Hochamt der Provokation
Vor 100 Jahren fand die „Erste Internationale Dada-Messe“statt – Die Bewegung der Kunstgeschichte sollte nicht allzu lang dauern
(KNA) - Was sich da vor 100 Jahren bei Galerist Otto Burchard am Berliner Lützowufer 13 abspielte, löste bei den meisten Kritikern Kopfschütteln oder Schlimmeres aus. Der große Journalist Kurt Tucholsky sprach von „Krampf“. Das Reichswehrministerium strengte gar einen Prozess an: wegen Beleidigung der Armee.
Was war passiert? Im Jahr 1920 stellte eine Gruppe Künstler um „Marshall“George Grosz, „Dadasoph“Raoul Hausmann und „Monteurdada“John Heartfield ihre dadaistischen „Erzeugnisse“vor.
Die „Erste Internationale DadaMesse“in Berlin sollte zugleich die letzte sein. Dabei hatte sich die Kunstbewegung erst wenige Jahre zuvor, mitten im Ersten Weltkrieg, formiert. Mit Nonsens wollten ihre Vertreter die Sinnlosigkeit von Krieg und Gewalt bloßstellen. Zugleich hatten sie für das Kunst-Establishment nur Spott und Verachtung übrig.
Zum ersten Epizentrum der Bewegung geriet das „Cabaret Voltaire“im schweizerischen Zürich. Die Schweiz war in den Kriegsjahren zu einem Hafen für Künstler und Freigeister aller Herren Länder geworden. In seinem dadaistischen „Eröffnungs-Manifest“fragte der Deutsche Hugo Ball: „Wie kann man alles Aalige und Journalige, alles Nette und Adrette, alles Vermoralisierte, Vertierte, Gezierte abtun?“Die Antwort lieferte er gleich mit: „Indem man Dada sagt.“
In Berlin stopften die Dadaisten zwei Räume bis unter die Decke voll mit Collagen, Gemälden und Plakaten. „Vorweg sei betont, daß auch diese Dada-Ausstellung ein ganz gewöhnlicher Bluff, eine niedere Spekulation auf die Neugier des Publikum ist – eine Besichtigung lohnt nicht“, nahmen die Macher in ihrem Katalog die Einlassungen ihrer Kritiker vorweg. „Das auf dieser Ausstellung Gezeigte ist durchweg auf einem so tiefen Niveau, daß man sich wundern muß, wie ein Kunstsalon den Mut haben kann, diese Machwerke gegen ein immerhin hohes Eintrittsgeld zu zeigen.“
Das Publikum kam natürlich dennoch. Und sah unter anderem eine Mappe mit Zeichnungen und dem Titel „Gott mit uns“, in der Grosz den deutschen Militarismus aufs Korn nahm. Über den Köpfen der Besucher schwebte der von Heartfield und Rudolf Schlichter geschaffene „Preussische Erzengel“– in Soldatenuniform, mit Schweinekopf und der bunten Banderole „Vom Himmel hoch, da komm’ ich her“. Mit fast schon sadistischer Lust träufelten die Dadaisten beißende Ironie in die Wunden einer Gesellschaft, auf der das Trauma des verlorenen Krieges lastete.
Die „Deutsche Tageszeitung“schäumte, „das deutsche Gemüt, das deutsche Herz und die deutsche Seele“würden „mit Gewalt vergiftet“. Die Dada-Messe schloss gleichwohl erst am 25. August 1920 ihre Pforten. Doch das Hochamt der Provokation leitete zugleich den Niedergang der Dada-Bewegung ein, mit der so unterschiedliche Charaktere wie der
Maler Max Ernst, der Architekt Ludwig Mies van der Rohe und der Fotograf und Regisseur Man Ray sympathisierten.
Das von der Reichswehr angestrengte juristische Nachspiel im Jahr nach der Dada-Messe erzeugte mindestens bei einem Beobachter bereits einen faden Beigeschmack. Die fünf Angeklagten hätten ihn bis auf Wieland Herzfelde, den Bruder John Heartfields, allesamt enttäuscht, schrieb Tucholsky unter seinem Pseudonym Ignaz Wrobel im April 1921 in der „Weltbühne“. Die Dadaisten hätten sich in Spaß und Indifferenz geflüchtet. „Niemand von den Jungens war derjenige gewesen, der die Fensterscheibe eingeworfen hatte.“
Nur wenig später verabschiedete sich der Dadaismus von der Bühne – mit einem ordentlichen Knall, wie es sich für das explosive Gemisch gehörte. Einige Protagonisten schieden im Streit voneinander. Angeblich kam es auf einem der letzten Treffen gar zu Handgreiflichkeiten.
Aber: Die Bewegung „zur Aufhebung des Kunsthandels“hatte enorme Auswirkungen auf die Kunst selbst. Joseph Beuys’ „Fettecke“oder die Pop Art sind in gewisser Weise Dada-Erben. Und wenn Schockrocker Marilyn Manson die Bühne unsicher macht oder sich Lady Gaga in ein Fleischkostüm zwängt, wird das gern als dadaistisch bezeichnet. Ob derlei Performance auch noch einen doppelten Boden hat? Das weiß nur der Künstler selbst.