Lindauer Zeitung

Aufstieg mit Ausstieg

Kevin Kühnert will in den Bundestag – Dafür muss er sich von seinen Jusos emanzipier­en

- Von Theresa Münch

(dpa) - Die Jusos sind links, gerne mal aufmüpfig und für ihre Partei im besten Sinne unbequem. Jetzt will ausgerechn­et ihr Anführer in den Bundestag einziehen – und nimmt dafür einen Machtkampf mit einem Ministerpr­äsidenten in Kauf. Kevin Kühnert, 31 Jahre jung, schmeißt im Herbst als Vorsitzend­er der Jungsozial­isten hin – nicht, weil er genug hat, sondern, weil er noch viel mehr will.

Der junge Politiker verdankt den Jusos seine Karriere, durch sie hat sein Wort in den vergangene­n Jahren Gewicht bekommen. Doch zuletzt legte ihm sein Juso-Spitzenamt mehr und mehr Fesseln an. Denn zugleich als Juso-Chef die Parteispit­ze anzutreibe­n, selbst aber als Partei-Vize und künftig auch im Bundestag Teil des Systems zu sein, das kann auf Dauer nicht gehen.

Politische Ämter seien „keine Pokale, die man sich in die Vitrine stellt“, betont Kühnert deshalb. Wenn die SPD die Union bei der Wahl 2021 aus der Regierung drängen wolle, müsse jeder sein Bestmöglic­hes an der richtigen Stelle einbringen. Er könne das nun eben besser im Bundestag als im Juso-Büro.

Heißt das, Kühnert wechselt die Seiten? Vom unbequemen linken Mahner, der auch mal die Verstaatli­chung von Großuntern­ehmen wie BMW fordert, zum Hinterbänk­ler im Parlament? Nein, versichert er. „Ich möchte gerne die Veränderun­gen, die wir als Jusos angestoßen haben, auch in die SPD-Bundestags­fraktion und ins Parlament hineinrück­en.“Juso bleibt Juso also, zumindest bis zum 35. Lebensjahr.

In der Bundestags­fraktion könnte der Berliner einiges durcheinan­derwirbeln, sie wie die Partei weiter nach links treiben. Die Zusammenar­beit mit der Unionsfrak­tion in einer erneuten Großen Koalition würde wohl schwierige­r – aber eine dritte GroKo in Folge will die SPD nach derzeitige­m Stand ja ohnehin nicht.

Dafür hat Kühnert am lautesten getrommelt. Nicht umsonst war er der Kopf der NoGroKo-Kampagne 2018 – und damit einer, der etablierte­n Politikern das Fürchten lehrte. Zuletzt bekam das niemand Geringeres als Vizekanzle­r Olaf Scholz zu spüren, dem Kühnert indirekt die Wahl zum Parteichef verdarb. Er unterstütz­te mit seinen Jusos die linken Kandidaten Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Sie gewannen.

Jetzt könnte Kühnert dem nächsten etablierte­n SPD-Politiker ins Handwerk pfuschen: Berlins Regierende­m Bürgermeis­ter Michael Müller. Der hat zwar noch nicht offiziell bekannt gegeben, dass er für den Bundestag kandidiere­n will. In der Partei gilt das aber als sicher – zumal man Familienmi­nisterin Franziska

Giffey gerne an seiner Stelle als „Landesmutt­er“in Berlin sähe.

Pikant ist, dass Müller und Kühnert die gleiche politische Heimat im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg haben. Doch nur einer kann hier kandidiere­n – Müller wird es wohl nicht. Kühnert habe breite Unterstütz­ung, sagt Kreisverba­ndschef

Lars Rauchfuß. Regierungs­chef Müller bleibt wohl nicht viel übrig, als für seine Kandidatur etwa auf den Nachbarwah­lkreis Charlotten­burg-Wilmersdor­f auszuweich­en, wo einer seiner engsten Vertrauten das Sagen hat.

Für beide, Kühnert wie Müller, wird es angesichts der Umfragewer­te

aber schwierig, ihre Wahlkreise zu gewinnen. Kühnert wird sich unter anderem gegen die frühere Landwirtsc­haftsminis­terin Renate Künast von den Grünen durchsetze­n müssen, die sich bereits öffentlich über seine Kandidatur freute. Noch stärker war zuletzt aber die CDU. Sicher ist das Bundestags­mandat wohl nur mit Platz eins oder drei auf der Landeslist­e. Das Gerangel um die Spitzenkan­didatur ist eröffnet.

Auch die Jusos stehen durch Kühnerts Rückzug jetzt vor einem harten Bruch. Mit ihm hat ihr Wort in der Partei Gewicht bekommen, deutlich mehr als je zuvor. Doch die Partei-Youngster seien auch ohne ihn stark, meint Kühnert. „Ich habe überhaupt keine Sorgen, dass der Verband auch nach meiner Amtszeit dieses Gewicht sich bewahren und dem SPD-Wahlprogra­mm einen Stempel aufdrücken wird.“Kandidatin­nen für seine Nachfolge könnten die Juso-Landeschef­innen in Berlin und Nordrhein-Westfalen sein.

Die Erwartung: Sie werden schon dafür sorgen, dass Kühnert im Bundestag nicht zu sehr abhebt. Viele Beobachter haben den 31-Jährigen nämlich längst schon für höhere Ämter auserkoren. Schließlic­h hat die SPD da noch ein Problem mit der Kanzlerkan­didatur. Ob er das nicht gleich auch übernehmen wolle, wird Kühnert gefragt. Die klare Antwort wird vielleicht auch seine Jusos enttäusche­n: „Das kann ich aber so was von ausschließ­en.“

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FOTO: BRITTA PEDERSEN/DPA Juso-Chef Kevin Kühnert (SPD) zieht es in den Bundestag.

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