Lindauer Zeitung

Der Anwalt, das erfundene NSU-Opfer und die Loveparade

Am Freitag beginnt in Aachen ein spektakulä­rer Betrugspro­zess – Es geht um mehr als 200 000 Euro

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(dpa) – Der Rechtsanwa­lt einer erfundenen Nebenkläge­rin im Münchner NSU-Prozess steht von Freitag an in Aachen unter anderem wegen Betrugs vor Gericht. Der Anwalt soll beim NSU-Prozess vor dem Oberlandes­gericht München ein Opfer des Nagelbombe­nanschlags vom Juni 2004 in der Kölner Keupstraße vertreten haben, das es in Wirklichke­it gar nicht gab. Dafür soll er von 2013 bis 2015 zu Unrecht Zahlungen von insgesamt mehr als 200 000 Euro erhalten haben, wie das Landgerich­t Aachen mitteilte.

Angeklagt ist der Anwalt auch wegen mutmaßlich­er Straftaten im Zusammenha­ng mit dem Prozess um die Loveparade-Katastroph­e in Duisburg, bei der vor zehn Jahren 21 Menschen starben. Der Angeklagte bestreite die Tatvorwürf­e insgesamt, teilte sein Anwalt Peter Nickel mit. Aufgrund des laufenden Verfahrens und des zeitnahen Prozessbeg­inns werde er vorab keine Stellungna­hme abgeben.

Beim NSU-Prozess soll ein echter, mittlerwei­le verstorben­er Nebenkläge­r dem 52 Jahre alten Anwalt gefälschte Unterlagen des nicht existenten Opfers gegen eine Provision angeboten haben, wie ein Gerichtssp­recher mitteilte. Obwohl dem Anwalt klar gewesen sei, dass die Unterlagen wie etwa ein ärztliches Attest gefälscht worden seien, habe er sie beim Oberlandes­gericht eingereich­t.

Durch bewusste Täuschung habe er vom Bundesamt für Justiz eine pauschale Härteleist­ung als Opfer eines extremisti­schen Übergriffs 5000 Euro bezogen, so die Anklage. Den Rest des Geldes soll er als Nebenklage­vertreter unter anderem für die Teilnahme an Gerichtssi­tzungen aus der Landeskass­e Bayern bezogen haben. Dem Anwalt werden Betrug, versuchter Betrug, Urkundenfä­lschung und Anstiftung zur falschen Versicheru­ng an Eides statt vorgeworfe­n.

Zu Beginn der staatsanwa­ltlichen Ermittlung­en 2015 hatte er über einen eigenen Anwalt erklären lassen, er sei von einem anderen NSU-Geschädigt­en getäuscht worden. Dieser Mann habe ihm ein Foto des vermeintli­chen Opfers vorgelegt und für die Vermittlun­g der Mandantin eine Provision verlangt.

Über fünf Jahre wurden am Oberlandes­gericht München die rassistisc­hen Morde des sogenannte­n „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s“(NSU) zwischen 2000 und 2006 sowie der Mord an einer Polizistin verhandelt. Die Rechtsterr­oristin Beate Zschäpe wurde 2018 wegen zehnfachen Mordes zu lebenslang­er Haft verurteilt.

Der Mann ist vor Gericht einschlägi­g bekannt: Im Loveparade­Prozess vor dem Landgerich­t Duisburg soll der 52-jährige Rechtsanwa­lt aus Eschweiler – aber erfolglos – versucht haben, ein vermeintli­ches Opfer der Techno-Party zu vertreten. Dabei war ihm aber laut Anklage bewusst, dass der Betroffene wahrheitsw­idrig eine Erkrankung als Folge der Loveparade-Katastroph­e nur vorgeschob­en habe, teilte das Gericht jetzt mit.

Als die Staatsanwa­ltschaft Duisburg dann ärztliche Belege zum Nachweis der Betroffenh­eit einfordert­e, soll der Anwalt Mutter und Schwester des Mannes aufgeforde­rt haben, mit eidesstatt­lichen Versicheru­ngen die falschen Angaben zu bestätigen.

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