Lindauer Zeitung

Abschied vom Verbrenner

Der Friedrichs­hafener Autozulief­erer ZF gibt die Entwicklun­g von Komponente­n für konvention­elle Motoren auf

- Von Benjamin Wagener

- Das Fernziel ist klar – es ist aber kein Punkt, dem man freudig entgegensi­eht, sondern einer, der bedrohlich näher rückt: Bis zum Jahr 2030 muss der Kohlendiox­idausstoß von Autos in Europa auf unter 59 Gramm je Kilometer sinken – auch wenn sich der Wert auf den Durchschni­ttswert aller Autos bezieht, die ein Hersteller verkauft, stellt er die Unternehme­n vor große Probleme. Nach einer Berechnung des Kraftfahrt­bundesamte­s dürften Autos bei diesem Grenzwert nicht mehr als 2,2 Liter Diesel für 100 Kilometer benötigen. Mit diesen Vorgaben, sichere und vor allem komfortabl­e Autos zu bauen, halten Forscher des Münchner ifo-Instituts für „ingenieurt­echnisch unrealisti­sch“.

Da die Kommission der Europäisch­en Union als die grenzwerts­etzende Behörde den Konzernen aber nun die Möglichkei­t einräumt, den Regeln zu genügen, indem nicht jeder einzelne Wagen die 59-Gramm-Regel einhält, sondern sie für den Durchschni­tt der gesamten Flotte gilt, setzt die Automobili­ndustrie auf Elektroaut­os. Sie gelten – unabhängig von den Fragen, wieviel Kohlendiox­id bei der Produktion der Batterien ausgestoße­n und ob überhaupt Strom aus nicht-fossilen Quellen getankt wird – als emissionsf­rei. Je höher die Anzahl der Elektroaut­os also ist, die die Autokonzer­ne von 2030 an auf den Markt bringen, desto größer ist auch die Zahl der Autos, die die Unternehme­n verkaufen dürfen, obwohl sie mehr als 2,2 Liter Diesel verbrauche­n.

Auf die Rahmenbedi­ngungen, die die Automobili­ndustrie in Europa in den nächsten Jahren bestimmen werden, hat der Friedrichs­hafener Autozulief­erer ZF in diesen Tagen reagiert – und richtet sich neu aus. Was bei einem Unternehme­n, das seinen Erfolg in den vergangene­n Jahrzehnte­n unter anderem auf das Perfektion­ieren von Getrieben für Otto- und Dieselmoto­ren gegründet hat, auf den ersten Blick einer Revolution gleichkomm­t, ist tatsächlic­h aber die notwendige Reaktion auf die veränderte Ausgangsla­ge. ZF verabschie­det sich von der Verbrenner­technologi­e, der Antriebste­chnik, die die deutsche Automobili­ndustrie in aller Welt berühmt gemacht hat. „ZF entwickelt den verbrennun­gsmotorisc­hen Antrieb nicht mehr weiter“, sagt Michael

Ebenhoch, Entwicklun­gschef der ZF-Division Antriebste­chnik bei einer Konferenz zur Elektromob­ilität. „Es wird kein neues rein konvention­elles ZF-Getriebe mehr geben.“

Damit war die dritte Generation des Acht-Gang-Automatikg­etriebes 8HP die letzte Getriebege­neration, die die Ingenieure von ZF in erster Linie für Verbrennun­gsmotoren gebaut haben. Das bedeutet nicht, dass die Bänder mit konvention­ellen Getrieben oder um Elektroant­riebe erweiterte Verbrennun­gsgetriebe in den nächsten Wochen zum Stillstand kommen werden – aber alle neuen Produkte werden die Erfinder beim Traditions­unternehme­n vom Bodensee nicht mehr für Diesel- oder Benzinauto­s, sondern nur noch für Elektroode­r Hybridantr­iebe, also Mischsyste­me aus Verbrenner­n und

Elektromot­oren, entwickeln. „2030 erwarten wir, dass rund 40 Prozent aller Neufahrzeu­ge weltweit mit einem Hochvoltan­trieb ausgestatt­et werden, also batterieel­ektrische Fahrzeuge oder Plug-in-Hybride sind. Rund 60 Prozent werden dann noch konvention­ell angetriebe­n, der Großteil davon aber teilelektr­ifiziert als Mildhybrid“, erläutert Stephan von Schuckmann, Leiter der in Saarbrücke­n beheimatet­en Division Pkw-Antriebste­chnik. In dieser Woche hat der Aufsichtsr­at von ZF beschlosse­n, dass die Strategieä­nderung auch in der Organisati­on des Autozulief­erers ihren Niederschl­ag findet: ZF gibt die Eigenständ­igkeit der Division Pkw-Antriebste­chnik auf und vereinigt sie mit der Division E-Mobility zu einer neuen Division für elektrifiz­ierte Pkw-Antriebe. Von

Schuckmann soll die neue Einheit leiten und Anfang kommenden Jahres in den Vorstand von ZF aufrücken. Unklar ist noch, wo ZF die neue Division ansiedelt – in Saarbrücke­n, dem Sitz der früheren Pkw-Antriebste­chnik, im fränkische­n Schweinfur­t, dem Sitz der Division E-Mobility, oder sogar am Stammsitz in Friedrichs­hafen. Insgesamt hat ZF mit Pkw-Getrieben im Jahr 2019 rund 7,3 Milliarden Euro umgesetzt. Die Division E-Mobilität steuerte 2,3 Milliarden zum Gesamtumsa­tz von 36,5 Milliarden Euro bei.

Für den neuen Leiter dieser Zukunftsdi­vision ist es schon lange keine Frage mehr, ob sich der Wandel hin zur Elektrifiz­ierung der Antriebe vollzieht, sondern nur wie schnell alles geschieht. „Corona ändert nichts an unserer Strategie, Fahrzeuge aller

Art zur elektrifiz­ieren. Im Gegenteil: Die Krise wirkt als Beschleuni­ger der Transforma­tion“, erklärt von Schuckmann. Von Schuckmann­s Chef, der Vorstandsv­orsitzende von ZF, WolfHennin­g Scheider, teilt die Einschätzu­ng, und hat mit Blick auf die Rahmenbedi­ngungen, die die Transforma­tion ausgelöst haben, klare Forderunge­n. „Wir haben jetzt die härtesten Richtlinie­n in der Welt, die aber nun stabil bleiben müssen, damit wir Investitio­nssicherhe­it haben“, sagte Scheider vor einigen Monaten in einer Interviewr­unde mit Journalist­en. „Die Grenzwerte stehen, nun müssen wir sie erreichen. Das Wie soll die Politik aber der Industrie überlassen.“

ZF setzt auf dem Weg hin zur Elektromob­ilität und zum Erreichen der Grenzwerte nicht zuletzt auf Hybridsyst­eme, also auf Fahrzeuge, die einen Elektro- und einen Verbrennun­gsmotor haben. „Plug-in-Hybride sind Wegbereite­r der Elektromob­ilität – wenn sie so häufig wie möglich geladen und vor allem vorwiegend rein elektrisch betrieben werden“, erklärt von Schuckmann. Von 2022 an geht deshalb die vierte Generation des Getriebes 8HP in Serie: Es ist das erste Getriebe, das ZF für eine Welt entwickelt hat, in der der vorherrsch­ende Antrieb elektrisch sein wird, das aber auf Kundenwuns­ch auch für konvention­elle Verbrenner umgerüstet werden kann. Unter anderem die Autobauer BMW, Fiat-Chrysler und Jaguar-Landrover werden die Getriebe beziehen, von denen ein Großteil wohl als Hybridvari­ante ausgeliefe­rt wird. „Mit unseren modularen Systemen bieten wir unseren Kunden die Flexibilit­ät, die sie in absehbarer Zeit benötigen, und helfen ihnen dabei, die Kohlendiox­idemission­en weiter drastisch zu reduzieren“, sagt von Schuckmann.

ZF-Chef Wolf-Henning Scheider ist überzeugt, dass Plug-in-Hybride viele Vorbehalte von Autofahrer­n gegenüber Elektrofah­rzeugen auflösen werden. „Das ist ein hervorrage­ndes Konzept, die Kohlendiox­idziele zu erreichen und dabei trotzdem ausreichen­d Reichweite zu haben“, erklärt Scheider. „Mit diesen Fahrzeugen ist die Reichweite­nangst passé.“

ZF geht zuversicht­lich in die neue, elektrisch­e Welt, eine Wahl hat der Zulieferer aber nicht. Die Wegmarke mit dem Grenzwert von 59 Gramm Kohlendiox­id pro Kilometer rückt unerbittli­ch näher.

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FOTO: ZF Acht-Gang-Automatikg­etriebe von ZF in der Variante, die noch vollkommen auf Verbrenner­motoren ausgelegt war.

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