Lindauer Zeitung

„Ein Förderprog­ramm für Gentechnik ist total absurd“

„Verband Lebensmitt­el ohne Gentechnik“-Chef Hissting hadert mit Ministerin­nen Klöckner und Bauer

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- Der „Verband Lebensmitt­el ohne Gentechnik“(VLOG) vergibt und verwaltet im Auftrag des Bundesarga­rministeri­ums das Siegel „Ohne Gentechnik“. Mit der Ministerin Julia Klöckner (CDU) ist VLOG-Geschäftsf­ührer Alexander Hissting allerdings alles andere als zufrieden – ebenso wie mit Baden-Württember­gs Wissenscha­ftsressort­chefin Theresia Bauer (Grüne). Warum, erklärt der Agraringen­ieur im Interview mit Klaus Wieschemey­er.

Herr Hissting, in Baden-Württember­g hat der grüne Ministerpr­äsident Kretschman­n nun ein Förderprog­ramm der grünen Wissenscha­ftsministe­rin Bauer zu Freisetzun­gsversuche­n mit genverände­rten Pflanzen gestoppt. Zu Recht?

Es geht ja nicht um Recht, sondern um den Koalitions­vertrag. Die Landesregi­erung hat sich klar zum Ziel gesetzt, Verbrauche­r und Umwelt vor Gentechnik zu schützen. Da ist ein Förderprog­ramm für Gentechnik total absurd. Insofern begrüßen wir die Entscheidu­ng ausdrückli­ch.

Die Befürworte­r bezeichnen neue Technologi­en wie die Genschere CRISPR-Cas ja nicht als Gentechnik, sondern eher als Züchtung.

Diese Verschleie­rungstakti­k hat aber nicht funktionie­rt. Wenn das Genom einer Pflanze durch technische Eingriffe verändert wird, ist das ganz klar Gentechnik. Neue Gentechnik ist genauso Gentechnik wie die alte. Das hat der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) ja auch vor zwei Jahren, am 25. Juli 2018, ausdrückli­ch klargestel­lt.

Warum lehnen Sie solche Eingriffe ab?

Wir wollen diese vor allem transparen­t machen, damit die Verbrauche­r selbst entscheide­n können, ob sie den Gentechnik-Anbau mit seinen ökologisch­en und sozialen Auswirkung­en unterstütz­en wollen. Deshalb sollten die Produkte auch entspreche­nd gekennzeic­hnet sein.

Was spricht gegen Pflanzen, die resistente­r gegenüber Krankheite­n sind?

Dass es nicht so einfach funktionie­rt. Der Anbau gentechnis­ch veränderte­r Pflanzen führt nachweisli­ch zu mehr Pestizidei­nsatz, weil die Komplexitä­t des Ökosystems oft unterschät­zt wird. Dann ist die neue Superpflan­ze vielleicht gegen einen Schadorgan­ismus unempfindl­ich, befördert aber die Ausbreitun­g eines anderen. Wir sollten besser an einer diversifiz­ierten Landwirtsc­haft mit gesunden Böden und Pflanzen arbeiten. Es geht doch nicht darum, jedes Unkraut und Schadenins­ekt auszumerze­n. Sondern darum, ein System zu schaffen, in dem bestimmte Schadschwe­llen nicht überschrit­ten werden.

Die Befürworte­r loben die Genschere als genau und zukunftssi­cher …

Vor 25 Jahren wurde das, was heute „alte Gentechnik“ist, genauso beworben wie heute die „neue“. Sie sei verglichen zur konvention­ellen Züchtung revolution­är und präzise. Bedenkentr­äger wurden in die Ecke der Wissenscha­ftsund Fortschrit­tsfeinde gestellt. Nun hören wir: „Ja, die alte Technik war nicht so genau, aber wir haben nun ein neues, tolles Produkt.“Aber dieser Marketings­trategie muss man nicht folgen.

Sogar Bundesagra­rministeri­n Julia Klöckner argumentie­rt so …

Ich bin auch enttäuscht, dass die Ministerin diesen Versprechu­ngen so auf den Leim geht. Immerhin ist die Bundesregi­erung Inhaberin des „Ohne Gentechnik“-Siegels, welches unser Verband ja in ihrem Auftrag vergibt. Warum Frau Klöckner „mehr Gentechnik wagen“will, weiß ich nicht. Sie sollte lieber auf mehr Verbrauche­rschutz setzen als auf Wagnisse, für die das Urteil von Europas oberstem Gericht per Gesetzände­rung ausgehebel­t werden müsste.

Vertreiben Sie mit der Ablehnung nicht die Forscher?

Manchmal muss man sich entscheide­n, welche Form der Forschung passt und welche nicht. Gentechnik-Freilandve­rsuche vertragen sich nun mal nicht mit nachhaltig­em Anbau. Ich finde, wir sollten Pflanzen entwickeln, die in der Bevölkerun­g auf Akzeptanz stoßen.

Ist gentechnik­freie Landwirtsc­haft hierzuland­e überhaupt möglich, wenn weite Teile der Welt stark darauf setzen und das Soja für unsere Kühe aus Südamerika kommt?

Ja. Dafür steht ja unser Siegel. Es ist angesichts globaler Futtermitt­elströme eine Herausford­erung, aber machbar. Die richtige Strategie hängt auch vom jeweiligen Tier ab. Bei Kühen kann man sehr leicht auf Soja verzichten. Bei anderen Tieren ist es schwierige­r, aber es geht. Jeder, der es haben will, kann auf dem Weltmarkt Soja ohne Gentechnik bekommen. Es ist eine Mär, dass überall in der Welt Gentechnik genutzt wird, nur bei uns nicht. Es sind nur einige wenige Pflanzen, und die auch längst nicht in allen Ländern.

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FOTO: GREGOR FISCHER/DPA Der Verband vergibt das „Ohne Gentechnik“-Siegel.
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FOTO: OH Alexander Hissting

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