eindruck. Er arbeitet nach eigenen Angaben seit 1987 im Gesundheitswesen Rumäniens als Medizintechniker. Seine Verbindungen in diesem Sektor waren hilfreich für die Planung. „Wir wollen ein sicheres Rennen. Wir wollen die Fahrer schützen, damit sie sich nicht anstecken und die Infektion weiter verbreiten. Und wir wollen die Bevölkerung schützen, damit keine Infektionen von draußen durch die Teams kommen“, sagte er.
Deshalb gibt es die abgesperrten Bereiche. Die Teams sind in einer eigenen Sicherheitsblase, die Organisatoren in einer weiteren, die wenigen Medienvertreter in einer dritten. Fahrer und Betreuer mussten Covid-19-Tests vornehmen. Sie waren alle negativ. In den Hotels wird zweimal täglich die Temperatur gemessen. „Gibt es Anzeichen auf eine Infektion, wird sofort ein Test durchgeführt. Ist der dann positiv, wird der Fahrer ins Krankenhaus gebracht und sein Team aus dem Rennen genommen. Ob noch weitere Teams aus dem Rennen genommen werden müssen und ob es überhaupt weitergehen kann, werden wir dann in einer Task-Force aus Teamärzten, Teamvertretern und Vertretern der Behörden beraten“, erklärte Costea. Die Entscheidung über einen Rennabbruch behält sich aber der Weltverband UCI vor.
Die Fahrer fühlen sich nach den ersten Eindrücken gut aufgehoben in Siebenbürgen. „Ein bisschen Risiko ist immer dabei. Aber wir sind sicher unterwegs, sind in unserer eigenen Blase. Der Veranstalter macht einen super Job, passt auch auf, dass beim Essen niemand anderes dabei ist“, meinte Pascal Ackermann (26). Der deutsche Sprintstar von Borahansgrohe will bei den kommenden Sprintetappen seine ersten Siege einfahren.