Mit Impfwörtern gegen Virus und Angst
Weshalb in Corona-Zeiten so viele Witze kursieren und Otto Julius Bierbaum nach 111 Jahren immer noch recht hat
Karl Valentin hätte was zu sagen gewusst zu diesen Zeiten. Zum Virus. Zur Pandemie. „Hoffentlich“, hätte er wohl gesagt, „hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon ist.“Karl Valentin, auch das steht zu vermuten, wäre Corona mit all seinem Humor entgegengetreten. Vogelwild, anarchisch – und doch subtil.
Nun: Es ist so schlimm geworden, wie es schon war (schlimmer sogar), und das mit dem Humor hat anstelle des Münchner Wortvirtuosen – Gott hab ihn selig! – das Internet übernommen: Covid-Witze in fast jeder WhatsApp-Gruppe, in fast allen Chats. Und fast allen Tonalitäten. Drei Kostproben: „Wie beleidigen sich Coronaviren? Mit Impfwörtern.“– „Alle kauften Klopapier. Außer mir: Ich kaufte Bier.“– „Wenn Corona vorbei ist, mache ich mir erst mal ein paar gemütliche Tage zu Hause!“Bedingt originell? Ansichtssache. Man lacht nicht über eine Krankheit, die für Tausende weltweit tödlich ist? Stimmt, Witze über Covid-19-Opfer verbieten sich. Aber die republikerfüllende Torschlusspanik vorm leergehamsterten Supermarktteigwarenregal? Darf, kann durchaus Sujet ironischer Betrachtung sein. Muss sogar – glaubt man Bruce Jay Friedman, dem US-Schriftsteller, auf den der Begriff des „schwarzen Humors“wesentlich zurückgeht: als „die sarkastische Betonung des Absurden, die uns lachen lässt, damit wir nicht weinen müssen“.
Kareen Seidler kennt ihren Friedman (und nicht nur ihn): Kareen Seidler ist Wissenschaftlerin am und Sprecherin des Deutschen Instituts für Humor mit Sitz in Leipzig. „Wenn wir über etwas gelacht haben“, bestätigt sie, „macht es uns weniger Angst. Humor hat hier eine Ventilfunktion. Dabei kann man manchmal auch richtig schwarzen Humor benutzen.“Bewältigungsstrategie Witz: Die Pandemie von der komischen Seite zu sehen, nimmt der Pandemie an Bedrohlichem. Lachen über etwas (nicht jemanden, also: die Erkrankten) schafft Distanz zu etwas. Distanz wiederum lässt einen Deutungshoheit zurückgewinnen – auch über offenbar Unabwendbares, Naturgegebenes. Humor, weiß der Mediziner und Kabarettist Eckart von Hirschhausen, „ist das tiefe Verständnis davon, dass Dinge manchmal nicht zu ändern sind“. Es sei denn – Vorsicht, Brachialklamauk! –, man heißt passend: „Alle Kinder haben Corona. Nur nicht Andy, der hat Andykörper.“
Dem 1909 erschienenen Reisetagebuch „Yankeedoodle-Fahrt“des Literaten Otto Julius Bierbaum verdankt die Nachwelt den Satz vom Humor, der solcher sei, „wenn man trotzdem lacht“. Die Qualität der Pointe hatte dies „trotzdem“gewiss nicht im Blick, sehr wohl jedoch die Fähr- und Widernisse des Lebens, die auch schon vor 111 Jahren zu meistern waren – und
Ob es einen Corona-Witz gibt, der beim HumortrainerInnen- und -expertInnen-Team des Deutschen Instituts für Humor besonders hoch im Kurs steht, hat die „Schwäbische Zeitung“Kareen Seidler gefragt. Einen? Zwei! Hier sind sie:
„Wenn Chuck Norris hustet, kauft Corona sich Nudeln und Klopapier.“ das heiter-gelassen eben um einiges leichter. Apropos Pointe: Sich ihr zu entziehen, ist so schwierig, wie ihr Mechanismus simpel ist: Erwartungen werden erst aufgebaut, dann, gerne plötzlich, aufgelöst, ja gebrochen. Der Moment der Überraschung ist der Moment des Lachens.
Funktioniert ziemlich zuverlässig. Auch wenn manches Lachen im Halse
„Im Februar 2020 blicken die Berliner neidisch nach Wuhan, wo in Rekordzeit ein Krankenhaus errichtet wurde. Daraufhin bitten sie die Verantwortlichen, ob sie nicht zu ihnen kommen und den Flughafen BER fertigstellen könnten. Die Antwort: ,Für den einen Tag nach Deutschland zu fliegen, lohnt sich nicht.‘" steckenbleibt – etwa, wenn Ai Weiwei, chinesischer Dissident und Künstler, Anfang März auf Instagram postet: „Das Coronavirus ist wie Pasta. Die Chinesen haben es erfunden, aber die Italiener werden es in der ganzen Welt verbreiten.“Angesichts der schon damals dramatischen Bilder aus Bergamo der falsche Satz zur falschen Zeit, fand man in Italien. Opfer-Witze? Verbieten sich! „Humor darf Grenzüberschreitung sein“, sagt Kareen Seidler. Allerdings sollte man stets „beachten, wer das Zielpublikum ist. Nicht jeder findet grenzüberschreitenden Humor in allen Situationen lustig. Das ist schon im normalen Leben so – und in Ausnahmesituationen gleich ganz und gar.“Im SarsCoV-2-freien wie im Corona-KrisenDasein gibt es en masse Witze, die nicht auf Kosten anderer gehen, niemanden verletzen. Die Humorwissenschaft spricht von „sozialem Humor“; mit ihm, so Kareen Seidler, „ist man immer auf der sicheren Seite“. Mehrheitsfähig wird dann ein Lachen, verbindend gerade jetzt. Spricht der Scherz doch das Mirgeht-es-zurzeit-genauso-Gefühl im Zuhörer an: „Kenn’ ich!“
Geschieht das – mehr als ein halbes Jahr nach der ersten bestätigten Infektion hierzulande – noch unverändert stark? Haben Corona-Witze ein Verfallsdatum? Fachliche Einschätzung aus Leipzig: Abgenommen habe ihre Menge – was „im Prinzip ein gutes Zeichen“sei. „Zumindest die Menschen in Deutschland beschäftigen sich momentan weniger mit dem Thema, da die Lage vergleichsweise entspannt scheint. Wenn uns ein Thema weniger beschäftigt, machen wir auch weniger Witze darüber.“Und: andere Witze mittlerweile. Kareen Seidler: „Jetzt hört und sieht man eher Maskenwitze, Witze über Tönnies oder auch mal Kommentare über Mallorca-Urlauber. Auch das hat wieder damit zu tun, was gerade aktuell ist, was die Menschen beschäftigt“, ist also Momentaufnahme. „Das kann sich natürlich alles wieder ändern, zum Beispiel, falls uns eine zweite Welle mit Wucht erwischt.“
Dann – aber auch schon jetzt – wird manch einer nichts mehr von Corona hören wollen, Witze inklusive. „Andere ärgern sich über Menschen, die ihre Maske nicht richtig tragen, und finden Masken-Witze weiterhin lustig.“Ob und wie sehr Corona-Humor nervt oder goutiert wird, „hängt wirklich vom Rezipienten ab“. Und nicht von dessen Nationalität, wäre man geneigt, die Seidler’sche Expertise launig zu ergänzen, das hübsche Bonmot des Essayisten Sigismund von Radecki zu widerlegen. „Deutscher Humor“, schrieb der in den 1960er-Jahren, „ist, wenn man trotzdem nicht lacht.“
Das war 41 Jahre, bevor Eva Ullmann in Leipzig das Deutsche Institut für Humor gegründet hat, 56 Jahre, ehe das Land dem Virus die Stirn bot. Schmunzelnd bei Bedarf. Im Sinne sicher auch Karl Valentins.
Das Deutsche Institut für Humor (www.humorinstitut.de) hat es sich „zur Aufgabe gemacht, Humor greifbarer und berechenbarer zu machen – als eine zusätzliche Kompetenz im Handwerkskoffer der Kommunikation“. In Unternehmen, Medizin und Pädagogik mache es „Humor trainierbar“. In CoronaZeiten hat das Institut auf YouTube einen Krisenkalender eingerichtet: https://www.youtube.com/channel/ UCTy4BbOswoAZdrLRyxrsh5w