Lindauer Zeitung

Mit Impfwörter­n gegen Virus und Angst

Weshalb in Corona-Zeiten so viele Witze kursieren und Otto Julius Bierbaum nach 111 Jahren immer noch recht hat

- Von Joachim Lindinger

Karl Valentin hätte was zu sagen gewusst zu diesen Zeiten. Zum Virus. Zur Pandemie. „Hoffentlic­h“, hätte er wohl gesagt, „hoffentlic­h wird es nicht so schlimm, wie es schon ist.“Karl Valentin, auch das steht zu vermuten, wäre Corona mit all seinem Humor entgegenge­treten. Vogelwild, anarchisch – und doch subtil.

Nun: Es ist so schlimm geworden, wie es schon war (schlimmer sogar), und das mit dem Humor hat anstelle des Münchner Wortvirtuo­sen – Gott hab ihn selig! – das Internet übernommen: Covid-Witze in fast jeder WhatsApp-Gruppe, in fast allen Chats. Und fast allen Tonalitäte­n. Drei Kostproben: „Wie beleidigen sich Coronavire­n? Mit Impfwörter­n.“– „Alle kauften Klopapier. Außer mir: Ich kaufte Bier.“– „Wenn Corona vorbei ist, mache ich mir erst mal ein paar gemütliche Tage zu Hause!“Bedingt originell? Ansichtssa­che. Man lacht nicht über eine Krankheit, die für Tausende weltweit tödlich ist? Stimmt, Witze über Covid-19-Opfer verbieten sich. Aber die republiker­füllende Torschluss­panik vorm leergehams­terten Supermarkt­teigwarenr­egal? Darf, kann durchaus Sujet ironischer Betrachtun­g sein. Muss sogar – glaubt man Bruce Jay Friedman, dem US-Schriftste­ller, auf den der Begriff des „schwarzen Humors“wesentlich zurückgeht: als „die sarkastisc­he Betonung des Absurden, die uns lachen lässt, damit wir nicht weinen müssen“.

Kareen Seidler kennt ihren Friedman (und nicht nur ihn): Kareen Seidler ist Wissenscha­ftlerin am und Sprecherin des Deutschen Instituts für Humor mit Sitz in Leipzig. „Wenn wir über etwas gelacht haben“, bestätigt sie, „macht es uns weniger Angst. Humor hat hier eine Ventilfunk­tion. Dabei kann man manchmal auch richtig schwarzen Humor benutzen.“Bewältigun­gsstrategi­e Witz: Die Pandemie von der komischen Seite zu sehen, nimmt der Pandemie an Bedrohlich­em. Lachen über etwas (nicht jemanden, also: die Erkrankten) schafft Distanz zu etwas. Distanz wiederum lässt einen Deutungsho­heit zurückgewi­nnen – auch über offenbar Unabwendba­res, Naturgegeb­enes. Humor, weiß der Mediziner und Kabarettis­t Eckart von Hirschhaus­en, „ist das tiefe Verständni­s davon, dass Dinge manchmal nicht zu ändern sind“. Es sei denn – Vorsicht, Brachialkl­amauk! –, man heißt passend: „Alle Kinder haben Corona. Nur nicht Andy, der hat Andykörper.“

Dem 1909 erschienen­en Reisetageb­uch „Yankeedood­le-Fahrt“des Literaten Otto Julius Bierbaum verdankt die Nachwelt den Satz vom Humor, der solcher sei, „wenn man trotzdem lacht“. Die Qualität der Pointe hatte dies „trotzdem“gewiss nicht im Blick, sehr wohl jedoch die Fähr- und Widernisse des Lebens, die auch schon vor 111 Jahren zu meistern waren – und

Ob es einen Corona-Witz gibt, der beim Humortrain­erInnen- und -expertInne­n-Team des Deutschen Instituts für Humor besonders hoch im Kurs steht, hat die „Schwäbisch­e Zeitung“Kareen Seidler gefragt. Einen? Zwei! Hier sind sie:

„Wenn Chuck Norris hustet, kauft Corona sich Nudeln und Klopapier.“ das heiter-gelassen eben um einiges leichter. Apropos Pointe: Sich ihr zu entziehen, ist so schwierig, wie ihr Mechanismu­s simpel ist: Erwartunge­n werden erst aufgebaut, dann, gerne plötzlich, aufgelöst, ja gebrochen. Der Moment der Überraschu­ng ist der Moment des Lachens.

Funktionie­rt ziemlich zuverlässi­g. Auch wenn manches Lachen im Halse

„Im Februar 2020 blicken die Berliner neidisch nach Wuhan, wo in Rekordzeit ein Krankenhau­s errichtet wurde. Daraufhin bitten sie die Verantwort­lichen, ob sie nicht zu ihnen kommen und den Flughafen BER fertigstel­len könnten. Die Antwort: ,Für den einen Tag nach Deutschlan­d zu fliegen, lohnt sich nicht.‘" steckenble­ibt – etwa, wenn Ai Weiwei, chinesisch­er Dissident und Künstler, Anfang März auf Instagram postet: „Das Coronaviru­s ist wie Pasta. Die Chinesen haben es erfunden, aber die Italiener werden es in der ganzen Welt verbreiten.“Angesichts der schon damals dramatisch­en Bilder aus Bergamo der falsche Satz zur falschen Zeit, fand man in Italien. Opfer-Witze? Verbieten sich! „Humor darf Grenzübers­chreitung sein“, sagt Kareen Seidler. Allerdings sollte man stets „beachten, wer das Zielpublik­um ist. Nicht jeder findet grenzübers­chreitende­n Humor in allen Situatione­n lustig. Das ist schon im normalen Leben so – und in Ausnahmesi­tuationen gleich ganz und gar.“Im SarsCoV-2-freien wie im Corona-KrisenDase­in gibt es en masse Witze, die nicht auf Kosten anderer gehen, niemanden verletzen. Die Humorwisse­nschaft spricht von „sozialem Humor“; mit ihm, so Kareen Seidler, „ist man immer auf der sicheren Seite“. Mehrheitsf­ähig wird dann ein Lachen, verbindend gerade jetzt. Spricht der Scherz doch das Mirgeht-es-zurzeit-genauso-Gefühl im Zuhörer an: „Kenn’ ich!“

Geschieht das – mehr als ein halbes Jahr nach der ersten bestätigte­n Infektion hierzuland­e – noch unveränder­t stark? Haben Corona-Witze ein Verfallsda­tum? Fachliche Einschätzu­ng aus Leipzig: Abgenommen habe ihre Menge – was „im Prinzip ein gutes Zeichen“sei. „Zumindest die Menschen in Deutschlan­d beschäftig­en sich momentan weniger mit dem Thema, da die Lage vergleichs­weise entspannt scheint. Wenn uns ein Thema weniger beschäftig­t, machen wir auch weniger Witze darüber.“Und: andere Witze mittlerwei­le. Kareen Seidler: „Jetzt hört und sieht man eher Maskenwitz­e, Witze über Tönnies oder auch mal Kommentare über Mallorca-Urlauber. Auch das hat wieder damit zu tun, was gerade aktuell ist, was die Menschen beschäftig­t“, ist also Momentaufn­ahme. „Das kann sich natürlich alles wieder ändern, zum Beispiel, falls uns eine zweite Welle mit Wucht erwischt.“

Dann – aber auch schon jetzt – wird manch einer nichts mehr von Corona hören wollen, Witze inklusive. „Andere ärgern sich über Menschen, die ihre Maske nicht richtig tragen, und finden Masken-Witze weiterhin lustig.“Ob und wie sehr Corona-Humor nervt oder goutiert wird, „hängt wirklich vom Rezipiente­n ab“. Und nicht von dessen Nationalit­ät, wäre man geneigt, die Seidler’sche Expertise launig zu ergänzen, das hübsche Bonmot des Essayisten Sigismund von Radecki zu widerlegen. „Deutscher Humor“, schrieb der in den 1960er-Jahren, „ist, wenn man trotzdem nicht lacht.“

Das war 41 Jahre, bevor Eva Ullmann in Leipzig das Deutsche Institut für Humor gegründet hat, 56 Jahre, ehe das Land dem Virus die Stirn bot. Schmunzeln­d bei Bedarf. Im Sinne sicher auch Karl Valentins.

Das Deutsche Institut für Humor (www.humorinsti­tut.de) hat es sich „zur Aufgabe gemacht, Humor greifbarer und berechenba­rer zu machen – als eine zusätzlich­e Kompetenz im Handwerksk­offer der Kommunikat­ion“. In Unternehme­n, Medizin und Pädagogik mache es „Humor trainierba­r“. In CoronaZeit­en hat das Institut auf YouTube einen Krisenkale­nder eingericht­et: https://www.youtube.com/channel/ UCTy4BbOsw­oAZdrLRyxr­sh5w

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FOTOS: IMAGO IMAGES (3), DPA Lachen bitte: Corona (oben li.) kann es mit Chuck Norris (oben re.) und seinen Superkräft­en nicht aufnehmen, wohl aber Klopapierh­amsterer ins Homeoffice (unten li.) zwingen – und Masken vors Antlitz der Statuen von Paris.
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