Mit Essen auf Rädern in den Dax
Der Nahrungsmittel-Lieferservice Delivery Hero könnte Wirecard im Deutschen Aktienindex ersetzen
- Es ist ein erfrischender Kontrast zu Wirecard: Delivery Hero hat ein Geschäftsmodell, das jeder versteht. Wendige Motorroller und Fahrräder, deren Fahrer eifrig Tüten mit Essen von Restaurants in die Häuser tragen, waren während des Lockdowns sichtbarer denn je. Es gibt allerdings zwei Schönheitsfehler: Delivery Hero hat sich vor zwei Jahren von seinem Deutschlandgeschäft verabschiedet und konzentriert sich auf Wachstumsmärkte in Asien. Und das Unternehmen macht keinen Gewinn.
Das Berliner Unternehmen ist nun einer der zwei wahrscheinlichsten Kandidaten für den Aufstieg in den Aktienindex Dax, wenn das Skandalunternehmen Wirecard vermutlich Ende des Jahres aus der Königsklasse der Deutschen Börse fliegt. Der andere ist der Aromahersteller Symrise aus Holzminden in Niedersachsen. Von der Marktbewertung her hätte auch der Medizintechnikhersteller Siemens Healthineers gute Chancen, doch er erfüllt derzeit noch nicht alle Vorgaben für den Ligaaufstieg.
Als Delivery Hero noch in Deutschland unterwegs war, stand „Lieferheld“auf den Jacken der Fahrer. Doch das Unternehmen hat den Bringdienst für eine knappe Milliarde Euro an einen niederländischen Konkurrenten verkauft. Der wiederum hat Lieferheld mit seiner Marke Lieferando verschmolzen.
Dadurch ist eine etwas paradoxe Situation eingetreten: Delivery Hero macht hierzulande keine Geschäfte mehr. Gründer Niklas Östberg sagt zwar im Interview mit dem Handelsblatt: „Wir sind stolz, ein deutsches Unternehmen zu sein.“Der Marktführer in Deutschland und Europa ist jedoch der niederländische Rivale Takeaway.com. Delivery Hero ist nur noch in kleineren Ländern wie Kroatien vertreten. Der Fokus des Geschäfts von Delivery Hero liegt dagegen in Fernost – in Indonesien, Thailand, den Philippinen, Japan oder Südkorea. Auch in Südamerika wächst das Geschäft stark.
Von der Brancheneinordnung her fällt das Unternehmen dabei in eine Kategorie mit der Wohnungswebseite AirBnB, dem Auto-Sharing von Drivy oder Fahrdiensten wie Uber. Es stellt nur eine Plattform bereit, also die App und die Website. Die eigentliche Arbeit erledigen Leute, die nicht bei dem Unternehmen angestellt sind. Sie erhalten zwar die Jacke und die Isolierbox mit dem Logo, bewegen sich aber mit dem eigenen Rad oder Roller durch die Stadt. Das Essen wiederum kommt von teilnehmenden Restaurants, die auf diese Weise etwas mehr verkaufen. Delivery Hero verlangt für jede Lieferung eine Gebühr von einigen Prozent.
Bisher hapert es allerdings noch beim Gewinn. Laut den Firmenzahlen für das zweite Quartal hat Corona zwar für einen Schub gesorgt, die Zahl der Bestellungen hat sich im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt, der Umsatz ist auf eine halbe
Milliarde Euro gestiegen. Bisher zahlt das Unternehmen aber bei allen Lieferungen drauf. Im Tagesgeschäft hat das Unternehmen im vergangenen Jahr fast 430 Millionen Euro Verlust eingefahren. Für das laufende Jahr erwartet Delivery Hero sogar ein noch höheres Minus. Östberg vergleicht sein Unternehmen zwar selbstbewusst mit SAP und Spotify, doch anders als der Softwarehersteller und der Musikdienst wird Delivery Hero eben auf absehbare Zeit kein Geld verdienen. Das beeinflusst jedoch nicht die Chancen für den Dax-Aufstieg: Die Börse arbeitet schließlich nach dem Prinzip Hoffnung. Sie will Kapital für die Entwicklung des Geschäfts bereitstellen – und Anlegern die Chance geben, beim nächsten großen Ding dabei zu sein.
Symrise hat hier dennoch einen klaren Vorteil. Das Unternehmen ist hochprofitabel und für viele bekannte Lebensmittelmarken geradezu unentbehrlich. Es hat im vergangenen Jahr nach Steuern 300 Millionen Euro
verdient und wächst schnell. Wenn ein Kaugummi intensiv nach Apfel duftet, ist wahrscheinlich ein Aroma von Symrise drin. Die Chemiker des Unternehmens können jeden beliebigen Geruch oder Geschmack erzeugen – künstlich oder naturidentisch. Die Geschichte reicht zurück ins Jahr 1874, als ein Chemiker in Holzminden ein Verfahren zur Herstellung von Vanille-Aroma entwickelte.
Siemens Healthineers wiederum gehört zwar zu den Werten in der zweiten Börsenliga mit der höchsten Bewertung. Das Unternehmen wäre so gesehen Dax-tauglich. Auch sein Management kann sich einen Platz in der Spitzen-Liga vorstellen. Doch der Mutterkonzern Siemens hält mit 85 Prozent seine Hand auf einem zu hohen Anteil der Aktien. Die Börsengesellschaft bewertet Unternehmen jedoch anhand des Wertes der frei gehandelten Aktien. Der SiemensKonzern könnte der MedizintechnikTochter jedoch einen Schub geben, indem er bis zum Herbst kräftig Aktien auf den Markt wirft und damit die Zahl der verfügbaren Papiere erhöht.
Der Dax umfasst die 30 wertvollsten deutschen Unternehmen. Über die Aufnahme entscheidet die Deutsche Börse auf Vorschlag des „Arbeitskreises Aktienindizes“, einem Gremium aus Vertretern der Finanzwirtschaft. Ob ein Unternehmen aufgenommen wird, ist durch Regeln bestimmt. Entscheidend ist zunächst der Wert des Unternehmens. Um ihn zu ermitteln, werden die Anzahl der Aktien des Unternehmens, die im Umlauf sind, mit dem aktuellen Aktienkurs multipliziert. Der Leitfaden zu den Aktienindizes der Deutschen Börse spricht von einer Marktkapitalisierung. Wichtig für die Deutsche Börse ist auch, wie oft Anleger Aktien des Unternehmens kaufen und verkaufen. Fachleute sprechen von einem hohen Handelsumsatz oder von einer hohen Liquidität. Zudem müssen mindestens zehn Prozent der Aktien in Streubesitz (Free Float) und der Sitz des Unternehmens muss in Deutschland sein, beziehungsweise müssen die Papiere schwerpunktmäßig auf dem Frankfurter Parkett gehandelt werden. (flob)