Wirte gegen Versicherer
Hotels und Gaststätten wollen Leistungen aus Betriebsschließungs-Policen im Corona-Lockdown gerichtlich durchsetzen
- Etwas mehr als 100 Millionen Euro und ein beträchtlicher Imageschaden. Das ist das vorläufige Resümee, das Deutschlands größtem Versicherer, der Allianz, eine Police beschert hat, die vor einem Jahr noch kaum jemand kannte: Betriebsschließungsversicherungen. Die Versicherungen leisten bei einer behördlich angeordneten Schließung von Betrieben aufgrund von Krankheiten und Krankheitserregern – etwa, wenn in einer Gaststätte ein Salmonellenbefall festgestellt wurde. Sie gleicht in der Regel die Schäden aus, die nach öffentlichen Entschädigungen, Kurzarbeitergeld und ersparten Aufwendungen übrig bleiben. Hotels und Gaststätten aber auch Krankenhäuser und Reha-Einrichtungen haben solche Policen – und viele von ihnen fordern nach dem coronabedingten Lockdown nun Versicherungsschutz.
Nicht nur für den Münchener Konzern, sondern für die ganze Branche könnte sich der Umgang mit diesen Policen zu einem erheblichen finanziellen Risiko entwickeln. Denn offensichtlich haben nicht alle Versicherer das Risiko Covid-19 wasserdicht ausgeschlossen. Bundesweit rollt deshalb eine Prozesslawine auf die Anbieter zu, allein am Münchener Landgericht sind 38 entsprechende
Klagen gegen Versicherungen eingegangen. Eine Niederlage in München könnte der Branchenprimus Allianz hinnehmen müssen, dessen Vertrag die zuständige Richterin Susanne Laufenberg als „intransparent“kritisierte.
Das Problem: Viele Unternehmen – laut Schätzungen bundesweit rund 30 000 – sind gegen Betriebsschließung versichert, doch sind Pandemien in manchen Standardpolicen nicht gedeckt. In anderen Policen sind Pandemien zwar versichert, aber auch das bedeutet nicht, dass eine Versicherung zwangsläufig für coronabedingte Betriebsschließungen einspringen müsste. So sind im strittigen Vertrag der Allianz Schließungen nach Infektionsschutzgesetz gedeckt. Doch hat die Allianz in ihren Verträgen auf Grundlage des Gesetzes eine Liste von Krankheiten aufgelistet, zu denen Covid-19 als neue Diagnose nicht gehört.
„Der Versicherungsschutz umfasst in diesen Verträgen nur Krankheiten und Krankheitserreger, die ausdrücklich und abschließend namentlich benannt sind. In dieser Liste ist das Coronavirus beziehungsweise Covid-19 nicht enthalten“, erklärte Allianz-Sprecher Christian Weishuber im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Zudem sei vielen Hotes und Gaststätten während des Lockdowns die Abgabe und Lieferung von Speisen weiterhin gestattet gewesen. Sie mussten also nicht vollständig schließen. „Auch in diesen Fällen ist ein Versicherungsschutz nicht gegeben“, so Weishuber. Und schließlich sei die Schließung der Betriebe aus generalpräventiven Gründen erfolgt und nicht, weil von ihnen eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit anderer ausging.
Gegen den größten deutschen Versicherer geklagt hat der Wirt des bekannten Ausflugslokals Tatzlwurm in den Bayerischen Alpen. Gastronom
Karl Kiesl fordert von der Allianz nun 236 000 Euro. Der größte deutsche Versicherer hingegen sieht seine Liste als verbindlich an – nicht erwähnte Krankheiten sind demnach auch nicht versichert.
Dem wollten die Richter so nicht folgen. Die Vorsitzende verwies darauf, dass Versicherungskunden auch verstehen sollen, was gedeckt ist – und was nicht. „Vor allem muss der Kunde erkennen, dass da eine Lücke ist“, sagte Laufenberg dazu. „Würde da stehen: Wir haften nicht für Pandemien, super easy, das versteht jeder.“
So wurde vom Oberlandesgericht Hamm jüngst die Klage einer Gelsenkirchener Gaststätte abgewiesen. Denn der betreffende Versicherer hatte explizit formuliert, dass die Deckung nur für die genannten Krankheiten gelten soll – was im AllianzVertrag so deutlich nicht steht. Vor dem Mannheimer Landgericht ist ein Fall anhängig, bei dem das Gericht zwar den Antrag eines Hoteliers auf einstweilige Verfügung gegen seine Versicherung abgelehnt, aber den grundsätzlichen Anspruch auf Versicherungsleistung bestätigt hatte.
Im Allianz-Vertrag werde einerseits auf das Infektionsschutzgesetz verwiesen – andererseits seien nicht einmal alle dort aufgelisteten Krankheiten erwähnt, sagte Richterin Laufenberg. „Das ist falsch zitiert.“Und ein weiterer Aspekt spielt eine Rolle:
Im Infektionsschutzgesetz, auf das die Allianz Bezug nimmt, heißt es ausdrücklich, dass auch „nicht namentlich genannte gefährliche Erreger“meldepflichtig sind, wie die Richterin ausführte.
Den Eindruck, die Allianz wolle sich um Versicherungsleistung drücken, streitet der Konzern entschieden ab. „Es stimmt nicht, dass wir grundsätzlich aus der Betriebsschließungsversicherung nicht leisten. Es kommt immer auf die Vertragsgestaltung an. Und diese ist sowohl in unserem Hause, als auch bei den anderen Versicherungsunternehmen sehr unterschiedlich ausgestaltet“, sagt Weishuber und verweist auf Verträge, wie sie die Allianz etwa mit Krankenhäusern abgeschlossen hat. Dort sei Covid-19 mitversichert, und der Schaden werde reguliert.
Allen anderen Kunden, die eine Betriebsschließungsversicherung abgeschlossen haben, bietet die Allianz die sogenannte Bayerische Lösung an: Eine Zahlung in Höhe von 15 Prozent der vereinbarten Tagesentschädigung für die maximale Dauer von 30 Tagen. Bundesweit haben sich nach Angaben des Versicherers bereits über 75 Prozent der Kunden für das Angebot entschieden, für das die Allianz den Unternehmen „ohne dazu bestehende Rechtspflicht“einen höheren zweistelligen Millionen-EuroBetrag zur Verfügung stellt.