Tierschützer fühlen sich ausgebremst
Streit um Besetzung von Expertenrunden zu Tierversuchen – Kritiker nicht erwünscht?
- Sie prüfen, ob Tierversuche wirklich notwendig sind: Expertenrunden in Tübingen, Stuttgart, Freiburg und Karlsruhe. Längst sollten darin genauso viele Tierschützer wie Wissenschaftler sitzen. Doch das gelingt in Baden-Württemberg nicht, noch immer haben die Vertreter der Forscher die Mehrheit, die Tierversuche befürworten. Das muss sich ändern, fordern die Grünen.
2018 experimentierten Forscher im Südwesten an über 533 000 Tieren, so vielen wie nirgendwo sonst. Dahinter folgt im Bundesvergleich Bayern mit rund 406 900 Tieren. An der Universität Ulm waren es rund 36 000, vor allem Mäuse und Fische. In Tübingen führten Wissenschaftler 2018 Versuche mit mehr als 30 770 Tieren durch, an der Universität Konstanz waren es rund 20 000.
Südwest-Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) verteidigt das stets mit dem Hinweis darauf, dass etwa lebenswichtige Medikamente oder Impfstoffe ohne diese Experimente noch immer nicht entwickelt werden können. Außerdem gebe das Land Millionen aus, um Alternativen zu den Tierexperimenten erforschen zu lassen.
Jede Versuchsreihe an Tieren muss von den Regierungspräsidien genehmigt werden. Die „TierschutzEthikkommissionen“beraten sie dabei. Seit 2013 sollen je drei Tierschützer und je drei Vertreter von Forschungseinrichtungen in den Gremien sitzen. Eine Anfrage der Tierschutzexpertin Thekla Walker (Grüne) beim Ministerium ergab jetzt jedoch: Dazu kommt es bislang kaum. Derzeit sitzen in den Kommissionen 24 Vertreter von Forschungseinrichtungen oder Unternehmen, aber nur 18 Tierschützer.
Das Ministerium sieht dafür vor allem einen Grund: Es fehlten qualifizierte Kandidaten für die Sitze der Tierschützer. Vorgeschlagen werden können diese von Tierschutzorganisationen. Doch dieses Argument lässt Barbara Felde von der Deutschen Juristischen Gesellschaft (DJGT) nicht gelten. Immer wieder würden sehr gut geeignete Kandidaten ohne Grund abgelehnt.
Als Beispiel führt sie Tübingen an. Dort soll im September eine Kommission neu besetzt werden. Laut Regierungspräsidium werden diesmal drei von sechs Mitgliedern aus dem Tierschutz kommen. Doch DJGT, Peta und Landestierschutzbund halten das für ein Täuschungsmanöver. Weder die Vorschläge der
DJGT noch jene der Organisation Peta wurden berücksichtigt – oder nur als Ersatzkandidaten. „ Leider ist es offenkundig wieder so, dass die Vertreter des Tierschutzes nur auf die Ersatzbank geschoben werden“, sagt Felde. Dabei habe die DJGT den ehemaligen Kreisoberveterinärrat Karl Pfitzenmaier und eine Tierärztin benannt, beide seien absolut qualifiziert für die Aufgabe. Peta hatte unter anderen die Biologin Anne Meinert vorgeschlagen. Auch sie soll nun nur einspringen, wenn ein ordentliches Mitglied ausfällt. „Man kann aus diesem Vorgehen schließen, dass im Regierungspräsidium Sorge vor kritischen Tierschutzvertretern besteht“, sagt Meinert.
Ein Sitz in der neuen Tübinger Kommission geht wie bislang an den Bio-Ethiker Norbert Alzmann, der vom Tierschutzbund vorgeschlagen wurde. Die anderen beiden Tierschutz-Sitze könnten an die „Tierärztliche Vereinigung für den Tierschutz“fallen, fürchten Peta & Co. Eine Sprecherin des Regierungspräsidiums teilte dazu mit, die Namen der Mitglieder seien nicht öffentlich. Die TVT lehnt Tierversuche nicht grundsätzlich ab, anders als die übrigen Tierschutzorganisationen. „Unser Selbstverständnis ist: Der
Mensch darf Tiere nutzen, aber er muss abwägen, wo Tierversuche wirklich notwendig sind, wo es keine andere Alternative gibt, die Tiere sollten möglichst keine langanhaltenden Schmerzen erleiden“, erklärt TVT-Bundesvize Thomas Blaha.
Aus Sicht ihrer Kritiker vertrete die TVT eine forschungsfreundliche Linie und werde von den Behörden gerne in die Kommissionen berufen. Denn diese wollten es sich nicht mit den Universitäten verderben. Viele TVTler seien an Tierversuchen beteiligt und daher parteiisch. „In der TVT sind Tierärzte, die selber Tierversuche machen oder als Tierschutzbeauftragte in Forschungseinrichtungen tätig sind“, sagt der ehemalige Veterinärrat Pfitzenmaier, selbst TVT-Mitglied. TVT-Vize Blaha weist die Vorwürfe zurück. Keineswegs seien seine Kollegen per se für Tierversuche: „Selbstverständlich müssen wir, wo immer möglich, andere Möglichkeiten als Tierversuche nutzen und weitere Alternativen finden.“
Unstrittig ist, dass deutschlandweit die meisten Tierversuche genehmigt werden. „Offizielle Daten zeigen, dass in Baden-Württemberg nur etwa ein Prozent der Anträge für Tierversuche abgelehnt werde. Man kann davon ausgehen, dass das auch an der bislang nicht paritätischen Besetzung der Mehrheit der Kommissionen liegt“, so der Bio-Ethiker Norbert Alzmann.
Die Grünen-Abgeordnete Walker fordert daher: „Mehr als sieben Jahre hatten die Regierungspräsidien Zeit, die Tierschutzkommissionen endlich paritätisch zu besetzen – doch sie sind ihrer Aufgabe nicht nachgekommen. Genügend geeignete und hochqualifizierte Bewerbungen aus den Tierschutzorganisationen stehen zur Verfügung. Man muss nur wollen.“
Dafür brauche es aber eine höhere Aufwandsentschädigung. Derzeit bekommen die Mitglieder maximal 84 Euro plus Reisekosten und Verdienstausfall erstattet. „Die Kommissionen sind sehr zu Ungunsten der Tierschutzvertreter organisiert. Der Arbeitsaufwand ist sehr hoch, die Aufwandsentschädigung viel zu niedrig. Die Tierschutzvertreter machen das im Ehrenamt, die Vertreter der Forschung können das sehr wahrscheinlich während ihrer Arbeitszeit machen“, sagt Pfitzenmaier. Es sei für die Ehrenamtler kaum möglich, mit diesen begrenzten Ressourcen Lücken oder Fehler in den Anträgen zu beweisen.