Diese Künstler wollen endlich wieder auftreten
Lindaus bekanntestem Straßenkünstler Klaus Müller und seinen Freunden geht die Corona-Krise an die Substanz
- Die Gefühle sind gemischt an diesem Nachmittag im ToskanaPark: Klaus Müller freut sich, seine Künstlerfreunde endlich wiederzusehen. Doch obwohl die Sonne strahlt und die Kulisse kaum schöner sein könnte – die Jonglierkegel fliegen nicht so unbeschwert wie noch vor einem halben Jahr. Lindaus bekanntestem Straßenkünstler geht die Corona-Krise langsam an die Substanz.
Denn die Rücklagen, von denen Klaus Müller bisher gelebt hat, sind aufgebraucht. Und die Geldquellen sind versiegt: Veranstaltungen wie das Hafenspektakel oder das Kulturufer sind abgesagt. Eigentlich wollte sich Klaus Müller, der mit Einrad und Fackeln als Theo Teabag oft am Lindauer Hafen unterwegs ist, als Straßenkünstler langsam zur Ruhe setzen und sich auf seine „Circle Show Production“konzentrieren – eine Agentur, über die er Künstler vermittelt. Doch Aufträge bekommt er derzeit nicht. „Jetzt mache ich wieder Straßenshows mit bis zu 200 Leuten, mit Mindestabstand und Desinfektionsmittel“, erzählt er. Doch das reicht natürlich nicht.
Auf der anderen Seeseite ist die Situation ähnlich. Zwar wurden in Vorarlberg mit den Lockerungen wieder erste Veranstaltungen organisiert. „Aber vieles ist schon wieder abgesagt, die Veranstalter haben Angst“, erzählt Stefanie „Momo“Beck. Sie übt gerade, einen HulaHoop-Reifen mit ihrem Kopf kreisen zu lassen. Viele Stunden Training hat sie das bereits gekostet – für zehn Sekunden auf der Bühne. Ein Ausfallhonorar
bekommen die Künstler für die abgesagten Veranstaltungen nicht.
Sowohl Vorarlberg, als auch Bayern bieten Künstlern in der Krise Hilfen an. „Ich habe vom Land ein Arbeitsstipendium bekommen“, sagt Stefanie Beck. Eigentlich wäre sie gerade mit ihrem Kindertheater auf Tour, würde mit einem Tanztheater bald Premiere feiern. Stattdessen trainiert sie jetzt viel und verkauft selbst gemalte Bilder oder Equipment für Jongleure. Straßenshows sind für sie keine Alternative, sie ist Bühnenartistin. „Der Laie denkt vielleicht, das geht – aber man kann eine Bühnenshow nicht einfach auf die Straße übertragen.“
Klaus Müller hat keine Unterstützung beantragt. Zwar bietet der Freistaat seit einiger Zeit ein Hilfsprogramm an, bei dem freischaffende Künstler über ein Vierteljahr bis zu tausend Euro Unterstützung im Monat bekommen können. „Für mich ist das eine klassische Mogelpackung“, sagt der Künstler. Denn bedingungslos sei das Geld keineswegs. „Die tausend Euro müssen voll versteuert werden und wenn ich in den drei Monaten etwas dazu verdiene, muss ich einen Teil der Hilfen wieder zurückzahlen.“Was vor einigen Wochen groß angepriesen worden sei, helfe den Künstlern in Wirklichkeit wenig. „Söder hat gesagt, wir lassen in Bayern keinen allein – genau das tun sie aber“, sagt Klaus Müller. Die Artisten und Straßenkünstler sind sich einig: Geld ist nicht das, was sie jetzt brauchen. „Man soll mir einfach wieder ermöglichen, zu arbeiten“, sagt Klaus Müller. „Ich will auch nicht in eine andere Branche umsiedeln. Denn was ich mache, ist kein Beruf, von dem man lebt. Es ist ein Beruf, für den man lebt.“
Für die 34-jährige Stefanie Beck fühlt es sich ein bisschen nach Berufsverbot an. „Viele Menschen denken ja, Künstler ist ein unsicherer Job“, sagt sie. Sie selbst habe das nie so gesehen, denn sie sei immer gut durchgekommen. „Aber jetzt ist es zum ersten Mal prekär. Mein Job fühlt sich unsicher an.“Auch Klaus Müller hält nicht mehr ewig durch. „Irgendwann ist Hartz IV unausweichlich.“
Doch was wäre eine Lösung? Er fände es gut, wenn es eine Förderung gäbe, die Auftritte wieder möglich macht. Diese Förderung müsste dann so aussehen, dass sie Veranstaltungen ermöglicht, die sich trotz Mindestabstände und Auflagen lohnen. „Die Veranstalter brauchen eine Möglichkeit, dass ihre Kosten gedeckt werden. Es muss jetzt darum gehen, unter welchen Umständen
Veranstaltungen wieder möglich machen kann, damit man den Künstlern eine Perspektive bietet.“In der Bringschuld sieht er neben dem Freistaat auch den Bund – und die Stadt Lindau.
„Wir haben viele Einbußen stillschweigend hingenommen, haben länger als alle anderen auf unsere Einnahmen verzichtet“, sagt Klaus Müller. Und es gehe ihm sicher nicht darum, so zu tun, als gebe es keine Krise. „Aber die Kultur ist das Aushängeschild einer Gesellschaft. Was da gerade passiert, ist kein gutes Zeugnis.“
Um auf die Probleme in seiner Branche aufmerksam zu machen, dreht er jetzt Video-Interviews, die er auf Youtube hochlädt. Mit Künstlern, denen er normalerweise Auftritte vermittelt. Und er trainiert, jetzt wenigstens nicht mehr allein. „Ehrlich gesagt ist mir das am meisten abgegangen, dass man sich nicht mehr getroffen hat und nicht mehr austauschen konnte“, sagt Stefanie Beck. Und da gibt es noch eine andere Sache, die sie sehr vermisst hat: Das Publikum und den Applaus. Beides bekommt sie an diesem Nachmittag im Toskanapark zurück. Zumindest für ein paar Stunden.