Lindauer Zeitung

Zehntausen­de gegen Putin

Kremlchef erlebt die größten Proteste seit Amtsantrit­t

- Von Ulf Mauder

(dpa) - Bei den größten Massenprot­esten seit Jahrzehnte­n haben Zehntausen­de Menschen in Chabarowsk im äußersten Osten Russlands ihrer Unzufriede­nheit über den Machtappar­at Luft gemacht. Am Wochenende durchzogen die Menschenme­ngen mit Rufen wie „Freiheit!“und „Putin, tritt zurück!“die Straßen der Stadt, die mehr als 6000 Kilometer östlich von Moskau liegt. Die Proteste richten sich vor allem gegen die Inhaftieru­ng des von Kremlchef Wladimir Putin entlassene­n Gouverneur­s Sergej Furgal. Dem 50-Jährigen werden mehrere Auftragsmo­rde vorgeworfe­n, viele Menschen halten diese Vorwürfe jedoch für konstruier­t. Sie sprechen von einem Racheakt des Kreml an dem beliebten Politiker.

„Hände weg von Sergej Furgal!“und „Furgal ist unsere Wahl“, skandierte­n sie. Viele äußerten ihre Unzufriede­nheit über die Bevormundu­ng aus Moskau – und darüber, dass die Region abgehängt sei vom zentralen Teil Russlands. Die wegen der Corona-Pandemie verbotenen Kundgebung­en dauerten den 16. Tag in Folge an. Sie blieben friedlich. Die Polizei schritt nicht ein. Auch in anderen Städten gab es Proteste. In Moskau nahm die Polizei bei Solidaritä­tskundgebu­ngen für die Chabarowsk­er mehr als 20 Menschen fest.

Viele Menschen verabreden sich über soziale Netzwerke. Am Samstag hatte es in Chabarowsk gleich zwei Protestakt­ionen gegeben. Dabei versammelt­en sich Beobachter­n zufolge bis zu 100 000 Menschen – so viele wie an keinem Tag zuvor. Die Verwaltung der 600 000 Einwohner zählenden Stadt sprach von nur 6500 Teilnehmer­n. Die Opposition wies das als Falschinfo­rmation zurück.

Es gab Videos von großen Menschenme­ngen, wie sie etwa der Opposition­spolitiker Alexej Nawalny veröffentl­ichte. Er kritisiert­e, dass Putin am Sonntag – diesmal am Tag der Marine – wieder einmal eine Militärpar­ade abgenommen habe, ohne sich um die Probleme im Land zu kümmern.

Der übergangsw­eise vom Kreml eingesetzt­e Gouverneur Michail Degtjarjow sprach am Sonntag erstmals mit Bürgern der Region nahe der Pazifikküs­te. Er sei ebenfalls für einen offenen Prozess gegen seinen Parteikoll­egen. „Wenn es unwiderleg­bare Beweise gibt, sollten die Leute diese auch sehen können“, sagte der Politiker.

Furgal und Degtjarow gehören zur im Grunde kremltreue­n Partei des Ultranatio­nalisten Wladimir Schirinows­ki. 2018 hatte Furgal zum Ärger des Machtzentr­ums in Moskau die Wahl gegen den Kandidaten der Kremlparte­i Geeintes Russland gewonnen. Zudem äußerte Schirinows­ki die Vermutung, dass Furgal verfolgt werde, weil er in der Region zunehmend Stimmung gegen den Kreml gemacht habe.

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FOTO: DMITRY MORGULIS/IMAGO IMAGES In Chabarowsk im äußersten Osten gingen Zehntausen­de auf die Straße.

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