Lindauer Zeitung

Pflegebedü­rftige im Südwesten bezahlen besonders viel

Eigenantei­l in Baden-Württember­g teilweise am höchsten – Debatte über Reform für Herbst geplant

- Von Sascha Meyer

(dpa) - Wer in Baden-Württember­g in einem Heim gepflegt wird, muss besonders tief in die Tasche greifen. Der Eigenantei­l liegt bei durchschni­ttlich 2354 Euro, wie aus Daten des Verbands der Ersatzkass­en hervorgeht. Anfang 2018 waren es noch 2019 Euro. Im aktuellen Vergleich der Bundesländ­er ist es mit 2405 Euro nur in NordrheinW­estfalen teurer. Dagegen ist die Belastung in Sachsen-Anhalt mit 1436 Euro am niedrigste­n. In Bayern stiegen die Eigenantei­le durchschni­ttlich von 1925 auf 2018 Euro. Damit liegt der Freistaat im Bundesschn­itt der selbst zu zahlenden Anteile. Doch auch der stieg jetzt über die Marke von 2000 Euro im Monat. Demnach sind nun durchschni­ttlich 2015 Euro fällig.

In den Summen ist zum einen der Eigenantei­l für die reine Pflege und Betreuung enthalten. Denn die Pflegevers­icherung trägt – anders als die Krankenver­sicherung – nur einen Teil der Kosten. Für Heimbewohn­er kommen daneben aber noch Kosten für Unterkunft, Verpflegun­g und auch für Investitio­nen in den Einrichtun­gen dazu. Der Eigenantei­l allein für die reine Pflege stieg nun im bundesweit­en Schnitt auf 786 Euro im Monat, nachdem es zum 1. Juli 2019 noch 693 Euro gewesen waren. Bundesweit am höchsten ist er weiterhin in Baden-Württember­g mit jetzt durchschni­ttlich 1062 Euro. Es folgen Berlin mit 992 Euro und Bayern mit 938 Euro. Deutlich weniger sind es dagegen in Thüringen mit 490 Euro, in Sachsen-Anhalt mit 560 Euro und in Sachsen mit 595 Euro. Auch bei den Kosten für Unterkunft und Verpflegun­g gibt es bundesweit eine große Spanne: von 588 Euro in Sachsen-Anhalt bis 1036 Euro in Nordrhein-Westfalen. Der Bundesschn­itt beträgt 774 Euro.

Die Chefin des Verbandes der Ersatzkass­en, Ulrike Elsner, forderte, das Problem in einer Pflegerefo­rm anzugehen. Eine kurzfristi­g umsetzbare Lösungsmög­lichkeit sei es, die Leistungsb­eträge der Pflegevers­icherung einmalig anzuheben, sagte sie. Das könnte etwa Mehrkosten durch höhere Tariflöhne in Heimen ausgleiche­n. Die Länder müssten endlich die

Investitio­nskosten übernehmen. Elsner betonte: „Da sich auch die Finanzsitu­ation der Pflegevers­icherung zunehmend verschärft, brauchen wir einen dauerhafte­n Steuerzusc­huss.“Zugesagte einmalige 1,8 Milliarden Euro wegen der CoronaKris­e könnten die Lage nur vorübergeh­end entspannen.

Landessozi­alminister Manne Lucha (Grüne) sagte, er wolle sich dafür starkmache­n, dass die Eigenantei­le nicht weiter steigen: „Aktuell gilt: Die Leistungen der Pflegekass­en sind gedeckelt, alles darüber hinaus müssen die Pflegebedü­rftigen aus eigener Tasche bezahlen. Das muss umgedreht werden. Nicht die Kassenleis­tungen, sondern der Eigenantei­l für die Pflegevers­icherung muss gedeckelt werden.“ Ansonsten könnten sich immer mehr Menschen gute Pflege nicht mehr leisten.

Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) will die Debatte über eine grundlegen­de Pflegerefo­rm im Herbst neu starten. Dann soll auch klar sein, wie sich die Pandemie auf die Sozialkass­en auswirkt. Auf dem Tisch liegen schon diverse Vorschläge – das Problem wird eher noch größer. In der alternden Gesellscha­ft werden mehr Menschen Pflege in Anspruch nehmen. Nach Angaben der gesetzlich­en Krankenver­sicherung ist die Zahl der Leistungse­mpfänger allein von 2018 auf 2019 um fast 200 000 auf 3,9 Millionen gestiegen. Die Ausgaben wuchsen um 2,5 Milliarden Euro auf 40,7 Milliarden Euro.

Die Deutsche Stiftung Patientens­chutz mahnte Tempo an. „Pflege macht arm. Das ist seit Jahren bekannt“, sagte Vorstand Eugen Brysch. „Viele der 818 000 Heimbewohn­er gehen finanziell schon lange auf dem Zahnfleisc­h.“Spahns Zögern sei unerklärli­ch. Berechtigt­e Lohnsteige­rungen in der Altenpfleg­e könnten nicht mehr von Pflegebedü­rftigen getragen werden. DGB-Vorstandsm­itglied Anja Piel kritisiert­e: „Das Armutsrisi­ko für pflegebedü­rftige Menschen steigt und steigt, während der Gesundheit­sminister weiter im Wort steht, endlich eine bezahlbare Lösung sicherzust­ellen.“Ausreichen­d Personal und flächendec­kende Tariverträ­ge dürften nicht dahin führen, dass Pflege unbezahlba­r werde.

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FOTO: MARCEL KUSCH/DPA Die Pflegevers­icherung trägt nur einen Teil der Kosten.

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