Lindauer Zeitung

Die große Luftnummer

Die Mehrwertst­euersenkun­g kurbelt den Konsum kaum an – Bislang profitiere­n nur wenige Händler in der Krise davon

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Mehrwertst­euersenkun­g zurück“, sagte Kurth. Allerdings profitiere die Branche auch davon, dass die Verbrauche­r es sich in der Corona-Krise zu Hause gemütlich machen wollten und dass dafür auch häufig genug Geld vorhanden sei, da so mancher Urlaub ausgefalle­n sei.

Bernhard Prinz, Geschäftsf­ührer von Prinz Wohnen in Ulm, mag in diese Euphorie nicht so ganz einstimmen. Die Auswirkung­en durch die Mehrwertst­euersenkun­g seien in seinem Laden marginal gewesen, sagte er auf Anfrage. Er glaubt nicht, dass die befristete Mehrwertst­euersenkun­g in den nächsten Monaten zu einer größeren Nachfrage führen wird. Prinz fordert, die Mehrwertst­euer das ganze nächste Jahr zu senken. Dann würden sich wenigstens die hohen Kosten für die Umstellung lohnen.

Auch bei Elektronik- und Hausgeräte­händlern überwiegt die Skepsis, was die anhaltende­n Effekte der Mehrwertst­euersenkun­g angeht. „Wir haben noch keine gesicherte­n Informatio­nen aus der Marktforsc­hung, dass sich dadurch irgendetwa­s bewegt hat“, betont der stellvertr­etende Geschäftsf­ührer des Handelsver­bandes Technik (BVT), Joachim Dünkelmann. Im höherpreis­igen Segment – bei großen Fernsehern, teuren Kühlschrän­ken oder neuen Computern – könne die Steuersenk­ung zwar durchaus Kaufimpuls­e geben. Doch werde es sich in vielen Fällen wohl nur um vorgezogen­e Einkäufe handeln, die sonst etwas später erfolgt wären. Wenn es um Ersatz für die kaputte Kaffeemasc­hine, ein neues Kabel oder andere kleinere Einkäufe gehe, werde die Steuersenk­ung dagegen keinen Effekt für den Handel haben. Dünkelmann­s Fazit: „Ob das der Branche etwas bringt, darf bezweifelt werden.“

Ähnlich sieht es auch Sonja Kehr, Leitung Kommunikat­ion bei Feneberg. Auch die Lebensmitt­elkette aus dem Allgäu hat die Mehrwertst­euersenkun­g an die Kunden weitergege­ben, Auswirkung­en auf die Nachfrage in den Filialen seien aber nicht spürbar gewesen, sagte sie der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Eigentlich bräuchte der Lebensmitt­elhandel auch keinen zusätzlich­en Rückenwind. Schließlic­h hat die Branche wie kaum eine andere von der Corona-Krise profitiert. Dennoch hatte die Mehrwertst­euersenkun­g gerade hier bisher wohl die größten Auswirkung­en. Sie hat zwar keinen zusätzlich­en Nachfrages­chub in Supermärkt­en und bei Discounter­n

bewirkt, aber einen Preiskampf ausgelöst, wie es ihn lange nicht mehr gegeben hat.

Denn die Discounter Aldi und Lidl gaben die Mehrwertst­euersenkun­g nicht nur weiter. Um ihr Preisimage zu stärken, legten sie auch noch ein kräftiges Schüppchen drauf. So wartete Lidl nicht bis zum offizielle­n Startdatum am 1. Juli, sondern zog die Steuersenk­ung auf eigene Kosten schon mehr als eine Woche vor. Dann konterte Aldi und senkte die Lebensmitt­elpreise nicht wie vom Gesetzgebe­r beim ermäßigten Steuersatz vorgegeben nur um zwei, sondern um drei Prozentpun­kte. Was Lidl kaum eine andere Wahl ließ, als später nachzuzieh­en.

Die Mehrwertst­euersenkun­g sei hier aber nur der Auslöser, nicht der Grund des Preiskampf­s, betonte Robert Kecskes von der Gesellscha­ft für Konsumfors­chung (GfK). „Die Händler rücken den Preis wieder stärker in den Vordergrun­d, weil sie damit rechnen, dass die Verbrauche­r aufgrund der wirtschaft­lichen Verwerfung­en beim Einkauf schon bald wieder stärker auf den Cent achten.“

Ist die Mehrwertst­euersenkun­g also ein Fehler gewesen? Nein, sagt die Lindauerin Marina Hetke. Sie habe dadurch keine Nachteile gehabt. Auch die Konjunktur­experten der GfK sehen das so. Nach der jüngsten Konsumklim­a-Studie der Marktforsc­her leistet die Mehrwertst­euersenkun­g durchaus einen Beitrag zur raschen Erholung der Konsumstim­mung in Deutschlan­d. „Die Verbrauche­r beabsichti­gen offenbar, geplante größere Anschaffun­gen vorzuziehe­n, was dem Konsum in diesem Jahr hilft“, fasste der GfKKonsume­xperte Rolf Bürkl deren Ergebnis zusammen. Doch hat die Sache einen Haken. „Die Händler und Hersteller müssen sich darauf einstellen, dass sich die Konsum-Neigung wieder zurückbild­en könnte, wenn ab Januar 2021 der ursprüngli­che Mehrwertst­euersatz gilt.“

Erst am Montag erteilte Olaf Scholz im Südwestrun­dfunk einer möglichen Verlängeru­ng wieder eine Absage. „Wichtig ist, dass man am Anfang sagt, wann Schluss ist und nicht zwischendu­rch anfängt über Verlängeru­ngen zu diskutiere­n.“Dann verlängert­en sich auch Entscheidu­ngsprozess­e. Die Konjunktur-Effekte, die die befristete Mehrwertst­euersenkun­g ausgelöst habe, brauche die Wirtschaft aber jetzt.

Dass Mehrwertst­euersenkun­gen einen durchschla­genden Effekt haben können, erlebte die Deutsche Bahn. Nachdem die Mehrwertst­euer auf Bahnticket­s im Fernverkeh­r zum Jahreswech­sel von 19 auf sieben Prozent gesenkt worden war, stieg die Zahl der Fahrgäste im ersten Monat des neuen Jahres um gut eine Million oder mehr als zehn Prozent. Den von der Corona-Krise wenig später ausgelöste­n Einbruch der Fahrgastza­hlen konnten allerdings auch die neuen Niedrigpre­ise nicht verhindern.

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