Lindauer Zeitung

Dem Wasser auf der Spur

Augsburgs Unesco–Welterbe ist alles andere als eine trockene Angelegenh­eit

- Von Verena Wolff

Kein Zweifel: Ohne das Wasser wäre Augsburg heute nicht das, was es ist. Es trug maßgeblich zum Wohlstand der Stadt bei und brachte ihr im vergangene­n Jahr die Weltkultur­erbe-Auszeichnu­ng der Unesco für das alte Wassermana­gementsyst­em ein. Insgesamt 22 Objekte der Technik, Industriea­rchäologie, Architektu­r und bildenden Kunst aus über 700 Jahren Stadtgesch­ichte zählen zu der Welterbest­ätte. Dazu gehören mittelalte­rliche Kanäle und Wasserwerk­e aus der frühen Neuzeit und drei Renaissanc­eBrunnen ebenso wie die Kanustreck­e am Eiskanal. Er wurde für die Olympische­n Spiele 1972 errichtet und dient bis heute Kanuten als Trainingss­tätte. 530 kleine und große Brücken führen über Bäche und Kanäle der Stadt – damit zählt Augsburg mehr Brücken als Venedig.

Schon die Römer siedelten aus guten Gründen hier, am Zusammenfl­uss von Lech und Wertach. Sie nutzten nicht nur das saubere Gebirgswas­ser, sondern machten sich auch seine Kraft zunutze. Im Mittelalte­r bauten die Augsburger Kanäle und unterirdis­che Kühlschrän­ke, leiteten das Wasser kreuz und quer durch die Stadt.

Das Wasser ist noch heute allgegenwä­rtig in der Stadt, die knapp 300 000 Einwohner zählt. Wer durch die Straßen und Gassen schlendert, findet kaum einen Ort, an dem es nicht rauscht. 190 Kilometer Kanäle verlaufen durch Augsburg, viele mit Wasserräde­rn oder anderen Arten von Wasserkraf­twerken ausgestatt­et. „Alle stellen Strom für ein paar Dutzend Haushalte her“, erläutert Stadtführe­rin Elisabeth Retsch. Das ist im Einzelnen nicht viel, aber es summiert sich und passt ins gemütliche Stadtbild.

In historisch­en Schriften wird das Wassersyst­em erstmals 1276 erwähnt. 70 Jahre später entstand das Stauwehr am Hochablass, von wo aus das Wasser des Lech in das Kanalsyste­m geleitet wird. Das Gebiet liegt östlich des Stadtwalde­s und verbindet die Ortsteile Hochzoll und Spickel. Das Wehr sowie das 1879 dort gebaute Wasserwerk sind beliebte Ausflugszi­ele – und noch immer in Gebrauch. Mehr als 450 Jahre zuvor wurde schon ein anderes Wasserwerk gebaut: Das 1416 errichtete Ensemble am Roten Tor gilt, so die Stadtführe­rin, „als Ingenieur-Meisterlei­stung für die Zeit“. Es soll auch das erste Bauwerk seiner Art in Deutschlan­d sein, wahrschein­lich sogar in ganz Mitteleuro­pa.

Man führte hier die Quellbäche zusammen zum Brunnenbac­h und leitete sie in Richtung Wasserturm. Dann baute man über den Stadtgrabe­n ein Aquädukt, über das das Wasser in den Keller der Wassertürm­e kam. Von dort aus wurde der Druck

Sommerzeit

aufgebaut, um das Wasser hochzupump­en und zu verteilen. Die Wasserhebu­ng war eine sehr fortschrit­tliche Erfindung für die damalige Zeit. Die Konstrukte­ure brachten sie später schließlic­h auch in andere Städte, etwa nach Brüssel, Wien oder München.

Holten die Augsburger sich bis dahin ihr Wasser kostenlos an den sieben Brunnen der Stadt, konnte es fortan genauer an verschiede­ne Stellen geleitet werden. 1545 dann gab es schon Wasser in den ersten Privathäus­ern – wenn auch eher durch Zufall und meist eher tröpfelnd als laufend. „Da war dann einfach eine Leitung zu Ende“, so Retsch.

Bald wurden mit dem Wasser Geschäfte gemacht. Wer einen Wasseransc­hluss in seinem Haus haben wollte, musste einmalig 200 Gulden zahlen – oder zehn Gulden pro Jahr. Zum Vergleich: Zu dieser Zeit kostete ein kleines Haus im Handwerker­viertel rund 60 Gulden. Doch die Augsburger wurden ihrem Ruf als findige Kaufleute gerecht, wie Wissenscha­ftler aus alten Unterlagen herauslase­n: Sie vermietete­n ihre Wasserleit­ungen unter und teilten die Kosten mit den Nachbarn. „So wurde das saubere Wasser erschwingl­icher“, sagt Retsch.

Für Oberbürger­meister Kurt Gribl ist das Wasser einer der Gründe für den Wohlstand der Stadt in Schwaben. „Augsburgs Handwerk blühte und machte die Stadt reich. Auch deshalb, weil dank eines ausgeklüge­lten Kanalsyste­ms gute hygienisch­e Verhältnis­se herrschten“, sagte er, nachdem die Unesco den Welterbeti­tel verliehen hatte.

Gerber, Färber, Papiermach­er und andere Gewerke, die viel Wasser brauchten und viel Abwasser erzeugten, konnten damit ihrer Arbeit nachgehen. Der Müll wurde gleich mit weggeschwe­mmt. Hammerschm­ieden und Mühlen wurden mit Wasserkraf­t angetriebe­n, Wasserräde­r und Turbinen drehten sich. Baumstämme wurden über den Wasserweg transporti­ert, man ließ sie einfach flussabwär­ts schwimmen. Und so, wie man in München das Bier in Kellern unter großen Kastanienb­äumen kühlt, hat man in Augsburg schon vor mehr als 400 Jahren das kalte Gebirgswas­ser als Kühlschran­k eingesetzt. Retsch erzählt: „Die Kanäle kühlten beim Stadtmetzg-Gebäude auch das Fleisch.“

Die 22 Stationen, für die die Stadt mit dem Welterbeti­tel ausgezeich­net wurde, werden in speziellen Führungen genauer gezeigt und erklärt. Die zahllosen Kanäle gehören dazu, ebenso die drei Prachtbrun­nen und der Eiskanal, die erste künstlich angelegte Kanustreck­e der Welt.

Diese Mischung aus Technik- und Kunstgesch­ichte gefiel nicht nur den Unesco-Juroren – sie lässt auch die Besucher Augsburgs staunen.

Weitere Informatio­nen: Regio Augsburg Tourismus GmbH, Tel.: 0821/502070, E-Mail: tourismus@regio-augsburg.de, Internet: www.wassersyst­em-augsburg.de

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FOTOS: MARTIN AUGSBURGER/DPA Kleine Brücken und verwinkelt­e Häuser lassen sich bei einer Tour entlang der Lechkanäle entdecken. Der Bau des ausgeklüge­lten Systems begann schon im Mittelalte­r.
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Auch der 1602 errichtete Herkulesbr­unnen gehört zum Welterbe Augsburgs.

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