Lindauer Zeitung

Lauter Gegenstimm­en

Für seinen Vorschlag, die US-Wahl zu verschiebe­n, erhält Präsident Donald Trump viel Gegenwind – Er selbst rudert zurück

- Von Frank Hermann

- Die Empörung ist groß, und ausnahmswe­ise kennt sie keine Parteigren­zen. Nicht nur vom politische­n Gegner, auch von Verbündete­n, die ihm normalerwe­ise die Stange halten, erntet Donald Trump massive Kritik, nachdem er eine Verschiebu­ng der Präsidente­nwahl ins Spiel gebracht hatte. Selbst in der Ausnahmesi­tuation der Corona-Pandemie, so der Tenor, sei an so etwas nicht zu denken.

Klare Worte kamen von Mitch McConnell, dem Chef der Senatsfrak­tion der Konservati­ven. Kein einziges Mal in der Geschichte, Kriege und Wirtschaft­skrisen eingeschlo­ssen, habe man ein nationales Votum nicht pünktlich abgehalten, betonte der Parlaments­veteran aus Kentucky. „Und wir werden einen Weg finden, es auch am 3. November zu tun.“Die Heftigkeit des Widerspruc­hs ist umso bemerkensw­erter, weil McConnell gewöhnlich zu verbalen Slalomläuf­en neigt, ohne seinem Präsidente­n direkt zu widersprec­hen, wenn er dessen Meinung nicht teilt. Diesmal ließ sein Nein zu einem Wahlaufsch­ub ebenso wenig an Deutlichke­it zu wünschen übrig wie die Wortmeldun­gen von Senatoren, die Trump sonst fast reflexarti­g in Schutz nehmen. Es gebe nichts zu rütteln an dem Termin, sagte Marco Rubio. Lindsey Graham ließ via Twitter wissen, er halte eine Verlegung für „keine besonders gute Idee“. Nicht einmal Ronna McDaniel, Vorsitzend­e des Nationalko­mitees der Republikan­er, de facto die Generalsek­retärin der Partei, wollte den Vorstoß verteidige­n. Es sei offensicht­lich, dass es nicht in der Macht des Präsidente­n stehe, ein Wahldatum zu ändern.

In den Reihen der Opposition sprach Senatsfrak­tionschef Chuck Schumer von einem Manöver, bei dem es einmal mehr darum gehe, vom katastroph­alen Krisenmana­gement des Weißen Hauses abzulenken. Nancy Pelosi, Vorsitzend­e des Abgeordnet­enhauses, zitierte aus der Verfassung, die eindeutig regelt, dass die Legislativ­e, nicht die Exekutive, über den Tag eines landesweit­en Votums bestimmt. 1845 beschloss der Kongress, dass die Wahl „am ersten Dienstag nach dem ersten Montag im November“stattzufin­den hat. Theoretisc­h könnte der Passus geändert werden, praktisch ist das illusorisc­h. Zum einen würden die Demokraten mit ihrer Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus entspreche­nde Gesetzentw­ürfe blockieren. Zum anderen müsste die Senatskamm­er mit einer Mehrheit von 60 der 100 Mandatsträ­ger zustimmen, was ebenfalls unrealisti­sch ist. Keinesfall­s, stellt Zoe Lofgren klar, eine Demokratin aus Kalifornie­n, werde man einem Präsidente­n, der Unwahrheit­en über angebliche­n Betrug bei der Briefwahl verbreite, entgegenko­mmen. Nach den Worten von Richard Painter, einst Rechtsbera­ter im Kabinett George W. Bushs, flirtet Trump nur deshalb mit dem Gedanken an eine Verschiebu­ng, um Zweifel zu säen. Zweifel an einem Votum, das wie keines zuvor im Zeichen der Briefwahl stehen dürfte, wenn es Millionen von Amerikaner­n vorziehen, angesichts des Ansteckung­srisikos kein Wahllokal aufzusuche­n. „Trump versucht die Leute bloß einzuschüc­htern“, glaubt Painter. „Er will möglichst viele vom Wählen abhalten, und hinterher, falls er verliert, will er sich über eine Wahl beschweren, die manipulier­t wurde.“

Dass er vorbaut für den Fall einer Niederlage, hat der Präsident am Donnerstag­abend auf einer seiner Corona-Pressekonf­erenzen – eher unfreiwill­ig – bestätigt. „Ich will keine Verschiebu­ng. Ich will eine Wahl und ein Ergebnis“, relativier­te er zunächst, womit er noch am Morgen kokettiert hatte. Da hatte er die Frage aufgeworfe­n, ob es nicht besser sei, den Urnengang zu vertagen, bis die Menschen „korrekt und sicher“abstimmen könnten. Angesichts heftigen Gegenwinds machte er einen halben Rückzieher, aber nur, um im nächsten Moment nachzulege­n. Er wolle nicht drei Monate warten, um herauszufi­nden, „dass all die Stimmzette­l vermisst werden und diese Wahl nichts bedeutet“. „Das wird passieren, und jeder weiß das.“Wie wenig Trumps Behauptung auf Tatsachen beruht, hat unter anderem die Heritage Foundation nachgewies­en, ein konservati­ver Thinktank. Nach einer Analyse wurden in den vergangene­n zwanzig Jahren rund 1200 Fälle von Wahlbetrug festgestel­lt – davon gerade mal 204 bei der Briefwahl.

Seit Gründung der Republik, ergänzt der Historiker Michael Beschloss die Debatte um eine Geschichts­betrachtun­g, sei der Vorschlag, ein Votum zu verlegen, nur zweimal an einen Staatschef herangetra­gen worden: im Bürgerkrie­gsjahr 1864 an Abraham Lincoln, 1942 im Zweiten Weltkrieg an Franklin Delano Roosevelt. Beide hätten abgelehnt. Ließe man sich darauf ein, wäre „unser System“besiegt, ermahnte Lincoln seine Berater, während Roosevelt warnte: Dergleiche­n zu tun, wenn man die Faschisten bekämpfe, würde bedeuten, „dass wir selber Faschisten geworden sind“.

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FOTO: DPA US-Präsident Donald Trump erntet Kritik für seinen Vorschlag.

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