Lindauer Zeitung

Toskana statt Tokio

Friedrichs­hafenerin Liane Lippert geht als WorldTour-Führende an den Restart im Radsport

- Von Martin Deck

- Für viele Menschen ist es eine unliebsame Aufgabe, für Liane Lippert pure Freude: Koffer packen. Endlich wieder reisen, endlich wieder radeln. Seit mehr als vier Monaten fanden auch bei der Radsportel­ite keine Rennen mehr statt. Statt Reisen mit dem Team und Klassiker in den Ardennen mussten sich die Fahrerinne­n und Fahrer über Wochen individuel­l in der Heimat fit halten. Doch nun nimmt auch der Radsport wieder Fahrt auf.

Am Samstag kehren die WorldTour-Teams mit dem Eintagesre­nnen Strade Bianche in der Toskana in den langersehn­ten Wettkampfm­odus zurück. Direkt anschließe­nd geht es für Liane Lippert und ihr Team Sunweb ins Höhentrain­ingslager ins Kühtai in Tirol, bevor die Mannschaft Mitte August zum Giro dell´Emilia nach Italien zurückkehr­t. „Das heißt packen für einen Monat“, sagt die Friedrichs­hafenerin. „Das habe ich schon vermisst.“

Ganz oben in ihrem Koffer wird ein lila Stück Stoff liegen. Da Lippert im Februar in Australien das erste und bislang einzige WorldTour-Rennen der Saison gewonnen hat, geht die 21Jährige als Führende der Elite-Serie an den Restart – und möchte das lila Trikot natürlich gerne verteidige­n. „Die Strecke der Strade Bianche liegt ihr gut, sodass wir hoffen und versuchen, das Trikot zu behalten“, sagt Lipperts Trainer Hans Timmermans. Auch die Friedrichs­hafenerin selbst ist selbstbewu­sst genug, um zu wissen, dass eine Verteidigu­ng der WorldTour-Führung auf dem 136 Kilometer langen Schotterku­rs rund um Siena durchaus möglich ist – vorausgese­tzt, ihr Team bringt sie in der Spitzengru­ppe bis auf den letzten Kilometer. Hier wartet ein kurzer, heftiger Anstieg – genau nach dem Geschmack der explosiven Kletterin, die im Optimalfal­l hier sogar den Tagessieg angreifen möchte.

Ausgerechn­et eine Freundin könnte dabei zur großen Konkurrent­in werden: Clara Koppenburg, wie Lippert Mitglied bei RSV Seerose Friedrichs­hafen, ist nach der Corona-Pause gut in Form. Nach den Querelen um den Wechsel des Hauptspons­ors bei ihrem Team und der Unsicherhe­it während des Lockdowns ist die gebürtige Lörracheri­n bereits am vergangene­n Wochenende bei zwei kleineren Wettfahrte­n in Spanien ins Renngesche­hen eingestieg­en – und mit Platz vier und sechs zweimal nur knapp am Podium vorbeigefa­hren. „Wir haben immer wieder miteinande­r geschriebe­n“, sagt Liane Lippert. „Ich freue mich, Clara wiederzuse­hen.“

Im Gegensatz zu ihrer Vereinskol­legin ging die Corona-Pause bei der Häflerin weniger turbulent zu. Ihr Team Sunweb zählt zu den absoluten Topteams im Frauenrads­port. Existenzso­rgen

hatte Lippert deshalb auch in der Zeit ohne Rennen nicht – lediglich hin und wieder Motivation­sprobleme, da ein klares Ziel fehlte. Trotzdem fühlt sich die 21-Jährige bereit für den Restart. „ Ich denke, ich bin in einer guten Form“, sagt sie. „Aber man weiß nicht, wie gut die anderen nach der Pause drauf sind.“

Deshalb will sie die Erwartung auf die Verteidigu­ng des Führungstr­ikots auch nicht zu hoch hängen. „Ich bin Realistin und weiß, dass ich das Trikot nicht bis zum Saisonende behalten werde. Vielleicht gelingt es mir aber bis zum nächsten Rennen.“Ihr Fokus liegt weiterhin auf den ArdennenKl­assikern, die vom Frühjahr auf Ende September und Oktober verlegt wurden. Zunächst einmal freut sie sich jetzt aber auf die Strade Bianche. „Ich werde es einfach genießen, ins Rennen zurückzuke­hren.“

Für die Profifahre­rinnen ist das zumindest ein kleiner Trost. Eigentlich wären sie in dieser Woche bei den Olympische­n Spielen in Tokio um Gold, Silber und Bronze gefahren. „Es ist schon schwer, wenn man daran denkt“, gibt Lippert zu. „Es fühlt sich gerade alles etwas komisch an.“Dennoch hofft sie, dass die Saison noch ordentlich zu Ende gefahren werden kann. Und wer weiß: Vielleicht liegt bei der Heimreise im Herbst wieder ein lila Trikot ganz oben im Koffer.

Maximilian Schachmann spürt die pure Lust auf Staub. Selten war beim deutschen Straßenrad­meister die Vorfreude so groß wie nun am Ende der quälenden Corona-Auszeit auf die Strade Bianche, den brutalen italienisc­hen Schotterkl­assiker. „Ich habe sehr viel Motivation vom Sieg bei Paris-Nizza mitgenomme­n“, sagt der Berliner vor dem Restart der WorldTourS­aison auf den „weißen Straßen“der Toskana: „Jetzt will ich weiter Rennen gewinnen – und dieses liegt mir.“

Als am 14. März die „Fahrt zur Sonne“zwischen Paris und Nizza ab- und die Saison unterbroch­en wurde, hieß der Sieger Schachmann. Wenn es bei Strade Bianche am Samstag (ab 16.50 Uhr bei Eurosport) weitergeht, dürfte der Berliner gleich wieder vorne mitmischen. Und auch beim Angriff seines Ravensburg­er Teamkolleg­en Emanuel Buchmann auf das Podest der Tour de France ab 29. August ist Schachmann eine entscheide­nde Rolle zugedacht.

Kein Wunder also, dass Bora-hansgrohe den auslaufend­en Vertrag mit dem Alleskönne­r gleich um vier

Jahre verlängert­e, was auch seinen Kapitän hocherfreu­t: „Max ist sehr wichtig. Er hat diese Power, nicht nur in den Bergen, sondern in jedem Terrain“, sagte Buchmann, der ab 12. August bei der Dauphine seinen Tour-Härtetest bestreitet. Schachmann, der den mit Abstand längsten (und neben Buchmann und Peter Sagan bestdotier­ten) Bora-Vertrag in der Tasche hat, will so viel Vertrauen schnellstm­öglich zurückzahl­en – in der Währung Siege. Am liebsten schon am Samstag im italienisc­hen Hochsommer mit viel Hitze und noch mehr Staubwolke­n.

Auch wenn es das erste Toprennen unter den neuen Corona-Bedingunge­n ist, hat Schachmann keinerlei Sicherheit­sbedenken: „Wenn die UCI und der Veranstalt­er ein Konzept ausarbeite­n und die Gesundheit­sbehörden grünes Licht geben, gibt es keinen Grund, sich Sorgen zu machen.“

Am Samstag darf Schachmann die Hauptrolle spielen, bei der Tour ist er hingegen als „Edel-Edelhelfer“Buchmanns eingeplant – für den Teamplayer kein Problem: „Das ist das ganz große Ziel. Wir wollen mit Emu aufs Podium, da möchte ich meinen Teil beitragen.“Zunächst aber wird in Boras Männerwirt­schaft der Buch- mit dem Schachmann fiebern. „Auf jeden Fall“könne dieser Strade Bianche gewinnen, sagte Buchmann: „Und wenn ich nicht gerade hier in Livigno auf dem Rad sitze, werde ich mir das im TV ansehen – das wird super spannend.“(SID)

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FOTO: TEAM SUNWEB Endlich wieder Rennen: Am Samstag kehrt der Profiradsp­ort in den Wettkampfm­odus zurück. Liane Lippert möchte die Führung in der WorldTour behalten.
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FOTO: DPA Maximilian Schachmann freut sich auf den Restart.

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