Gedimmter Zorn
Die neue Ruhe der noch immer nach Besserem strebenden Alanis Morissette
(dpa) - „Als ich eine junge Frau war, wurde mir weder erlaubt, traurig zu sein noch zornig oder ängstlich“, sagte Alanis Morissette jüngst in einem Interview. Diese Gefühle habe sie über ihre Musik und Titel wie „Ironic“oder „You Oughta Know“zum Ausdruck gebracht. Nun ist mit „Such Pretty Forks In The Road“das neunte Studioalbum der 46-Jährigen erschienen.
Mit dem Einstieg „Smiling“knüpft Morissette gleich mal unverhohlen bei „Uninvited“an, ihrem bombastbeladenen Soundtrack-Beitrag zum 1998er-Film „Stadt der Engel“. Sowieso strotzt die neue Platte vor Balladen, die es zum Teil mächtig in sich haben. Im anfangs düsteren „Nemesis“zum Beispiel wächst im Hintergrund ein Disco-Beat heran, der das Sechs-Minuten-Stück wie im Vorbeigehen zum Brett macht.
Erste Wahl sind weiterhin Gitarre und Klavier. Der Stil ist zwar nicht mehr so grob wie am Anfang ihrer Karriere, die Themen aber sind über 25 Jahre die gleichen geblieben: Schmerz, Trennung, Ausbeutung, Frauenfeindlichkeit, männlicher Narzissmus. Morissette kann so als eine der Vorläuferinnen der „MeToo“-Bewegung gesehen werden.
In der Single „Reasons I Drink“thematisiert sie mit weicher Instrumentierung, aber umso druckvollerer Rohheit weibliche Süchte: Essen, Alkohol, Geldausgeben.
Im Gespräch mit dem britischen „Guardian“nennt die Sängerin, die mit ihrer Familie in der Nähe von San Francisco lebt, ihre eigenen Abhängigkeiten: Arbeit, Liebe, Essen. Nach der Geburt ihres Sohnes im vergangenen August habe sie mit einer Wochenbettdepression zu kämpfen gehabt. „Wenn ich nicht mein ganzes Leben lang ein ganzes Team von Therapeuten gehabt hätte, wäre ich wohl nicht mehr hier.“Songs zu schreiben habe ihr geholfen, das Unterbewusste herauszulassen.
Zwar hat „Such Pretty Forks In The Road“punktuell Schwächen, ist aber vielleicht dennoch Morissettes beste Platte seit mehr als 20 Jahren. Druck lässt sie sich nicht mehr machen. „Wenn mein Wert davon abhängt, wie relevant ich in der Popkultur des Zeitgeistes bin, ist das ein Rezept für eine Katastrophe“, sagte sie dem „Guardian“. „Diese Achterbahn nehme ich nicht.“Klingt so, als sei die Sängerin mit sich und ihrer Musik im Reinen.