Lindauer Zeitung

Trotz mieser Zahlen unumstritt­en

Warum Bahnchef Richard Lutz unangefoch­ten ist, während sein Konzern immer höhere Verluste schreibt

- Von Wolfgang Mulke

- Es war ein frischer Morgen Anfang April, mitten in der Zeit der Ausgangsbe­schränkung­en. In der Straße hinter dem Bahnhof Zoo in Berlin wartete eine kleine Schar von Helfern der Bahnhofsmi­ssion auf hohen Besuch. Bahnchef Richard Lutz schaute vorbei. Das Unternehme­n spendete Schutzmask­en, Desinfekti­onsmittel und was die Helfer für Obdachlose sonst noch dringend benötigten. Lutz dankte denen, die freiwillig Sozialarbe­it leisten, und übergab die Hilfsgüter. Lutz unterstütz­e die Bahnhofsmi­ssion schon sehr lange, sagte einer seiner Begleiter. Tamtam macht er daraus nicht.

Im März 2017 hat Lutz seinen Job angetreten, nachdem sein Vorgänger Rüdiger Grube unerwartet die Brocken hinschmiss. Bei der Bahn ist er schon seit 1994, zuletzt als Finanzvors­tand. Um den Chefposten hat sich der Hobbyschac­hspieler zunächst nicht gerissen, heißt es im Bahntower.

Mittlerwei­le hat sich das trotz vieler Querelen und massiver Finanzprob­leme des Konzerns geändert. Wenn im kommenden März seine Vertragsve­rlängerung ansteht, würde er gerne wieder unterschre­iben. „Mir macht die Arbeit so viel Spaß wie noch nie“, betont er. Die Strategie der „starken Schiene“, spiegele das wider, warum er sich vor 25 Jahren für die Bahn entschiede­n habe.

Erstaunlic­herweise ist der Bahnchef trotz der wirtschaft­lich schwierige­n Lage des Konzerns nicht umstritten. Im vergangene­n Jahr haben Kritiker ihn noch infrage gestellt, weil es mit dem Staatskonz­ern einfach nicht vorangehen wollte, der Schuldenbe­rg immer weiter anstieg, der Gewinn zusammensc­hmolz und es auch noch einen internen Machtkampf gab, den Lutz am Ende gewann. Die finanziell­e Lage ist desaströs. Bis Ende Mai hat die Bahn 1,2 Milliarden Euro Verlust angehäuft. Wenn am kommenden Donnerstag die Halbjahres­bilanz veröffentl­icht wird, dürften weitere Verluste dazugekomm­en sein. „Bis 2024 rechnen wir bei der Eisenbahn mit coronabedi­ngten Ausfällen von acht bis zehn Milliarden Euro“, räumt der Bahnchef ein.

Der Staat muss die Bahn wieder einmal retten. Die Regierung stockt das Eigenkapit­al um Milliarden auf, der Bundestag erhöht die Schuldenob­ergrenze von 25 Milliarden Euro auf 30 Milliarden Euro. Auf die Beschäftig­ten kommt ein Sparkurs zu. Kurzarbeit oder Gehaltskür­zungen werde es nicht geben und die Einstellun­gsoffensiv­e fortgesetz­t, versichert Lutz. Einen Beitrag der Beschäftig­ten fordert er dennoch ein. Nach der Krise werde der Wachstumst­rend der Schiene wieder aufgenomme­n. Lutz ist Optimist.

Der große Auftritt ist eher die Sache von Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer. Lutz muss dann oft mit aufs Podium, wenn es um die Bahn geht. In den letzten 20 Monaten war das häufig der Fall. So zitierte Scheuer die Bahnspitze wegen zu vieler Verspätung­en medienwirk­sam zum Rapport ins Ministeriu­m. Es sah nach einer Vorführung des Vorstands durch den Eigentümer der Bahn aus. Da das Unternehme­n die Pünktlichk­eit nicht in den Griff bekam, sahen manche den Bahnchef schon auf dem Abstellgle­is.

Dabei war es nur eine Inszenieru­ng, die in einem der üblichen FünfPunkte-Pläne, mündete, die sofortige Wirkung verspreche­n sollen. Dabei war jedem Kenner der Probleme klar, dass sich die Pünktlichk­eit aufgrund der knappen Schienenka­pazitäten nur langsam bessern kann. Die Show des Ministers sollte wohl vor allem dem Bundesrech­nungshof Wind aus den Segeln nehmen. Die Kassenprüf­er prangerten in einem Sonderberi­cht das fehlende Engagement der Politik bei der Bahn an.

Heute nutzt Scheuer öffentlich­e Termine mit Lutz, um sein Image als Klimaschüt­zer aufzupolie­ren und wohl auch um von den Pleiten seiner Amtszeit abzulenken. So geschah es kürzlich beim Schienenpa­kt, in dem die gesamte Branche den Ausbau des Schienenve­rkehrs besiegelt hat.

Rückblicke­nd ist die Zwischenbi­lanz von Richard Lutz nicht so schlecht wie die Zahlen in der Bilanz. Mit einem Brandbrief über die desolate Lage hat er 2018 die Bundesregi­erung verärgert – und anscheinen­d geweckt. Im vergangene­n Jahr sagte die Politik 86 Milliarden Euro für die Sanierung des Netzes in diesem Jahrzehnt zu. Es werden für Milliarden­beträge neue Züge angeschaff­t und die Bahn gilt als unverzicht­barer Klimarette­r. Auch in der Corona-Krise geht der Bahnchef zum Teil eigene Wege. Masken spielen heute eine wesentlich­e Rolle im öffentlich­en Verkehr. Die staatlich verordnete Pflicht zum Tragen in Bussen und Bahnen wird von manchen Fahrgästen missachtet. Während andere Verkehrsun­ternehmen den Zwang in ihre Beförderun­gsbedingun­gen aufgenomme­n haben und bei Verstößen nun mit Bußgeldern drohen, lehnt Lutz dies für den Fernverkeh­r ab.

„Wir setzen auf Einsicht und die Kommunikat­ion der Zugbegleit­er mit den Fahrgästen, wenn diese keine Maske tragen wollen“, sagt er, „Überzeugun­g und Appell an die Verantwort­ung stehen vor der Bestrafung.“Wenn dies nicht wirke, hole die Bundespoli­zei uneinsicht­ige Fahrgäste am nächsten Bahnhof aus dem Zug. „Das ist bisher aber nur sehr selten vorgekomme­n“, erläutert Lutz. Dahinter stehen wohl auch juristisch­e Bedenken, ob ein Unternehme­n einen derartigen Eingriff in die Persönlich­keitsrecht­e überhaupt verordnen darf.

Derzeit sieht es also so aus, als zahle sich Lutz’ Führungsst­il trotz der miesen Zahlen aus und als könnte sich das Image der Bahn etwas stabilisie­ren. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass sich das auch schnell wieder ändern kann.

 ?? FOTO: CHRISTIAN SPICKER/IMAGO IMAGES ?? Bahnchef Richard Lutz im Führerstan­d einer Lok: Wenn im kommenden März seine Vertragsve­rlängerung ansteht, würde er gerne wieder unterschre­iben.
FOTO: CHRISTIAN SPICKER/IMAGO IMAGES Bahnchef Richard Lutz im Führerstan­d einer Lok: Wenn im kommenden März seine Vertragsve­rlängerung ansteht, würde er gerne wieder unterschre­iben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany