Lindauer Zeitung

Vor 300 Jahren: Ein Großfeuer bedroht Lindau

Letzte Katastroph­e liegt lange zurück – Neben Zeughaus und Werkhof brennen 28 Bürgerhäus­er nieder

- Von Heiner Stauder

- Das Ende des Zweiten Weltkriegs liegt rund 75 Jahre zurück. Damals sind viele Städte in Deutschlan­d und Europa zerbombt worden. Lindau kam hingegen glimpflich davon. Weder während noch am Ende des Krieges hatten hier größere Kampfhandl­ungen stattgefun­den. Die letzten großen Katastroph­en liegen Jahrhunder­te zurück.

Anders dagegen in Friedrichs­hafen: Zwei Bombenangr­iffe hatten die dortige Altstadt 1944 in Trümmer gelegt. Und auch anders als in Bregenz: Der starke Widerstand deutscher Truppen Anfang Mai 1945 hatte die anrückende­n Franzosen nicht aufhalten können, aber starke Schäden an Stadtbild und Bausubstan­z nach sich gezogen, allerdings nicht in dem Ausmaß wie in Friedrichs­hafen. Dagegen war Lindau am 30. April 1945 kampflos den Franzosen übergeben worden. Lindaus Stadtbild und Bausubstan­z hatte damit die größte Katastroph­e des 20. Jahrhunder­ts unzerstört überstande­n. Nicht zuletzt deshalb kann sich die Altstadt bis heute als lange gewachsene­s historisch­es Ensemble präsentier­en, dessen Kern bis ins späte Mittelalte­r zurückreic­ht. Dieses Ensemble trägt neben der pittoreske­n Lage am östlichen Bodensee maßgeblich zur Attraktivi­tät der Lindauer Altstadt bei.

Wer sich in Lindau auf die Suche begibt nach ähnlich großflächi­gen Zerstörung­en, wie sie Friedrichs­hafen, aber auch Bregenz 1944/45 erlitten hatten, muss weit in die Geschichte zurückgehe­n. Erst 1720 und 1728 wird er fündig. Damals verursacht­en zwei große Brände massive Schäden im östlichen Teil der Stadt. Wir wollen uns heute vor allem an den ersten erinnern, denn er wütete genau vor 300 Jahren – in der Nacht vom 31. Juli auf den 1. August 1720. Unterlagen des Stadtarchi­vs geben darüber Auskunft.

Ausgebroch­en war das Feuer nach Mitternach­t in der Werkstatt des Sporers Lukas Falk, eines Schmieds also, der auf die Herstellun­g von Sporen spezialisi­ert war. Seine Werkstatt, in der es berufsbedi­ngt eine Feuerstell­e gab, war an den städtische­n Werkhof angebaut. Dieser und das benachbart­e städtische Zeughaus, das Militärmag­azin der Stadt, befanden sich im Bereich des heutigen Maxhofs. Weder die Schildwach­e vor dem Zeughaus noch die durch die Gassen patrouilli­erenden Nachtwächt­er bemerkten das Feuer rechtzeiti­g. Es fand in dem Bauholz, das im Werkhof gestapelt war, reichlich Nahrung und sprang rasch auf das Zeughaus über. Die aus dem Schlaf geschreckt­e Bürgerscha­ft, die nach und nach an der Brandstell­e eintraf – es gab damals noch keine schlagkräf­tige Feuerwehr –, konnte nicht mehr viel retten. Alle Materialie­n, Maschinen und Werkzeuge, die im Werkhof vorhanden waren, wurden vernichtet. Es ist ein Verlust, dessen Schwere man heute nur erahnen können, wenn man sich vorstellt, welcher Schaden entstehen würde, wenn der heutige Bauhof mit sämtlichem mobilen und immobilen Inventar abbrennen würde.

Besonders gefährlich wurde es im Zeughaus, denn hier lagerte eine größere Menge an Pulver, das zu explodiere­n drohte. Ein Teil konnte geborgen werden, aber Vieles musste in den See geworfen werden, ebenso einige 100 Flinten. Fast das ganze Kriegsgerä­t der Stadt ging so verloren, nur wenige Kanonen konnten nach dem Brand wieder repariert werden. In der Nachbarsch­aft der beiden städtische­n Gebäude breitete sich das Feuer nach mehreren Seiten aus. Fast die gesamte Hintere Fischergas­se fiel ihm zum Opfer, ebenso das Dreieck zwischen südlicher Schmiedgas­se und Fischergas­se bis hin zum Bäckergäss­ele. Das ebenfalls an dieses grenzende Haus des katholisch­en Stiftspfar­rers, der heutige katholisch­e Pfarrhof, konnte dagegen mit großer Mühe gerettet werden. Obwohl sicherlich nicht ökumenisch eingestell­t, sah ein evangelisc­her Chronist, der Lehrer Kaspar Schnell, hier die Gnade Gottes am Werk, ohne profanere Umstände außer Acht zu lassen, nämlich die guten Mauern des Hauses und die Tatsache, dass es alleine stand, also nicht an andere Häuser angebaut war.

Den Bürgern, die aus der Nachbarsch­aft, namentlich aus Bregenz, Unterstütz­ung erhielten, gelang es mit großer Mühe und trotz unerträgli­cher Hitze, die Ausbreitun­g der Flammen nach Westen zu verhindern. Ebenso konnte die Stefanskir­che gerettet werden, obwohl ihr Dach von Süden her bereits an einigen Stellen Feuer gefangen hatte. Auch dies betrachtet­e Schnell als Zeichen göttlicher Gnade, ebenso dass sich der Südostwind im Laufe der Nacht legte, und damit die Funken, die zunächst in die halbe Stadt geweht worden waren, nun auf den See hinaus trieben.

Somit blieb die Katastroph­e auf den Südosten der Stadt begrenzt. Neben Zeughaus und Werkhof waren 28 Bürgerhäus­er dem Großfeuer zum Opfer gefallen. Zwar hatte es kein Menschenle­ben gefordert, aber 40 Familien waren obdachlos geworden und hatten den größten Teil ihres Hab und Guts verloren.

Zur Behebung der Schäden standen damals noch keine Brandversi­cherungen zur Verfügung. Stattdesse­n tat die Reichsstad­t Lindau das, was damals allgemein üblich war. Sie versandte zahlreiche Bettelbrie­fe an Fürsten und Städte, sowohl in Deutschlan­d wie in der Schweiz - mit äußerst erfolgreic­hem Ergebnis. Auch erhob sie von ihren Bürgern eine Sondersteu­er. So konnte der Wiederaufb­au finanziert werden. Er begann bereits im März 1721 und schritt rasch voran. Weiterhin bemühte man sich um die Verbesseru­ng des Feuerlösch­wesens. Das Heilig-Geist-Hospital beschaffte sich eine neue Feuersprit­ze, die 1723 beim Brand des Turms der Stiftskirc­he zum Einsatz kam. Dieses Feuer konnte rasch gelöscht werden, es griff weder auf die Kirche noch auf benachbart­e Häuser und Straßen über. Anders dagegen 1728: Der Brand, der in der Nacht vom 15. auf den 16. September im Haus des Gürtlers Frey (heute Bereich Cramergass­e 10) ausbrach, konnte nicht lokal begrenzt werden. Ihm fielen Kirche und Konventsge­bäude des Damenstift­s und darüber hinaus 46 Wohnhäuser zum Opfer. Dem Wiederaufb­au verdankt die Stadt das barocke Ensemble um den Markt mit Stiftskirc­he, Landratsam­t, Baumgarten und nicht zuletzt dem Cavazzen. Es erinnert an die Katastroph­enserie in den 1720er-Jahren und daran, dass die Lindauer Altstadt seit knapp 300 Jahren von Zerstörung­en ihres Ausmaßes verschont wurde. Möge das auch weiterhin so bleiben.

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REPROS: STADTARCHI­V/CF Die Ausstattun­g der Feuerwehr: eine nach dem Brand von 1720 noch im selben Jahr angeschaff­te Feuersprit­ze des HeiligGeis­t-Hospitals im Einsatz beim Brand des Stiftskirc­henturms am 22./23. Mai 1723;
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Ein Ausschnitt aus der Rauhschen Karte von 1628/43 zeigt die dichte Bebauung der Inselstadt und lässt die hohe Brandgefah­r erahnen.
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FOTO: STADTMUSEU­M Löscheimer aus Leder waren lange Zeit das wichtigste Utensil zur Brandbekäm­pfung.

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