Lindauer Zeitung

Der stille Kampf der liebenden Frauen

„Wir beide“ist eine ebenso komplexe wie rührende Liebesgesc­hichte mit den brillanten Darsteller­innen Barbara Sukowa und Martine Chevallier

- Von Rüdiger Suchsland

Liebe ist im Alltag schon hart genug, auch ohne zusätzlich­e Herausford­erungen. In diesem Fall für die langjährig­en Geliebten Nina (Barbara Sukowa) und Madeleine (Martine Chevallier). Sie befinden sich in einer schwierige­n Situation: Sie sind seit Jahrzehnte­n ein Paar, haben es aber nie jemandem erzählt. Noch nicht einmal ihrer Familie. Besonders Madeleine scheut sich, ihren erwachsene­n Kindern, Anne (Léa Drucker) und Frédéric (Jérôme Varanfrain), ihr Geheimnis zu lüften.

Nun aber beschließe­n die Liebenden, Madeleines Wohnung zu verkaufen, um sich in Rom zur Ruhe zu setzen. Doch dann gibt es Streit: Nina ist wütend auf Madeleine, weil sie ihrer Familie nichts von den Rom-Plälen nen erzählt hat und zögert, ihre Wohnung zu verkaufen. Doch dann erleidet Madeleine einen Schlaganfa­ll. Plötzlich ist sie ein Pflegefall, kann weder sprechen noch gehen. Da aber niemandem bekannt ist, dass sie und Nina ein Liebespaar sind, wird Nina von allem ausgeschlo­ssen. Die ahnungslos­e Tochter Anne übernimmt die Pflege, und Nina muss mühsam einen Weg finden, um ihrer Lebensgefä­hrtin näherzukom­men. Die moralische Frage, die sich ihr vor allem stellt: Hat sie das Recht, ihr geheimes Leben zu enthüllen, bevor Madeleine bereit ist, es zu offenbaren?

In „Wir beide“geht es ums Schauen, nicht ums Sprechen. Das Paar kommunizie­rt ohne Worte. Ein flüchtiger Blick oder eine Hand auf der Schulter genügt den glänzenden Hauptdarst­ellerinnen, um den Reichtum von Gedanken und Gefüh

zwischen den beiden Frauen zu vermitteln.

Das Können von Regisseur Filippo Meneghetti zeigt sich vor allem in der zweiten Filmhälfte: Die Kamera konzentrie­rt sich auf Madeleines Augen und Gesicht, eine langgezoge­ne Aufnahme zieht uns hinein in ihre Qualen. Ein ungemein kraftvolle­r Moment.

Die Chemie zwischen den beiden erfahrenen Schauspiel­erinnen ist elektrisie­rend. Mit Barbara Sukowa als der energische­n Nina und Martine Chevallier als der zurückhalt­enderen Madeleine erkundet dieser Film die ungesagten Worte, und die Kämpfe, die in unserem eigenen Kopf ausgefocht­en werden.

„Wir beide“ist eine lesbische Liebesgesc­hichte, wie man sie noch nie zuvor gesehen hat. Zunächst einmal, weil es um die Themen Alter, Krankheit,

Todesnähe geht. Der Film fängt ein, was der Mainstream am liebsten ignorieren würde: Verlangen, Leidenscha­ft und Sexualität von Menschen im Alter.

Ausgerechn­et ein männlicher Regisseur, der Italiener Filippo Meneghetti in seinem ersten abendfülle­nden Spielfilm, schafft es, uns so eine Geschichte nahezubrin­gen. Es ist eine Geschichte, die leicht ins Melodramat­ische hätte abgleiten können. Meneghetti lässt das aber niemals zu.

Gute Dialoge unterstütz­en diese wunderbare Liebesgesc­hichte, die sich als ungeahnt komplex entpuppt, genau wie die Liebe und das Leben.

Wir beide. Regie: Filippo Meneghetti. Mit Barbara Sukowa, Martine Chevallier. Frankreich/Luxemburg. 95 Minuten. FSK ab 6 Jahre.

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FOTO: WELTKINO FILMVERLEI­H/DPA „Wir beide“erzählt von einer Liebe, die nicht alle billigen. Martine Chevallier (links) als Madeleine und Barbara Sukowa als Nina.

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