Pandemiekampf im Klärwerk
Wissenschaftler untersuchen Abwässer auf das Coronavirus – Anlagen könnten zum Frühwarnsystem werden
- Im Kampf gegen das Sars-Cov-2-Virus steigen Wissenschaftler jetzt auch in die Kanalisation – jedenfalls im übertragenen Sinne. Eine Forschungsgruppe unter Leitung von Jörg Drewes, Inhaber des Lehrstuhls für Siedlungswasserwirtschaft an der Technischen Universität München (TUM) untersucht das Abwasser von sechs bayerischen Städten in regelmäßigen Abständen auf Belastung mit Corona-Viren. Die Forscher gehen davon aus, dass sie auf diese Weise Corona-Hotspots und die Verbreitung des Virus in der Bevölkerung rascher als mit anderen Methoden aufspüren können. Studienleiter Drewes glaubt, dass die Erkenntnisse schon bei der Eindämmung einer möglichen zweiten Corona-Welle hilfreich sein könnten.
Die Idee, Genaueres über die Verbreitung des Virus anhand der Abwässer erfahren zu können, wird bereits in China, Frankreich und die Niederlanden verfolgt. Zur Anwendung kamen Abwasseranalysen auch schon, um illegale Drogen oder den Gebrauch bestimmter Pharmaka in der Bevölkerung nachzuweisen. Im Rahmen eines deutsch-niederländischen Projekts gelang es den Wissenschaftlern nach eigenen Angaben, das Covid-19-Virus im Abwasser aufzuspüren, bevor die ersten Ansteckungen gemeldet wurden. Dahinter steckt die Annahme, dass ein Infizierter die Corona-Viren bereits sechs Tage vor dem Auftreten von Krankheitssymptomen ausscheidet.
In Bayern ergründet die TUMProjektgruppe in sechs Städten, ob die Biomarker-Methode praktisch umsetzbar ist und schon bald dabei helfen kann, Hotspots früher zu erkennen und schnellere Aussagen über die Verbreitung des Virus in der Bevölkerung treffen zu können. Einmal in der Woche liefern die
Kläranlagen aus München, Augsburg, Erlangen, Weiden, Starnberg und Freising tiefgefrorene Rohabwasser-Proben an das mikrobiologische Labor des TUM-Lehrstuhl. Dort tauscht man die Proben auch mit dem Technologiezentrum Wasser (TZW) in Karlsruhe aus, berichtet Drewes. Werden in den Abwässern alarmierende Werte gefunden, kann das Abwassernetz gleichsam stromaufwärts auf Belastungen mit dem Virus durchgetestet werden – theoretisch bis zu bestimmten Straßen
oder sogar bis zu einzelnen Hausanschlüssen. „Die Methode ist erprobt“, sagt Drewes. „Das geht relativ schnell.“Um ein Bild über die Verbreitung des Virus in einer Kommune zu bekommen, wären die Behörden so nicht darauf angewiesen, dass die Einwohner zu Tausenden zu Teststationen kommen. Die Ergebnisse würden vorliegen, bevor die Infizierten Symptome spüren und zum Arzt gehen. Die Abwasser-Epidemiologie habe Potenzial, ist der Wissenschaftler überzeugt.
Zunächst einmal aber geht es um die Optimierung der Methode. Ziel der ersten Runde von Analysen aus den sechs Städten ist es, Rückschlüsse auf den Umfang von Neuinfektionen zu ziehen. Nötig dafür sind Erkenntnisse darüber, wie sich das Corona-Virus im Abwasser verhält und wie es sich abbaut. Studienleiter Drewes ist zuversichtlich, dass sich die Methode als unterstützende Maßnahme bei der Eingrenzung von Corona-Ausbrüchen eignet. In Bayern ein flächendeckendes CoronaFrühwarnsystem aufzubauen, das auf den Abwasseranalysen basiert, hält er für durchaus denkbar.
Möglicherweise greifen die Behörden schon bald auf die Methode der Abwasser-Epidemiologie zurück. Projektleiter Drewes rechnet fest mit einer zweiten Pandemiewelle im Herbst. Die Methode der Abwassertests könnte bei der Eingrenzung hilfreich sein.