Abschied vom Verbrenner
Der Friedrichshafener Autozulieferer ZF gibt die Entwicklung von Komponenten für konventionelle Motoren auf
- Das Fernziel ist klar – es ist aber kein Punkt, dem man freudig entgegensieht, sondern einer, der bedrohlich näher rückt: Bis zum Jahr 2030 muss der Kohlendioxidausstoß von Autos in Europa auf unter 59 Gramm je Kilometer sinken – auch wenn sich der Wert auf den Durchschnittswert aller Autos bezieht, die ein Hersteller verkauft, stellt er die Unternehmen vor große Probleme. Nach einer Berechnung des Kraftfahrtbundesamtes dürften Autos bei diesem Grenzwert nicht mehr als 2,2 Liter Diesel für 100 Kilometer benötigen. Mit diesen Vorgaben, sichere und vor allem komfortable Autos zu bauen, halten Forscher des Münchner ifo-Instituts für „ingenieurtechnisch unrealistisch“.
Da die Kommission der Europäischen Union als die grenzwertsetzende Behörde den Konzernen aber nun die Möglichkeit einräumt, den Regeln zu genügen, indem nicht jeder einzelne Wagen die 59-Gramm-Regel einhält, sondern sie für den Durchschnitt der gesamten Flotte gilt, setzt die Automobilindustrie auf Elektroautos. Sie gelten – unabhängig von den Fragen, wieviel Kohlendioxid bei der Produktion der Batterien ausgestoßen und ob überhaupt Strom aus nicht-fossilen Quellen getankt wird – als emissionsfrei. Je höher die Anzahl der Elektroautos also ist, die die Autokonzerne von 2030 an auf den Markt bringen, desto größer ist auch die Zahl der Autos, die die Unternehmen verkaufen dürfen, obwohl sie mehr als 2,2 Liter Diesel verbrauchen.
Auf die Rahmenbedingungen, die die Automobilindustrie in Europa in den nächsten Jahren bestimmen werden, hat der Friedrichshafener Autozulieferer ZF in diesen Tagen reagiert – und richtet sich neu aus. Was bei einem Unternehmen, das seinen Erfolg in den vergangenen Jahrzehnten unter anderem auf das Perfektionieren von Getrieben für Otto- und Dieselmotoren gegründet hat, auf den ersten Blick einer Revolution gleichkommt, ist tatsächlich aber die notwendige Reaktion auf die veränderte Ausgangslage. ZF verabschiedet sich von der Verbrennertechnologie, der Antriebstechnik, die die deutsche Automobilindustrie in aller Welt berühmt gemacht hat. „ZF entwickelt den verbrennungsmotorischen Antrieb nicht mehr weiter“, sagt Michael
Ebenhoch, Entwicklungschef der ZF-Division Antriebstechnik bei einer Konferenz zur Elektromobilität. „Es wird kein neues rein konventionelles ZF-Getriebe mehr geben.“
Damit war die dritte Generation des Acht-Gang-Automatikgetriebes 8HP die letzte Getriebegeneration, die die Ingenieure von ZF in erster Linie für Verbrennungsmotoren gebaut haben. Das bedeutet nicht, dass die Bänder mit konventionellen Getrieben oder um Elektroantriebe erweiterte Verbrennungsgetriebe in den nächsten Wochen zum Stillstand kommen werden – aber alle neuen Produkte werden die Erfinder beim Traditionsunternehmen vom Bodensee nicht mehr für Diesel- oder Benzinautos, sondern nur noch für Elektrooder Hybridantriebe, also Mischsysteme aus Verbrennern und
Elektromotoren, entwickeln. „2030 erwarten wir, dass rund 40 Prozent aller Neufahrzeuge weltweit mit einem Hochvoltantrieb ausgestattet werden, also batterieelektrische Fahrzeuge oder Plug-in-Hybride sind. Rund 60 Prozent werden dann noch konventionell angetrieben, der Großteil davon aber teilelektrifiziert als Mildhybrid“, erläutert Stephan von Schuckmann, Leiter der in Saarbrücken beheimateten Division Pkw-Antriebstechnik. In dieser Woche hat der Aufsichtsrat von ZF beschlossen, dass die Strategieänderung auch in der Organisation des Autozulieferers ihren Niederschlag findet: ZF gibt die Eigenständigkeit der Division Pkw-Antriebstechnik auf und vereinigt sie mit der Division E-Mobility zu einer neuen Division für elektrifizierte Pkw-Antriebe. Von
Schuckmann soll die neue Einheit leiten und Anfang kommenden Jahres in den Vorstand von ZF aufrücken. Unklar ist noch, wo ZF die neue Division ansiedelt – in Saarbrücken, dem Sitz der früheren Pkw-Antriebstechnik, im fränkischen Schweinfurt, dem Sitz der Division E-Mobility, oder sogar am Stammsitz in Friedrichshafen. Insgesamt hat ZF mit Pkw-Getrieben im Jahr 2019 rund 7,3 Milliarden Euro umgesetzt. Die Division E-Mobilität steuerte 2,3 Milliarden zum Gesamtumsatz von 36,5 Milliarden Euro bei.
Für den neuen Leiter dieser Zukunftsdivision ist es schon lange keine Frage mehr, ob sich der Wandel hin zur Elektrifizierung der Antriebe vollzieht, sondern nur wie schnell alles geschieht. „Corona ändert nichts an unserer Strategie, Fahrzeuge aller
Art zur elektrifizieren. Im Gegenteil: Die Krise wirkt als Beschleuniger der Transformation“, erklärt von Schuckmann. Von Schuckmanns Chef, der Vorstandsvorsitzende von ZF, WolfHenning Scheider, teilt die Einschätzung, und hat mit Blick auf die Rahmenbedingungen, die die Transformation ausgelöst haben, klare Forderungen. „Wir haben jetzt die härtesten Richtlinien in der Welt, die aber nun stabil bleiben müssen, damit wir Investitionssicherheit haben“, sagte Scheider vor einigen Monaten in einer Interviewrunde mit Journalisten. „Die Grenzwerte stehen, nun müssen wir sie erreichen. Das Wie soll die Politik aber der Industrie überlassen.“
ZF setzt auf dem Weg hin zur Elektromobilität und zum Erreichen der Grenzwerte nicht zuletzt auf Hybridsysteme, also auf Fahrzeuge, die einen Elektro- und einen Verbrennungsmotor haben. „Plug-in-Hybride sind Wegbereiter der Elektromobilität – wenn sie so häufig wie möglich geladen und vor allem vorwiegend rein elektrisch betrieben werden“, erklärt von Schuckmann. Von 2022 an geht deshalb die vierte Generation des Getriebes 8HP in Serie: Es ist das erste Getriebe, das ZF für eine Welt entwickelt hat, in der der vorherrschende Antrieb elektrisch sein wird, das aber auf Kundenwunsch auch für konventionelle Verbrenner umgerüstet werden kann. Unter anderem die Autobauer BMW, Fiat-Chrysler und Jaguar-Landrover werden die Getriebe beziehen, von denen ein Großteil wohl als Hybridvariante ausgeliefert wird. „Mit unseren modularen Systemen bieten wir unseren Kunden die Flexibilität, die sie in absehbarer Zeit benötigen, und helfen ihnen dabei, die Kohlendioxidemissionen weiter drastisch zu reduzieren“, sagt von Schuckmann.
ZF-Chef Wolf-Henning Scheider ist überzeugt, dass Plug-in-Hybride viele Vorbehalte von Autofahrern gegenüber Elektrofahrzeugen auflösen werden. „Das ist ein hervorragendes Konzept, die Kohlendioxidziele zu erreichen und dabei trotzdem ausreichend Reichweite zu haben“, erklärt Scheider. „Mit diesen Fahrzeugen ist die Reichweitenangst passé.“
ZF geht zuversichtlich in die neue, elektrische Welt, eine Wahl hat der Zulieferer aber nicht. Die Wegmarke mit dem Grenzwert von 59 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer rückt unerbittlich näher.