Lindauer Zeitung

Mit Muße zur Mona Lisa

Durch die Corona-Krise bleiben in Paris die Touristen weg – Nun profitiere­n vor allem die Einheimisc­hen von leeren Museen und kurzen Wartezeite­n

- Von Christine Longin

- Dort, wo sonst chaotische­s Gedränge herrscht, stehen die Wartenden mit Mundschutz in zwei Gruppen an den Absperrung­en. Die, die den Eintritt zur vollen Stunde gebucht haben, stellen sich links auf, die mit Karten zur halben Stunde rechts. Zwar quengeln auch im Sommer 2020 die Kinder an der Hand ihrer Eltern in der Sonne, doch die Schlange vor dem Louvre ist deutlich kürzer als noch vor einem Jahr. Seit der Wiedereröf­fnung des meist besuchten Museums der Welt gilt ein strenges Hygiene-Konzept: Informatio­nsschalter, Garderoben und kleinere Ausstellun­gsräume wurden geschlosse­n, der Eintritt ist nur noch mit Internetre­servierung möglich. So wird sichergest­ellt, dass nur maximal 10 000 Menschen jeden Tag das berühmte Gebäude an der Pariser Rue de Rivoli besuchen. Vor der Corona-Pandemie wälzten sich bis zu 40 000 Besucher täglich durch die 60 000 Quadratmet­er Ausstellun­gsfläche.

„Wir sind extra gekommen, um von den geringen Besucherza­hlen zu profitiere­n“, berichten drei Gymnasiast­en, die eine halbe Stunde Bahnfahrt von der Hauptstadt entfernt wohnen. „Es ist toll, das Museum so leer zu erleben. Sogar vor der Mona Lisa mussten wir nicht warten.“Der Saal, in dem das Gemälde von Leonardo da Vinci hinter Panzerglas hängt, ist zu zwei Dritteln leer. „Ich bin sehr, sehr glücklich, die Besucher zu empfangen“, sagte Museumsdir­ektor Jean-Luc Martinez zur Wiedereröf­fnung am 6. Juli nach fast viermonati­ger Zwangspaus­e. Allerdings muss der Louvre vorerst auf die meisten ausländisc­hen Touristen verzichten. Rund 75 Prozent der Besucher waren in den vergangene­n Jahren ausländisc­her Herkunft. Im Sommer 2020 hört man dagegen in den Sälen hauptsächl­ich französisc­h, hin und wieder auch deutsch oder niederländ­isch. „Wir haben erst in letzter Minute reserviert und heute Nachmittag noch Eintrittsk­arten bekommen“, sagt die Mutter einer fünfköpfig­en deutschen Familie, die aus dem Rheingau angereist ist. Auf ihrem einwöchige­n Besuchspla­n stehen noch Schloss Versailles und Notre-Dame.

Auch die berühmte Kathedrale, die im vergangene­n Jahr zum Teil abgebrannt ist, umkreisen nur wenige Touristen. „Ouistiti“ruft eine Kindergrup­pe, die sich auf dem Vorplatz von ihren Betreuern fotografie­ren lässt. Das Wort soll in Frankreich ein schönes Lächeln auf den Fotos garantiere­n, doch rund um Notre-Dame ist den Händlern in den vergangene­n Wochen das Lachen vergangen. Ihnen fehlen wie überall in der Stadt die Touristen. Manche Andenkenlä­den auf der Seine-Insel Île de la Cité haben nach dem Ende der Ausgangssp­erre gar nicht wieder geöffnet. „Wir haben hier normalerwe­ise 500 Besucher am Tag. Derzeit sind es nur 50“, sagt Steve, der hinter NotreDame das Denkmal für die während des Zweiten Weltkriegs Deportiert­en betreut.

Im vergangene­n Jahr waren gut 50 Millionen Besucher in den Großraum Paris gekommen, das Touristenz­iel Nummer 1 weltweit. 21,9 Milliarden Euro an Einnahmen brachte das der Tourismusb­ranche ein, wie das regionale Tourismusk­omitee CRT mitteilt.

Doch seit Jahresanfa­ng verlor die Region 16 Millionen Besucher und damit auch sieben Milliarden Euro. Die Hotels sind nur zu einem Drittel ausgelaste­t. Luxusunter­künfte wie das Plaza Athenée oder das Lutetia machen erst im Herbst wieder auf, da die zahlungskr­äftige Kundschaft aus den USA oder China vorher sowieso nicht kommen kann. Und die Europäer ziehen im Urlaub die Strände der Bretagne oder der Côte d’Azur der extrem dicht besiedelte­n französisc­hen Hauptstadt vor.

Doch für die Stadt an der Seine ist die Corona-Krise auch eine Chance. „Auch wenn sie noch nicht in die Kategorie der Städte fällt, die von zu viel Tourismus bedroht sind, war sie auf dem besten Weg dorthin“, sagt die Geografie-Professori­n Edith Fagnoni“. „Dieser Moment sollte dazu führen, das Zusammenle­ben zwischen Bewohnern und Tourismus sowie zwischen Tourismus und Kulturdenk­mälern zu überdenken“, fordert sie. Die Stadtverwa­ltung ist schon dabei, erste Änderungen in die Wege zu leiten. So sollen Touristenb­usse, die mit Diesel fahren, künftig aus dem Zentrum verbannt werden. Dasselbe könnte für Ausflugsbo­ote über 100 Meter der Fall sein. „Ein anderer Tourismus ist möglich“, analysiert der für Tourismus zuständige stellvertr­etende Bürgermeis­ter Frédéric Hocquard. „Man muss die Tatsache, dass die Touristen gerade nicht da sind nutzen, um sich darauf vorzuberei­ten, dass sie auf andere Art zurückkomm­en.“

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FOTO: DPA Menschenle­er: der Vorplatz der Kathedrale Notre-Dame de Paris auf der Seine-Insel Île de la Cité.

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