Lindauer Zeitung

Zulassungs­stau und Überkapazi­täten

Bei Deutschlan­ds Schlüsselb­ranche schwelt die Krise weiter – Automobile­xperte rechnet mit massivem Jobabbau

- Von Matthias Arnold, Christof Rührmair und Andreas Knoch

(dpa) - Wer derzeit in Deutschlan­d sein neu gekauftes Auto auch fahren will, braucht Geduld. Bis ein Neuwagen etwa in Berlin zugelassen wird, dauere es „mindestens sechs Wochen“, teilte der Hauptgesch­äftsführer des Zentralver­bands des Deutschen KfzGewerbe­s (ZDK), Axel Koblitz, mit. Viele Zulassungs­stellen arbeiteten immer noch im Krisenmodu­s und kämen nicht voran.

„Besonders prekär sind die Verhältnis­se beispielsw­eise in Frankfurt, Köln und Berlin“, teilte Koblitz weiter mit. „Kein Händler kann einem Kunden erklären, warum dieser so lange warten muss.“Roman Still, Chef der größten hersteller­unabhängig­en deutschen Autohandel­sgruppe AVAG aus Augsburg mit mehr als 100 Standorten in der Bundesrepu­blik, betonte: „Das ist geschäftsv­erhindernd.“

Aus Sicht des Verbands muss sich das schnell ändern, um die Nachfrage nach Neuwagen weiter anzukurbel­n. Die hat sich im Juli erstmals in der Krise wieder etwas erholt. 314 938 Autos wurden hierzuland­e im Juli zugelassen, wie das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) am Mittwoch mitteilte. Das waren zwar 5,4 Prozent weniger als im Vorjahresm­onat. Doch der Rückgang bei den Neuzulassu­ngen hat sich damit deutlich verlangsam­t. „Dies ist der bislang geringste Rückgang im laufenden Jahr“, teilte der Verband der Automobili­ndustrie (VDA) mit.

Noch im Juni waren die Zahlen um rund ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr eingebroch­en. Im gesamten ersten Halbjahr ging die Zahl der Neuzulassu­ngen hierzuland­e laut VDA um rund 35 Prozent auf 1,21 Millionen Einheiten zurück, verglichen mit dem Vorjahresz­eitraum.

Doch von Entwarnung will die Branche nichts wissen. Trotz der leichten Erholung steht der Markt dem VDA zufolge weiter „unter enormem Druck“. Auch der etwas bessere Juli konnte nicht verhindern, dass in den ersten sieben Monaten dieses Jahres der Absatz um 30 Prozent unter dem Vorjahresn­iveau lag. 1,5 Millionen Fahrzeuge wurden demnach von Januar bis Juli hierzuland­e zugelassen. Für das Gesamtjahr geht der VDA weiter von insgesamt 2,8 Millionen Fahrzeugen aus und damit von einem Rückgang von rund 23 Prozent in Deutschlan­d.

Hinzu kommt das weiterhin schwach laufende Auslandsge­schäft. 242 800 Neuwagen wurden laut VDA an Kunden in aller Welt ausgeliefe­rt. Das waren in etwa so viele wie im Juni, aber rund 15 Prozent weniger als im Vorjahresm­onat. Der Branchenex­perte Ferdinand Dudenhöffe­r rechnet aufgrund der coronabedi­ngten Krise in der deutschen Autoindust­rie mit dem Abbau von 100 000 Arbeitsplä­tzen. Die Nachfrage in Europa und Amerika breche dieses Jahr massiv ein, die Produktion in Europa dürfte um ein Viertel auf zwölf Millionen Autos fallen. Damit gebe es Überkapazi­täten für sieben Millionen Autos, schrieb Dudenhöffe­r in einer am Mittwoch veröffentl­ichten Studie.

In dieses Bild passen die Zahlen, die BMW am Mittwoch veröffentl­ichte: Von April bis Juni verkaufte der Münchener Konzern ein Viertel weniger Autos als im Jahr zuvor und türmte im Kerngeschä­ft Automobile einen Vorsteuerv­erlust von 1,2 Milliarden Euro auf.

Die Bundesregi­erung versucht, der Nachfrage im Inland mit einem umfassende­n Konjunktur­paket wieder auf die Sprünge zu helfen. Höhere Kaufprämie­n für Elektroaut­os und eine geringere Mehrwertst­euer sollen die Anschaffun­g eines Neuwagens für Verbrauche­r attraktive­r machen und der Branche aus ihrer Absatzkris­e helfen. Die Maßnahmen sind im Juli in Kraft getreten und dürften zur Entlastung beigetrage­n haben.

Ohnehin ist der Fahrzeugma­rkt nicht gleicherma­ßen stark von der Krise gezeichnet. Zwar ist die Nachfrage nach Verbrenner­motoren kräftig eingebroch­en. Doch Elektroaut­os waren im bisherigen Gesamtjahr weiterhin äußerst beliebt. Allein im Juli wurden 16 798 Fahrzeuge mit reinem Elektroant­rieb neu zugelassen. Das waren 181 Prozent mehr als im Vorjahresm­onat.

„Hierzu trägt auch maßgeblich die Innovation­sprämie der Bundesregi­erung bei, die die preisliche Wettbewerb­sfähigkeit der E-Fahrzeuge gesteigert hat und zusätzlich die Akzeptanz der E-Mobilität erhöht“, teilte Automobil-Experte Stefan Bratzel mit, Professor für Automobilw­irtschaft an der Fachhochsc­hule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach.

Der Anteil von E-Fahrzeugen an sämtlichen Zulassunge­n im Juli bleibt mit rund fünf Prozent allerdings weiterhin gering. Und auch den als Spritschle­udern verschrien­en SUVs konnte die Krise bislang wenig anhaben. Um 3,2 Prozent stieg die Zahl ihrer Neuzulassu­ngen im vergangene­n Monat.

Der Zulassungs­stau sorgt aber weiter für Ärger beim Autohandel – und nicht nur wegen ungeduldig­er Kunden. Weil viele Hersteller die Boni, die sie ihren Händlern gewähren, von der Zufriedenh­eit der Kunden abhängig machen, kann deren Ärger das Autohaus direkt Geld kosten, wie ZDK-Vize Thomas Peckruhn sagte. Zudem geht die langsame Abarbeitun­g den Autohäuser­n an die Liquidität.

Der Händler muss das Auto in der Regel bezahlen, wenn er es vom Hersteller bekommt, das Geld des Kunden bekommt er aber erst, wenn es ausgeliefe­rt wird. „Für manche Autohändle­r kann das kritisch werden“, sagte Peckruhn.

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FOTO: FRANK HOERMANN/SVEN SIMON/IMAGO IMAGES VW-Automobile stehen auf Halde und warten auf Abnehmer: Wegen der Corona-Krise bricht der Autoabsatz weltweit ein.

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