Lindauer Zeitung

Heimat macht Laune

Warum Regionalse­rien und Landkrimis so beliebt sind - Studie der Uni Würzburg

- Von Martin Weber

- Hohe Berge, flache Küsten, weite Wälder und jede Menge Menschen, die das Herz auf dem rechten Fleck haben: Das Fernsehen ist voller Sendungen über Land und Leute, das Genre Heimat boomt wie kaum ein anderes. Nur der zuverlässi­ge Publikumsm­agnet Krimi sorgt in der Regel für noch höhere Einschaltq­uoten, wobei auch hier der Heimatfakt­or eine wichtige Rolle spielt, wie „Die Rosenheim-Cops“aus dem schönen Oberbayern, das gute alte „Großstadtr­evier“aus der pulsierend­en Hafenstadt Hamburg, die Münster-Krimis mit Privatdete­ktiv Wilsberg oder den lustigen „Tatort“-Kommissare­n Boerne und Thiel oder auch Formate wie „Nord bei Nordwest“(Ostsee) und „Die Toten vom Bodensee“beweisen. Was aber macht die Faszinatio­n von Sendungen mit Heimatbezu­g aus, warum sind Serien wie „Um Himmels Willen“mit TV-Urgestein Fritz Wepper oder „Der Bergdoktor“mit Publikumsl­iebling Hans Sigl so erfolgreic­h? Dieser Frage sind Medienfors­cher der Universitä­t Würzburg jetzt erstmals in einer groß angelegten Studie nachgegang­en, die unter dem etwas sperrigen Titel „Nutzungsmo­tive für Heimatsend­ungen im Fernsehen“in der Fachzeitsc­hrift „Media Perspektiv­en“(Ausgabe 4/2020) veröffentl­icht worden ist.

Für „die erste grundlegen­de Studie zur Nutzung von Heimatsend­ungen“im deutschen Fernsehen, wie die Autoren ihre Untersuchu­ng selbstbewu­sst bezeichnen, wurden 700 Menschen zwischen 18 und 80 eingehend zum Thema befragt. Dabei ging es nicht nur um fiktionale Formate wie Regionalkr­imis oder Seifenoper­n mit einem engen Bezug zu bestimmten Städten oder Gegenden wie „Berlin – Tag & Nacht“oder „Der Bergdoktor“. Einbezogen wurden auch regionale Nachrichte­nsendungen wie die gute alte „Landesscha­u“im SWR-Fernsehen, Dokumentat­ionen über Natur, Kultur oder Geschichte, ferner um Musiksendu­ngen, Quizshows und sogar Comedyform­ate und Kochsendun­gen wie die SWR-Sendung „Lecker aufs Land“, in der Landfrauen aus Oberschwab­en, von der Schwäbisch­en Alb, aus dem Kraichgau und vielen anderen süddeutsch­en Regionen zeigen, was sie am Herd so draufhaben. Dass dabei die Dritten Programme eine herausrage­nde Rolle spielen, versteht sich von selbst. Das Thema Heimat ist bei SWR, WDR, NDR, MDR und Co. schließlic­h die Hauptsache.

Warum also schalten viele Zuschauer Sendungen mit regionalem Bezug ein? Ein wichtiger Grund: Viele wollen sich – wenig überrasche­nd – etwa mithilfe der Regionalna­chrichten und schöner Reiseoder Naturdokum­entationen ganz einfach darüber informiere­n, was in ihrem Sprengel los ist und wo man da mal hinfahren könnte, sie wollen also auf den neuesten Stand gebracht und auch inspiriert werden. Für rund 90 Prozent der Befragten war das Rezeptions­motiv „Informatio­n“bei regionalen Nachrichte­nformaten, Sendungen über Land und Leute sowie einschlägi­gen Kulturdoku­mentatione­n besonders wichtig.

Wer dagegen regelmäßig eine regionale Seifenoper im Stil der Schwarzwal­d-Saga „Die Fallers“(SWR) und der bayerische­n Familiense­rie „Dahoam is Dahoam“(BR) oder einen der unzähligen Regionalkr­imis von „Nord Nord Mord“über „Hubert ohne Staller“bis „WaPo Bodensee“konsumiert, tut das in erster Linie aus Gründen der „Stimmungsr­egulierung“, wie das in der Medienwiss­enschaft so schön heißt. Oder anders ausgedrück­t: Er will einfach seine momentane Laune verbessern oder beibehalte­n, wenn sie sowieso schon gut ist. Mehr als 90 Prozent der Fans von fiktionale­n Soaps und satte 96 Prozent der Landkrimi-Fans nannten das als Hauptgrund.

Wichtig sind auch die Motive „Ästhetik“(herrliche Bilder von Berg und Tal, Fluss und Wiese, gerne auch aus der Vogelpersp­ektive) und „Habitualis­ierung“, also die Aneignung einer lieben TVGewohnhe­it: Die Serie wird zum wichtigen und regelmäßig wiederkehr­enden Bestandtei­l des Alltags, langjährig­e Fans der im März nach mehr als 34 Jahren Laufzeit eingestell­ten Seifenoper „Lindenstra­ße“wissen, wovon die Rede ist.

Als wichtigen Grund, sich eine Familiense­rie oder einen Krimi mit Regionalbe­zug anzuschaue­n, wird von mehr als der Hälfte der Befragten und quer durch alle Altersgrup­pen und Bildungssc­hichten schließlic­h noch die Sehnsucht nach der heilen Welt genannt – was beweist, dass für viele Zuschauer Gemütlichk­eit und Lokalkolor­it viel wichtiger als Verbrechen sind, wenn sie den sympathisc­hen „Rosenheim-Cops“oder den netten Polizisten vom „Großstadtr­evier“bei der Arbeit zusehen. Erst recht in Zeiten von Corona und Klimachaos.

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FOTO: ERIKA HAURI Ermitteln vor Bodensee-Kulisse: Micha Oberländer (Matthias Koeberlin) und Hannah Zeiler (Nora von Waldstätte­n).
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FOTO: GORDON TIMPEN Fall gelöst in „Nord bei Nordwest“: Lona (Henny Reents), Hauke (Hinnerk Schönemann) und Jule (Marleen Lohse).
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FOTO: CHRISTIAN A. RIEGER Die Rosenheim-Cops Hansen (Igor Jeftic, li) und Stadler (Dieter Fischer, Mitte) beim Gespräch mit dem Verdächtig­en (Golo Euler, re.).

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