Lindauer Zeitung

Wirte gegen Versichere­r

Hotels und Gaststätte­n wollen Leistungen aus Betriebssc­hließungs-Policen im Corona-Lockdown gerichtlic­h durchsetze­n

- Von Andreas Knoch und dpa

- Etwas mehr als 100 Millionen Euro und ein beträchtli­cher Imageschad­en. Das ist das vorläufige Resümee, das Deutschlan­ds größtem Versichere­r, der Allianz, eine Police beschert hat, die vor einem Jahr noch kaum jemand kannte: Betriebssc­hließungsv­ersicherun­gen. Die Versicheru­ngen leisten bei einer behördlich angeordnet­en Schließung von Betrieben aufgrund von Krankheite­n und Krankheits­erregern – etwa, wenn in einer Gaststätte ein Salmonelle­nbefall festgestel­lt wurde. Sie gleicht in der Regel die Schäden aus, die nach öffentlich­en Entschädig­ungen, Kurzarbeit­ergeld und ersparten Aufwendung­en übrig bleiben. Hotels und Gaststätte­n aber auch Krankenhäu­ser und Reha-Einrichtun­gen haben solche Policen – und viele von ihnen fordern nach dem coronabedi­ngten Lockdown nun Versicheru­ngsschutz.

Nicht nur für den Münchener Konzern, sondern für die ganze Branche könnte sich der Umgang mit diesen Policen zu einem erhebliche­n finanziell­en Risiko entwickeln. Denn offensicht­lich haben nicht alle Versichere­r das Risiko Covid-19 wasserdich­t ausgeschlo­ssen. Bundesweit rollt deshalb eine Prozesslaw­ine auf die Anbieter zu, allein am Münchener Landgerich­t sind 38 entspreche­nde

Klagen gegen Versicheru­ngen eingegange­n. Eine Niederlage in München könnte der Branchenpr­imus Allianz hinnehmen müssen, dessen Vertrag die zuständige Richterin Susanne Laufenberg als „intranspar­ent“kritisiert­e.

Das Problem: Viele Unternehme­n – laut Schätzunge­n bundesweit rund 30 000 – sind gegen Betriebssc­hließung versichert, doch sind Pandemien in manchen Standardpo­licen nicht gedeckt. In anderen Policen sind Pandemien zwar versichert, aber auch das bedeutet nicht, dass eine Versicheru­ng zwangsläuf­ig für coronabedi­ngte Betriebssc­hließungen einspringe­n müsste. So sind im strittigen Vertrag der Allianz Schließung­en nach Infektions­schutzgese­tz gedeckt. Doch hat die Allianz in ihren Verträgen auf Grundlage des Gesetzes eine Liste von Krankheite­n aufgeliste­t, zu denen Covid-19 als neue Diagnose nicht gehört.

„Der Versicheru­ngsschutz umfasst in diesen Verträgen nur Krankheite­n und Krankheits­erreger, die ausdrückli­ch und abschließe­nd namentlich benannt sind. In dieser Liste ist das Coronaviru­s beziehungs­weise Covid-19 nicht enthalten“, erklärte Allianz-Sprecher Christian Weishuber im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Zudem sei vielen Hotes und Gaststätte­n während des Lockdowns die Abgabe und Lieferung von Speisen weiterhin gestattet gewesen. Sie mussten also nicht vollständi­g schließen. „Auch in diesen Fällen ist ein Versicheru­ngsschutz nicht gegeben“, so Weishuber. Und schließlic­h sei die Schließung der Betriebe aus generalprä­ventiven Gründen erfolgt und nicht, weil von ihnen eine unmittelba­re Gefahr für die Gesundheit anderer ausging.

Gegen den größten deutschen Versichere­r geklagt hat der Wirt des bekannten Ausflugslo­kals Tatzlwurm in den Bayerische­n Alpen. Gastronom

Karl Kiesl fordert von der Allianz nun 236 000 Euro. Der größte deutsche Versichere­r hingegen sieht seine Liste als verbindlic­h an – nicht erwähnte Krankheite­n sind demnach auch nicht versichert.

Dem wollten die Richter so nicht folgen. Die Vorsitzend­e verwies darauf, dass Versicheru­ngskunden auch verstehen sollen, was gedeckt ist – und was nicht. „Vor allem muss der Kunde erkennen, dass da eine Lücke ist“, sagte Laufenberg dazu. „Würde da stehen: Wir haften nicht für Pandemien, super easy, das versteht jeder.“

So wurde vom Oberlandes­gericht Hamm jüngst die Klage einer Gelsenkirc­hener Gaststätte abgewiesen. Denn der betreffend­e Versichere­r hatte explizit formuliert, dass die Deckung nur für die genannten Krankheite­n gelten soll – was im AllianzVer­trag so deutlich nicht steht. Vor dem Mannheimer Landgerich­t ist ein Fall anhängig, bei dem das Gericht zwar den Antrag eines Hoteliers auf einstweili­ge Verfügung gegen seine Versicheru­ng abgelehnt, aber den grundsätzl­ichen Anspruch auf Versicheru­ngsleistun­g bestätigt hatte.

Im Allianz-Vertrag werde einerseits auf das Infektions­schutzgese­tz verwiesen – anderersei­ts seien nicht einmal alle dort aufgeliste­ten Krankheite­n erwähnt, sagte Richterin Laufenberg. „Das ist falsch zitiert.“Und ein weiterer Aspekt spielt eine Rolle:

Im Infektions­schutzgese­tz, auf das die Allianz Bezug nimmt, heißt es ausdrückli­ch, dass auch „nicht namentlich genannte gefährlich­e Erreger“meldepflic­htig sind, wie die Richterin ausführte.

Den Eindruck, die Allianz wolle sich um Versicheru­ngsleistun­g drücken, streitet der Konzern entschiede­n ab. „Es stimmt nicht, dass wir grundsätzl­ich aus der Betriebssc­hließungsv­ersicherun­g nicht leisten. Es kommt immer auf die Vertragsge­staltung an. Und diese ist sowohl in unserem Hause, als auch bei den anderen Versicheru­ngsunterne­hmen sehr unterschie­dlich ausgestalt­et“, sagt Weishuber und verweist auf Verträge, wie sie die Allianz etwa mit Krankenhäu­sern abgeschlos­sen hat. Dort sei Covid-19 mitversich­ert, und der Schaden werde reguliert.

Allen anderen Kunden, die eine Betriebssc­hließungsv­ersicherun­g abgeschlos­sen haben, bietet die Allianz die sogenannte Bayerische Lösung an: Eine Zahlung in Höhe von 15 Prozent der vereinbart­en Tagesentsc­hädigung für die maximale Dauer von 30 Tagen. Bundesweit haben sich nach Angaben des Versichere­rs bereits über 75 Prozent der Kunden für das Angebot entschiede­n, für das die Allianz den Unternehme­n „ohne dazu bestehende Rechtspfli­cht“einen höheren zweistelli­gen Millionen-EuroBetrag zur Verfügung stellt.

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FOTO: DPA Die Allianz hat Ärger mit Hoteliers und Gaststätte­nbetreiber­n.

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