Weniger Reisen, mehr Zeit fürs Geschäft
Langfristig wollen Firmen im Südwesten auf Dienstreisen verzichten – das Einsparpotenzial hat aber Grenzen
- Er ist noch nicht einmal gelandet, als sein Arbeitgeber einen Reisestopp verhängt. Es ist der 2. März, als Salvatore De Meo um kurz vor acht zum vorerst letzten Mal in den Flieger nach Sao Paulo steigt. Er ist Vertriebschef der Lateinamerika-Geschäfte des Tuttlinger Medizintechnikherstellers Aesculap. Um 18 Uhr ist De Meo noch in der Luft, da erklärt sein Unternehmen: Wegen der Corona-Pandemie gibt es vorerst keine Geschäftsreisen mehr. Vor der Krise reiste De Meo im Schnitt 100 Tage im Jahr zu Tochtergesellschaften und Kunden. Jetzt sitzt er in Online-Meetings. De Meo sagt: „Ich sehe Potenzial, dass ich nach der Krise vielleicht nur noch 50 Tage im Jahr unterwegs bin.“Sicher könne man einige Besprechungen dauerhaft in das virtuelle Konferenzzimmer verlagern. Aber auch nicht alle.
Viele Unternehmen im Südwesten haben in der Pandemie erkannt, dass Meetings nicht immer persönlich stattfinden müssen. Eine aktuelle Studie des Ifo-Instituts bestätigt: 57 Prozent der deutschen Unternehmen halten es für wahrscheinlich, dass sie ihre Geschäftsreisen als Folge der Corona-Krise dauerhaft einschränken. Während übergangsweise gar nicht gereist wurde, finden inzwischen wieder vereinzelt persönliche Treffen statt. Für manche Zwecke bleiben diese für die Unternehmen unverzichtbar. Zum Beispiel, um enge Kundenkontakte zu pflegen.
„Wenn wir zum Beispiel ein großes Krankenhaus ausstatten, ist in der Regel jemand aus der Zentrale dabei. Da gibt man dem Kunden eine bestimmte Wichtigkeit und strahlt Zuverlässigkeit aus. Oder wenn wir für Entwicklungsprojekte klinische Berater gewinnen wollen, ist ein persönliches Treffen auch nicht schlecht“, erklärt De Meo, der in Südamerika vor allem für strategische Themen und die Weiterentwicklung der Geschäftsaktivitäten von Aesculap zuständig ist. Wenn über Veränderungen und Investitionen vor Ort entschieden werden muss, ist es meist notwendig sich ein Bild von der Arbeit vor Ort zu machen. Ähnlich sei es bei den jährlichen Vertriebskonferenzen, bei denen die lokalen Vertriebs- und Marketingmitarbeiter zusammenkommen. „Da besprechen wir die
Ergebnisse des Vorjahres sowie die Ziele für das laufende Jahr. Durch die Teilnahme aus dem Headquarter werden die Kollegen außerdem motiviert.“
Fünf- bis sechsmal im Jahr sei er bisher immer nach Brasilien gereist, zwei- bis dreimal nach Mexiko. In Zukunft würde es wahrscheinlich weniger. Gerade für einfache Bestandsaufnahmen, wie der Vertrieb läuft oder welche Schritte als nächstes bei der Implementierung neuer Produkte anstehen, reiche eine Videokonferenz völlig aus, sagt De Meo.
„Es wird längst nicht mehr so viel gereist wie früher, die Unternehmen beschränken sich auf das Wesentliche und versuchen die Dienstreisen auf einen einzigen Tag zu beschränken“, bilanziert Heiko Luft, Präsidiumsmitglied des deutschen Geschäftsreiseverbands (VDR). Aktuell wollten die meisten Unternehmen Hotelaufenthalte lieber noch vermeiden. Wie die Unternehmen mit Dienstreisen in Zukunft planen, fragt der Verband seit Beginn der
Pandemie regelmäßig bei seinen Mitgliedern ab. Demnach erlauben knapp 60 Prozent der Befragten innerdeutsche Reisen, abhängig vom Ansteckungsrisiko am Zielort. Etwas mehr als 70 Prozent genehmigen
Heiko Luft vom Verband Deutsches Reisemanagement
Trips innerhalb Europas, sofern es das Infektionsgeschehen zulässt.
Für Dienstreisen seien aktuell Sondergenehmigungen erforderlich, erklärt zum Beispiel Boehringer Ingelheim auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Man erwarte von seinen Mitarbeitern, Meetings möglichst zu verschieben oder virtuell zu organisieren. Diesen Grundsatz verfolgt auch der Automobilzulieferer ZF. Bei Rolls-Royce Power Systems werde aktuell jede Reise durch den werksärztlichen Dienst beurteilt, erklärt der Motorenbauer. Man wolle Betroffene vorab beraten, die Infektionsgefahr minimieren. Auch das Maschinenbauunternehmen Chiron erklärt, seine Reisen zurückgeschraubt zu haben. Aber seit Ende Mai stiegen diese wieder kontinuierlich an.
Laut VDR-Umfrage schätzt jedes zweite Unternehmen, seine Dienstreisen langfristig um 30 Prozent zu reduzieren. Heiko Luft ist da optimistischer, rechnet mit nur der Hälfte der Geschäftsreisen im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten. Vor allem auch mit Blick auf sein eigenes Unternehmen. Hauptberuflich leitet Luft den Bereich Mobilität bei der EnBW. „Wir befragen unsere Mitarbeiter ständig, was wir noch tun können, damit das Neue normal auch langfristig Normalität wird.“Schließlich gehe es auch um das
Thema Nachhaltigkeit, eine bessere CO2-Bilanz. Das habe die Unternehmen im Übrigen auch schon vor der Corona-Krise beschäftigt.
Schon seit Jahren arbeite man an dem Konzept des „grünen Meetings“, erklärt etwa Boehringer Ingelheim. Dieses „setzt von der Anreise, über die Veranstaltung selbst bis hin zur Abreise durchweg auf Nachhaltigkeitsaspekte.“Man wolle nachhaltiges Denken in der Mitarbeiterschaft verankern. Wo möglich, wolle man Flugreisen vermeiden. CO
durch „unvermeidbare Geschäftsflüge gleiche man aber zu 50 Prozent aus, erklärt das Unternehmen. Und bleibt damit das einzige, das den Nachhaltigkeitsaspekt so deutlich betont. Dagegen heißt es etwa bei Chiron: „Im deutschsprachigen Raum ist das Auto das Haupttransportmittel, international das Flugzeug, selten die Bahn.“
Einsparungspotenzial sehen die Unternehmen viel mehr bei den Kosten. Die wenigsten können konkrete Zahlen nennen. Nur für die EnBW erklärt Heiko Luft: „Je nachdem, wie sich die Lage weiterhin entwickelt, könnten wir dieses Jahr nur durch Corona 50 bis 60 Prozent bei den Kosten für Geschäftsreisen einsparen.“
Hinzu kommt der Zeitgewinn. „Von dem Zeitpunkt, wenn ich das Haus verlasse, bis ich am Ziel angekommen bin, vergehen locker 24 Stunden“, sagt Salvatore De Meo. Sein Terminkalender sei auch ohne Reisetermine „rammelvoll“, trotzdem habe er deutlich mehr Zeit für seine Frau und die beiden Töchter. „Das ist Lebensqualität, die ich vorher nicht hatte.“
Die Qualität der Geschäftsbeziehungen sei gerade aber eher von Sorgen geprägt. Statt über Strategien zu beraten, müsse er in den Videokonferenzen mit den südamerikanischen Partnern gerade Ängste abbauen. Der Raum sei durch die Pandemie schließlich hart getroffen. Und noch ist vollkommen unklar, wann er sich vor Ort ein Lagebild verschaffen kann, sagt De Meo. „Ich glaube wir werden nicht vor Mitte des kommenden Jahres nach Südamerika reisen können.“
Sobald sich die Lage entspannt, könnten Geschäftsreisen sogar kurzfristig zunehmen, weil dann vermutlich viele die Chance nutzten, sagt Heiko Luft vom Geschäftsreiseverband. An dem langfristigen Trend hin zu weniger Geschäftsreisen hat er aber keine Zweifel.
„Es wird längst nicht mehr so viel gereist wie früher, die Unternehmen beschränken sich auf das Wesentliche.“