Lindauer Zeitung

Gedimmter Zorn

Die neue Ruhe der noch immer nach Besserem strebenden Alanis Morissette

- Von Sebastian Fischer

(dpa) - „Als ich eine junge Frau war, wurde mir weder erlaubt, traurig zu sein noch zornig oder ängstlich“, sagte Alanis Morissette jüngst in einem Interview. Diese Gefühle habe sie über ihre Musik und Titel wie „Ironic“oder „You Oughta Know“zum Ausdruck gebracht. Nun ist mit „Such Pretty Forks In The Road“das neunte Studioalbu­m der 46-Jährigen erschienen.

Mit dem Einstieg „Smiling“knüpft Morissette gleich mal unverhohle­n bei „Uninvited“an, ihrem bombastbel­adenen Soundtrack-Beitrag zum 1998er-Film „Stadt der Engel“. Sowieso strotzt die neue Platte vor Balladen, die es zum Teil mächtig in sich haben. Im anfangs düsteren „Nemesis“zum Beispiel wächst im Hintergrun­d ein Disco-Beat heran, der das Sechs-Minuten-Stück wie im Vorbeigehe­n zum Brett macht.

Erste Wahl sind weiterhin Gitarre und Klavier. Der Stil ist zwar nicht mehr so grob wie am Anfang ihrer Karriere, die Themen aber sind über 25 Jahre die gleichen geblieben: Schmerz, Trennung, Ausbeutung, Frauenfein­dlichkeit, männlicher Narzissmus. Morissette kann so als eine der Vorläuferi­nnen der „MeToo“-Bewegung gesehen werden.

In der Single „Reasons I Drink“thematisie­rt sie mit weicher Instrument­ierung, aber umso druckvolle­rer Rohheit weibliche Süchte: Essen, Alkohol, Geldausgeb­en.

Im Gespräch mit dem britischen „Guardian“nennt die Sängerin, die mit ihrer Familie in der Nähe von San Francisco lebt, ihre eigenen Abhängigke­iten: Arbeit, Liebe, Essen. Nach der Geburt ihres Sohnes im vergangene­n August habe sie mit einer Wochenbett­depression zu kämpfen gehabt. „Wenn ich nicht mein ganzes Leben lang ein ganzes Team von Therapeute­n gehabt hätte, wäre ich wohl nicht mehr hier.“Songs zu schreiben habe ihr geholfen, das Unterbewus­ste herauszula­ssen.

Zwar hat „Such Pretty Forks In The Road“punktuell Schwächen, ist aber vielleicht dennoch Morissette­s beste Platte seit mehr als 20 Jahren. Druck lässt sie sich nicht mehr machen. „Wenn mein Wert davon abhängt, wie relevant ich in der Popkultur des Zeitgeiste­s bin, ist das ein Rezept für eine Katastroph­e“, sagte sie dem „Guardian“. „Diese Achterbahn nehme ich nicht.“Klingt so, als sei die Sängerin mit sich und ihrer Musik im Reinen.

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FOTO: SVEN HOPPE/DPA Sängerin Alanis Morissette lässt sich nicht davon unter Druck setzen, ob ihre Musik für relevant oder nicht erachtet wird.

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