Mit Muße zur Mona Lisa
Durch die Corona-Krise bleiben in Paris die Touristen weg – Nun profitieren vor allem die Einheimischen von leeren Museen und kurzen Wartezeiten
- Dort, wo sonst chaotisches Gedränge herrscht, stehen die Wartenden mit Mundschutz in zwei Gruppen an den Absperrungen. Die, die den Eintritt zur vollen Stunde gebucht haben, stellen sich links auf, die mit Karten zur halben Stunde rechts. Zwar quengeln auch im Sommer 2020 die Kinder an der Hand ihrer Eltern in der Sonne, doch die Schlange vor dem Louvre ist deutlich kürzer als noch vor einem Jahr. Seit der Wiedereröffnung des meist besuchten Museums der Welt gilt ein strenges Hygiene-Konzept: Informationsschalter, Garderoben und kleinere Ausstellungsräume wurden geschlossen, der Eintritt ist nur noch mit Internetreservierung möglich. So wird sichergestellt, dass nur maximal 10 000 Menschen jeden Tag das berühmte Gebäude an der Pariser Rue de Rivoli besuchen. Vor der Corona-Pandemie wälzten sich bis zu 40 000 Besucher täglich durch die 60 000 Quadratmeter Ausstellungsfläche.
„Wir sind extra gekommen, um von den geringen Besucherzahlen zu profitieren“, berichten drei Gymnasiasten, die eine halbe Stunde Bahnfahrt von der Hauptstadt entfernt wohnen. „Es ist toll, das Museum so leer zu erleben. Sogar vor der Mona Lisa mussten wir nicht warten.“Der Saal, in dem das Gemälde von Leonardo da Vinci hinter Panzerglas hängt, ist zu zwei Dritteln leer. „Ich bin sehr, sehr glücklich, die Besucher zu empfangen“, sagte Museumsdirektor Jean-Luc Martinez zur Wiedereröffnung am 6. Juli nach fast viermonatiger Zwangspause. Allerdings muss der Louvre vorerst auf die meisten ausländischen Touristen verzichten. Rund 75 Prozent der Besucher waren in den vergangenen Jahren ausländischer Herkunft. Im Sommer 2020 hört man dagegen in den Sälen hauptsächlich französisch, hin und wieder auch deutsch oder niederländisch. „Wir haben erst in letzter Minute reserviert und heute Nachmittag noch Eintrittskarten bekommen“, sagt die Mutter einer fünfköpfigen deutschen Familie, die aus dem Rheingau angereist ist. Auf ihrem einwöchigen Besuchsplan stehen noch Schloss Versailles und Notre-Dame.
Auch die berühmte Kathedrale, die im vergangenen Jahr zum Teil abgebrannt ist, umkreisen nur wenige Touristen. „Ouistiti“ruft eine Kindergruppe, die sich auf dem Vorplatz von ihren Betreuern fotografieren lässt. Das Wort soll in Frankreich ein schönes Lächeln auf den Fotos garantieren, doch rund um Notre-Dame ist den Händlern in den vergangenen Wochen das Lachen vergangen. Ihnen fehlen wie überall in der Stadt die Touristen. Manche Andenkenläden auf der Seine-Insel Île de la Cité haben nach dem Ende der Ausgangssperre gar nicht wieder geöffnet. „Wir haben hier normalerweise 500 Besucher am Tag. Derzeit sind es nur 50“, sagt Steve, der hinter NotreDame das Denkmal für die während des Zweiten Weltkriegs Deportierten betreut.
Im vergangenen Jahr waren gut 50 Millionen Besucher in den Großraum Paris gekommen, das Touristenziel Nummer 1 weltweit. 21,9 Milliarden Euro an Einnahmen brachte das der Tourismusbranche ein, wie das regionale Tourismuskomitee CRT mitteilt.
Doch seit Jahresanfang verlor die Region 16 Millionen Besucher und damit auch sieben Milliarden Euro. Die Hotels sind nur zu einem Drittel ausgelastet. Luxusunterkünfte wie das Plaza Athenée oder das Lutetia machen erst im Herbst wieder auf, da die zahlungskräftige Kundschaft aus den USA oder China vorher sowieso nicht kommen kann. Und die Europäer ziehen im Urlaub die Strände der Bretagne oder der Côte d’Azur der extrem dicht besiedelten französischen Hauptstadt vor.
Doch für die Stadt an der Seine ist die Corona-Krise auch eine Chance. „Auch wenn sie noch nicht in die Kategorie der Städte fällt, die von zu viel Tourismus bedroht sind, war sie auf dem besten Weg dorthin“, sagt die Geografie-Professorin Edith Fagnoni“. „Dieser Moment sollte dazu führen, das Zusammenleben zwischen Bewohnern und Tourismus sowie zwischen Tourismus und Kulturdenkmälern zu überdenken“, fordert sie. Die Stadtverwaltung ist schon dabei, erste Änderungen in die Wege zu leiten. So sollen Touristenbusse, die mit Diesel fahren, künftig aus dem Zentrum verbannt werden. Dasselbe könnte für Ausflugsboote über 100 Meter der Fall sein. „Ein anderer Tourismus ist möglich“, analysiert der für Tourismus zuständige stellvertretende Bürgermeister Frédéric Hocquard. „Man muss die Tatsache, dass die Touristen gerade nicht da sind nutzen, um sich darauf vorzubereiten, dass sie auf andere Art zurückkommen.“