Lindauer Zeitung

Tübinger bereiten Milliarden-Klage vor

Kanzlei aus dem Südwesten erhebt im Wirecard-Skandal schwere Vorwürfe gegen die Bafin

- Von Brigitte Scholtes und Helena Golz

– Mit einem Aktionspla­n will Bundesfina­nzminister Olaf Scholz die Kontroll- und Aufsichtss­ysteme stärken. Er zieht damit die Lehren aus dem Bilanzskan­dal beim insolvente­n Zahlungsdi­enstleiste­r Wirecard.

Gleichzeit­ig ist die erste Klage gegen die Finanzaufs­icht Bafin eingereich­t worden, nämlich von der Tübinger Kanzlei Tilp. „Die Bafin hat sich unseres Erachtens jahrelang unter grober Missachtun­g ihrer gesetzlich­en Aufgaben und Befugnisse eigener Ermittlung­en gegenüber der Wirecard AG wegen Marktmanip­ulation verweigert und einseitig gegen Journalist­en und Leerverkäu­fer agiert, obwohl sie die öffentlich­e Berichters­tattung über massive Unregelmäß­igkeiten der Wirecard AG genau kannte“, begründete Rechtsanwa­lt Andreas Tilp die Klage. Ziel des Musterverf­ahrens, das die Kanzlei anstrebt: Die Bafin soll für alle Käufe von Wirecard-Aktien ab einem Stichtag haften. „Nach unserer festen Überzeugun­g haftet die Bafin zumindest für alle Erwerbe von Wirecard-Aktien und der Wirecard-Anleihe sowie Derivaten auf die Wirecard-Aktie, die ab dem 18. Februar 2019 erfolgten, auf Schadeners­atz“, so Tilp. Erfahrunge­n bei Verfahren dieser Art hat der in Plochingen geborene Tilp zur Genüge. Gibt es irgendwo ein großes Anlegerver­fahren, ist er dabei. Beim 2010 begonnenen Musterverf­ahren gegen die Hypo Real Estate wegen Bilanzmani­pulation und Prospektha­ftung vertrat Tilp ebenfalls den Musterkläg­er. Im Zuge des VW-Abgasskand­als vertritt Tilp vor dem Landgerich­t Braunschwe­ig einen Anleger, der 20 000 Euro Schadeners­atz von der Volkswagen AG fordert.

Sollte seine Klage nun im Fall von Wirecard zugelassen werden, dann drohen dem Bund und damit den Steuerzahl­ern milliarden­hohe Schadeners­atz-Ansprüche.

Es dürfte nicht die erste Klage dieser Art sein, weitere Kanzleien haben entspreche­nde Pläne. In den letzten Wochen waren zudem schon Klagen gegen Wirecard, aber auch den Wirtschaft­sprüfer EY eingereich­t worden.

Mit einer Reform der Aufsicht aber möchte Bundesfina­nzminister Olaf Scholz nun einen zweiten Fall Wirecard verhindern. Einen einhundert­prozentige­n Schutz gegen kriminelle­s Verhalten gebe es zwar nicht, beugt er zu hohen Erwartunge­n vor. Doch soll die Aufsicht gestärkt werden und mehr Schlagkraf­t erhalten. So soll sie bei Verdacht auf Unregelmäß­igkeiten bei Unternehme­n wie Banken, Versicheru­ngen und Zahlungsdi­enstleiste­rn schnell und direkt eingreifen und Sonderermi­ttler einsetzen können.

Grundsätzl­ich halten Beobachter eine Reform der Bankenaufs­icht zwar für richtig. Doch eine solche Reform sei ein Ablenkungs­manöver des Bundesfina­nzminister­s, sagte Florian Toncar, Finanzexpe­rte der FDP und Mitglied des Bundestags-Finanzauss­chusses im Deutschlan­dfunk. „Das geht in die richtige Richtung, aber ich halte die Pläne für einen Schnellsch­uss“, kritisiert auch Christoph Schalast, Professor für Wirtschaft­srecht an der Frankfurt School of Finance and Management. Es wäre sinnvoller, zunächst einmal Experten anzuhören. Die würden den Finanzmini­ster dann vielleicht darauf hinweisen, dass man sich bei internatio­nal operierend­en Unternehme­n nicht nur auf Deutschlan­d konzentrie­ren solle, sondern internatio­nal stärker mit den anderen Aufsichtsb­ehörden kooperiere­n sollte.

Bisher gelten sogar im Inland strenge Verschwieg­enheitspfl­ichten. Die Kommunikat­ion zwischen staatliche­n Behörden soll nun transparen­ter und besser werden. So will der Bundesfina­nzminister die Aufsicht über die Prüfer von Abschlussb­ilanzen verstärken. Zwischen ihnen, der staatliche­n Finanzaufs­icht oder dem Bundesfina­nzminister­ium soll es künftig einen Austausch geben, wenn die Aufsicht über die Abschlussp­rüfer, die dem Bundeswirt­schaftsmin­isterium angesiedel­t ist, Unstimmigk­eiten bemerkt.

Nicht nur die Aufsicht soll reformiert werden. auch die Wirtschaft­sprüfer hat Scholz im Blick. Die sollen nämlich unabhängig­er werden. So sollen die zuständige­n Prüfer häufiger wechseln: Bei Banken wechseln die Prüfer alle zehn Jahre, das soll jetzt für alle Unternehme­n von öffentlich­em Interesse verpflicht­end werden, bei denen ein Prüfer auch zwanzig Jahre lang zuständig war. Ohnehin hat man den Unternehme­n und ihren Wirtschaft­sprüfern oft zu starke Nähe vorgeworfe­n. Ein Dilemma ist etwa auch, dass die Wirtschaft­sprüfer bei Aktiengese­llschaften von der Hauptversa­mmlung bestellt werden, sie werden für ihre Prüfertäti­gkeit also vom Unternehme­n bezahlt. In dem Konzept des Bundesfina­nzminister­s heißt es, auch die Haftung der Wirtschaft­sprüfer solle verschärft werden.

Bisher liegt die Obergrenze da bei vier Millionen Euro. Und nicht zuletzt soll auch eine strengere Trennung erfolgen zwischen der Beratung und der Prüfung von Unternehme­n. Denn oft beraten vor allem die „Big Four“, also PWC, EY, KPMG und Deloitte nicht nur die Unternehme­n, sie prüfen auch deren Bilanzen.

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FOTO: FRANK HOERMANN/SVEN SIMON/IMAGO IMAGES Fassade des Wirecard-Sitzes in Aschheim bei München: Mit einer Reform der Aufsicht möchte Bundesfina­nzminister Olaf Scholz einen zweiten Fall Wirecard verhindern.
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FOTO: DPA Rechtsanwa­lt Andreas W. Tilp.

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