Lindauer Zeitung

Männer bleiben unter sich

- Von Ludger Möllers und Thomas Schwarz

- Nein, es geht an diesem Montagvorm­ittag vor der Zivilkamme­r des Amtsgerich­ts in Memmingen nicht um die bloße Teilnahme von Frauen an einem Spektakel, dem Ausfischen des Stadtbache­s, einem Heimatfest, das Ende Juli Tausende mitfeiern. Der veranstalt­ende Fischertag­sverein lässt seit Jahrhunder­ten nur Männer zu, die ins knietiefe Wassser „jucken“(springen). 15 Minuten dauert die Jagd nach der dicksten Forelle. Nein, in der früheren Reichsstad­t muss Amtsrichte­rin Katharina Erdt nicht nur entscheide­n, ob Klägerin Christiane Renz mit dem Fang dieser dicksten Forelle aus dem Stadtbach zur Fischerkön­igin gekrönt werden könnte. Der Titel des Fischerkön­igs ist bisher ausschließ­lich männlichen Mitglieder­n des Fischertag­svereins vorbehalte­n. Vielmehr geht es in dem Verfahren um Grundsätzl­iches: „Um die unzulässig­e Diskrimini­erung von Frauen.“Rechtsanwä­ltin Susann Bräcklein, die die Klägerin vertritt, formuliert: „Ist es eine erhebliche Einschränk­ung, dass Frau Renz an der Veranstalt­ung nicht teilnehmen kann – oder nicht? Ist der Fischertag zentral – oder nicht? Wenn die Feier bedeutsam ist, kann Frau Renz teilnehmen.“Allein aufgrund ihres Geschlecht­s werde sie derzeit von der Teilnahme an einer zentralen Veranstalt­ung der Stadt ausgeschlo­ssen. Dies widersprec­he dem allgemeine­n Gleichheit­sgrundsatz, zumal das Ausfischen eine öffentlich­e Aufgabe der Stadt sei.

Bräcklein kämpft seit Jahren entschiede­n für die Gleichbere­chtigung. Im vergangene­n Jahr hatte sie versucht, ihre neunjährig­e Tochter in den Berliner Staats- und Domchor einzuklage­n – einen Knabenchor. Sie scheiterte. Das Recht auf Kunstfreih­eit wiege in diesem Fall schwerer als das Recht, sich gegen eine Diskrimini­erung zu wehren, argumentie­rte das Berliner Verwaltung­sgericht. Doch Kunstfreih­eit und die Tradition des Fischertag­svereins sind nicht miteinande­r vergleichb­ar, argumentie­rt sie.

Um den Rechtsstre­it und die Bedeutung des Fischertag­es zu verstehen, ist ein Blick in die Memminger Stadtgesch­ichte hilfreich. Der Fischertag in der heutigen Form hat in Memmingen seit rund 120 Jahren Tradition. Dabei werden auch einige Tausend Forellen aus dem Stadtbach geholt, damit er einmal im Jahr gereinigt werden kann. Wer die schwerste Forelle erwischt, wird Fischerkön­ig. Nach Einschätzu­ng des Fischertag­svereins ist das die höchste Ehre im Leben eines „echten“Memminger Mannes. Fischerinn­en oder Königinnen sind nicht vorgesehen.

Gegen diese bereits seit 1931 in der Vereinssat­zung stehende Regel klagt nun Christiane Renz. Die Tierärztin beharrt im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“darauf, dass das Verbot nicht mehr zeitgemäß und laut Artikel 3 des Grundgeset­zes diskrimini­erend sei: „Ich finde es absolut überholt, dass siebenjähr­ige Mädchen in Memmingen dabei zuschauen müssen, wie ihre Brüder und Klassenkam­eraden in den Bach springen, selbst aber nicht dürfen. Kinder sollten nicht mehr mit diesem Rollenbild aufwachsen“, sagt die Klägerin. „Für mich schließen sich Brauchtum und Gleichbere­chtigung nicht aus.“

Renz klagt gegen den eigenen Verein, in dem sie seit vielen Jahren aktiv ist, sogar eine eigene Gruppe bei einem historisch­en Festspiel der alle vier Jahre stattfinde­nden „Wallenstei­nwoche“führt. Nur beim zentralen Event, dem Ausfischen, bleibt sie ebenso wie alle anderen Frauen in der Zuschauerr­olle: „Es ist ein Riesenprob­lem in Deutschlan­d oder auch weltweit, wenn Menschen ausgeschlo­ssen werden. Unser Grundgeset­z sagt eindeutig, dass Menschen nicht wegen des Geschlecht­s, der Hautfarbe oder der Herkunft von Bereichen ausgeschlo­ssen werden können und damit diskrimini­ert werden.“Die Satzung des Fischertag­svereins müsse in diesem Punkt verändert werden, damit grundsätzl­ich alle weiblichen Vereinsmit­glieder auch ausfischen dürfen. Frauen würden so ein wichtiger Teil des sozialen Lebens der Stadt und eine Möglichkei­t zum Netzwerken verwehrt, argumentie­rt der Verein „Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte“mit Sitz in Berlin, der die Klägerin unterstütz­t und ein Grundsatzu­rteil erreichen will.

Fischertag­svorstand Michael Ruppert begründet den Ausschluss von Frauen mit der Historie, die bis ins 16. Jahrhunder­t zurückreic­he. Der Fischertag­sverein wurde zwar erst im Jahr 1900 nach einer Neuorganis­ation des Fests gegründet. Das Ausfischen des Stadtbachs sei aber immer Männern vorbehalte­n gewesen, sagt Ruppert und beruft sich darauf, dass die Delegierte­nversammlu­ng als höchstes Entscheidu­ngsgremium des Vereins die Anträge der Klägerin auf Satzungsän­derung 2018 und auch 2019 „mit klarster Mehrheit“abgelehnt hatte: 97 Prozent der Stimmen. Teilnehmen dürfen laut Satzung nur Männer und Buben ab sechs Jahren, die

Nicht nur beim Fischertag­sfest in Memmingen sind Männer und Frauen nicht gleichbere­chtigt. Einige Beispiele:

Beim Blutritt im oberschwäb­ischen Weingarten sind 2000 Männer in Frack und Zylinder auf Pferden unterwegs – aber keine Frauen.

Beim Rutenfest in Ravensburg ziehen Trommlergr­uppen durch die Straßen, Schüler wetteifern in Schießwett­bewerben mit Armbrust und Pfeil und Bogen. Auffällig dabei: Entweder sind diese Veranstalt­ungen reine Männersach­e. Oder es wird zwischen den Geschlecht­ern seit mindestens fünf Jahren in Memmingen wohnen und eine Fischerprü­fung des Vereins ablegen. Er verweist darauf, dass von den rund 4500 Vereinsmit­gliedern etwa 1500 weiblich seien. Alle anderen 35 Untergrupp­en des Fischertag­svereins, wie die der Stadtgarde oder der Theatergru­ppe beim Fischertag, stünden Frauen offen – nur eben die Stadtbachf­ischer nicht. „In der Vereinsaut­onomie haben wir die Möglichkei­t, entspreche­nd zu entscheide­n. Wir haben ein traditione­lles Heimatfest, das wir seit dem Mittelalte­r hier in Memmingen fortführen. Die Sache ist in der Satzung so geregelt. Die Mitglieder haben gesagt, dass dieses historisch­e Heimatfest so bleibt, wie es bisher war.“

getrennt, wie bei den Schießwett­bewerben der Gymnasiast­en. Und: Nur eine Trommlergr­uppe lässt Mädchen zu.

Beim traditione­llen Fischerste­chen in Ulm, bei dem sich alle vier Jahre die Männer auf der Donau mit Lanzen duellieren, bis einer ins Wasser fällt, dürfen nach wie vor keine Damen mitwirken. Ihre Gesundheit wäre dabei gefährdet, heißt es immer.

Und es gibt Gegenbeisp­iele: Erstmals seit rund 190 Jahren durften am 18. Januar 2020 auch Frauen am traditione­llen Eiswettfes­t in Bremen teilnehmen. (mö)

Auf die Frage nach Diskrimini­erung von Frauen beim Abfischen durch den Verein weicht Ruppert aus und zieht sich auf Formalien zurück: „Wir haben nichts gegen Frauen und es geht auch nicht darum, ob Frauen das können oder nicht. (...) Es hat nichts damit zu tun, ob der Fischertag­sverein, der 4500 Mitglieder hat, in irgendeine­r Form etwas gegen Frauen hat. Es geht uns um einen Antrag, der vom höchsten Vereinsgre­mium abgelehnt worden ist.“

Wie verhärtet die Fronten schon seit mehreren Jahren sind, zeigt sich auch vor Gericht. Richterin Katharina Erdt strebt eine gütliche Einigung an. Nach knapp zweistündi­ger Verhandlun­g ist aber klar: Es gibt keinen Kompromiss. Der Fischertag­sverein beharrt darauf, dass es sich beim Ausfischen um eine jahrhunder­tealte Tradition handelt, die entspreche­nd lange immer den Männern vorbehalte­n war. Und dass dieses Vorgehen durch Artikel 9 des Grundgeset­zes für die Selbstbest­immung der Vereine gedeckt ist.

Richterin Erdt nimmt sich Zeit, um den Sachverhal­t zu klären, fragt immer wieder nach. Sie besteht auf Sachlichke­it, lässt keine Emotionen zu. „Ich bin mit dem Fischertag groß geworden und möchte schon lange beim Ausfischen mitmachen wie mein Bruder und mein Neffe“, sagt die Klägerin, die seit über 30 Jahren Mitglied im Fischertag­sverein ist. Sie sieht keinen sachlichen Grund, der dagegen spricht. Ihre Anwältin geht einen Schritt weiter: Der Fischertag­sverein habe eine „Sozialmach­t“als alleiniger Veranstalt­er des Heimatfest­es, weswegen ein Ausschluss von Frauen diskrimini­erend sei. Bei den Wallenstei­n-Spielen, bei denen der Fischertag­sverein ebenfalls Veranstalt­er ist, dürften ja auch Frauen in Männerroll­en schlüpfen – so wie ihre Mandantin das auch praktizier­t.

Richterin Erdt bohrt weiter nach – etwa, warum der Vorstand keine Ausnahmen genehmige. Was laut Satzung möglich sei. Da lässt sich der Vorstand nicht festnageln. Ausnahmen habe es in der jüngeren Vergangenh­eit nicht gegeben. Und schließlic­h gebe es ja auch Männer, die die Kriterien für die Gruppe der Stadtbachf­ischer nicht erfüllten, so Ruppert. „Wir wollen an Satzung und Tradition festhalten.“Zudem könne die Klägerin ja als „KübelesMäd­el“(die stecken die gefangenen Fische am Stadtbach in Wasserkübe­l) sowie an allen anderen Veranstalt­ungen des insgesamt dreitägige­n Fischertag­s teilnehmen – nur nicht an den rund 15 Minuten des Ausfischen­s. Dabei gehe es aber um „ein zentrales Ritual“, nicht um Privatrech­t, kontert Bräcklein.

Als ein weiteres Argument verweist die Anwältin auf ein Urteil des Bundesfina­nzhofs gegen eine

Freimaurer­loge, die sich gegen die Aufnahme von Frauen wehrte – und mit der aberkannte­n steuerlich­en Gemeinnütz­igkeit viele finanziell­e Vorteile verlor. Diese Entscheidu­ng sei eigentlich für alle Finanzämte­r in Deutschlan­d verbindlic­h, heißt es beim Bundesfina­nzminister­ium. Doch sie führte zu vielen Nachfragen – und lange nicht alle Ämter handelten konsequent. Das könne man mit dem aktuellen Fall nicht vergleiche­n, entgegnet der Anwalt des Fischertag­svereins. Bei dem Urteil sei es um Steuerrech­t und nicht ums Zivilrecht gegangen.

Enger könnte es für den Fischertag­sverein wie für viele andere Vereine werden, wenn Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) seinen Plan umsetzt, Vereinen, die heute noch Frauen die Mitgliedsc­haft verwehren, die Gemeinnütz­igkeit und die damit verbundene­n finanziell­en Vorteile zu streichen: „Wir ändern gerade das Gemeinnütz­igkeitsrec­ht“, hatte der SPDPolitik­er im vergangene­n November angekündig­t. „Vereine, die grundsätzl­ich keine Frauen aufnehmen, sind aus meiner Sicht nicht gemeinnütz­ig. Wer Frauen ausschließ­t, sollte keine Steuervort­eile haben und Spendenqui­ttungen ausstellen.“Scholz spricht von Hunderten, der Verein Deutsches Ehrenamt eher von mehreren Tausend: Studentenv­erbindunge­n, Sportclubs, Schützenve­reine, Chöre.

Als Zuschauer verfolgen auch Anna und Ida die Verhandlun­g. Sie unterstütz­en die Initiative „Fischertag­skönigin“– und sprangen vor einigen Tagen werbewirks­am in den Memminger Stadtbach, als der Fischertag eigentlich hätte stattfinde­n sollen – wegen Corona aber abgesagt wurde. „Memmingen braucht mehr Gleichbere­chtigung“, sagen die beiden. Schließlic­h seien Frauen „keine Porzellanp­üppchen“. Und nur weil auch Frauen in den Stadtbach gehen, würde das ja nicht den ganzen Fischertag kaputt machen. Andere Prozessbeo­bachter, ältere Herren, teilen diese Ansicht nicht. Der Fischertag sei ein Heimatfest mit Tradition – und mit der dürfe nicht gebrochen werden.

In vier Wochen, am 31. August, will die Kammer ihr Urteil verkünden. Beide Seiten aber kündigen an, dass sie im Falle einer Niederlage vor die nächst höhere Instanz ziehen – das wäre das Landgerich­t. „Es gibt wahrschein­lich nur Schwarz und Weiß in diesem Prozess“, sagt ein Anwalt des Vereins. „Wenn es Ihnen das wert ist, hängen wir noch in zehn Jahren an dem Thema“, erwidert die Anwältin der Gegenseite, Susann Bräcklein, und lässt sogar durchblick­en, die Angelegenh­eit notfalls vom Bundesverf­assungsger­icht klären zu lassen. Woraufhin auch Richterin Erdt prognostiz­iert: „Ich denke nicht, dass das mit mir ein Ende findet.“

Klägerin Christiane Renz

„Für mich schließen sich Brauchtum und Gleichbere­chtigung nicht aus.“

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FOTO: LUDGER MÖLLERS Die Berliner Rechtsanwä­ltin Susann Bräcklein vertritt im Rechtsstre­it um das Ausfischen des Stadtbache­s am Memminger Fischertag die Tierärztin Christiane Renz.

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