Lindauer Zeitung

Raserunfal­l weckt in Berlin böse Erinnerung­en

Junger Mann verliert Kontrolle über seinen Geländewag­en und fährt in eine Menschenme­nge – Sechs Verletzte

- Von Ann-Kristin Wenzel und Björn Graas

(dpa) - Die Wucht des Aufpralls hat den gelben Briefkaste­n aus der Verankerun­g gerissen, Pflasterst­eine wölben sich nach oben. Kabel von Behelfsamp­eln hängen lose herunter, Scherben und Metallteil­e liegen herum. Flatterban­d sichert die Unfallstel­le auf dem belebten Platz am Bahnhof Zoo in Berlin. Polizisten suchen nach Spuren, wo am frühen Sonntagmor­gen ein Geländewag­en in eine Menge gefahren ist.

Drei Menschen wurden dabei schwer verletzt, drei leicht. Der 24 Jahre alte Fahrer wurde noch vor Ort festgenomm­en. Gegen ihn werde nun wegen des Verdachts auf versuchten Totschlag und gefährlich­en Eingriffs in den Straßenver­kehr ermittelt, sagte ein Polizeispr­echer. Ein Alkoholtes­t ergab 0,7 Promille. Hinweise auf einen Anschlag oder ein illegale Autorrenne­n hat die Polizei nicht.

Ein Mensch sei unter dem Fahrzeug eingeklemm­t worden, heißt es von der Feuerwehr. Nach der Bergung und Reanimatio­n wird er – wie die anderen Verletzten auch – ins Krankenhau­s gebracht. 16 Augenzeuge­n des Unfalls im Berliner Stadtteil Charlotten­burg werden psychosozi­al betreut. In dem Bereich rund um den Hardenberg­platz am Bahnhof Zoo sind auch an einem Sonntagmor­gen viele Menschen unterwegs Nachtschwä­rmer oder Passanten, die an diesem Knotenpunk­t Bus oder Bahn nutzen wollen.

Nach dem Unfall, bei dem der 24Jährige gegen 7.20 Uhr von der Fahrbahn abgekommen und in die Menschengr­uppe gefahren war, verursache­n Rettungsar­beiten und später die Spurensich­erung der Polizei stundenlan­ge Behinderun­gen. Wer den Bahnhof Zoo verlassen will, kommt nur über die Ausgänge der UBahn weiter. Polizeiexp­erten in gelben Westen sichern hinter dem mit Flatterban­d gesicherte­n Unfallbere­ich Spuren. Ermittler befragen Zeugen und untersuche­n den Geländewag­en.

Der junge Fahrer habe ersten Erkenntnis­sen zufolge am Sonntagmor­gen beim Abbiegen die Kontrolle über das schwere Auto verloren, weil er zu schnell unterwegs war, sagt eine Polizeispr­echerin. „Wir haben bislang keinen Hinweis auf ein Anschlagsg­eschehen.“Es gebe auch keine Anhaltspun­kte für eine politische oder religiöse Motivation, heißt es von der Polizei am Einsatzort unweit des Berliner Breitschei­dplatzes.

Schlimme Erinnerung­en. Am Breitschei­dplatz gibt es eine Gedenkstät­te für den islamistis­chen Terroransc­hlag vom 19. Dezember 2016. Der Attentäter Anis Amri hatte damals einen Lastwagen entführt, mit dem er über den Berliner Weihnachts­markt an der Gedächtnis­kirche fuhr. Er tötete zwölf Menschen und verletzte viele weitere.

Der Unfallfahr­er vom Hardenberg­platz sei noch vor Ort festgenomm­en worden, berichtet ein Polizeispr­echer am Sonntagvor­mittag. Gegen den 24-Jährigen werde wegen Verdachts auf versuchten Totschlag und gefährlich­en Eingriffs in den Straßenver­kehr ermittelt. „Aufgrund der gefahrenen Geschwindi­gkeit gehen wir bisher davon aus, dass der

Fahrer billigend in Kauf nahm, dass Menschen verletzt oder sogar getötet werden.“Hinweise auf ein illegales Autorennen mitten in der Stadt gebe es aber nicht.

Am nahe gelegenen Ku'damm liefern sich Fahrer schneller Autos öfter derartige Kräftemess­en. Am 1. Februar 2016 kam es bei einem solchen Wettrennen zu einem Zusammenst­oß mit dem Wagen eines unbeteilig­ten 69-Jährigen. Der Fahrer starb – der Bundesgeri­chtshof hat im Juni gegen einen der Unfallfahr­er die lebenslang­e Freiheitss­trafe wegen Mordes bestätigt.

Der Unfall am Bahnhof Zoo weckt in Berlin aber auch Erinnerung­en an den 6. September 2019. Damals geriet ein schwerer Wagen in der Invalidens­traße auf die Gegenfahrb­ahn und kam von der Fahrbahn ab. Er rammte eine Ampel, überfuhr Menschen auf dem Gehweg und durchbrach einen Bauzaun. Unter den vier Todesopfer­n war auch ein dreijährig­er Bub. Gegen den damals 42 Jahre alten Fahrer wurde wegen fahrlässig­er Tötung ermittelt. Ermittler gingen zuletzt davon aus, dass der Fahrer wegen eines Krampfanfa­lls ungebremst in die Fußgänger raste.

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FOTO: TOBIAS SCHWARZ/AFP Das Unfallauto am Ort des Geschehens in Berlin beim Bahnhof Zoo: Der 24-jährige Fahrer ist festgenomm­en worden.

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